Väter waren bekanntlich selber nie Töchter. Es ist also eine teilweise fremde Welt, die ihnen in den eigenen Töchtern gegenüber steht. Darum muss man Vätern sagen, wie wichtig sie für die Töchter sind. Ingrid Holzmüller, ehemalige Leiterin des Ehe- und Familienzentrums, tut es auf berührende Art.

von Ingrid Holzmüller

Tanzkursabschlussball. Ich verbrachte, wie alle meine Freundinnen, den Tag damit, mich auf dieses einzigartige Ereignis vorzubereiten. Ich war beim Friseur, legte mich eine Stunde in die Badewanne, cremte, manikürte und pedikürte mich. Ich bügelte mein Kleid, schminkte mich, malte mir die Finger- und Zehennägel perlmuttrosa an. Kurzum ich tat alles, um mich schön zu machen.

Erst  als mein großer Auftritt im Wohnzimmer für meinen Vater gekommen war, dämmerte es mir, dass ich mich einzig und allein für einen Mann schön gemacht hatte und den ich mit meiner atemraubenden Schönheit beeindrucken wollte, nämlich meinen guten alten Papa.

Ich ging mit majestätischen Schritten durchs Haus zu ihm ins Wohnzimmer. Meine Mutter lächelte verständnisvoll. Sie war auf die Reaktion meines Vaters ebenso gespannt wie ich. Mein Vater lag auf der Couch und  las die Zeitung. Einige Sekunden verstrichen. Ich wartete geduldig. Weitere Sekunden vergingen. Schließlich fragte ich erwartungsvoll: „Nun, was meinst du?“ Er schaute mich an und schwieg. Dann las er weiter. Kein Wort kam über seine Lippen. Ich fühlte mich gedemütigt und dumm in meiner ganzen Aufmachung. „Ich gefalle ihm nicht“, schoss es durch meinen Kopf. „Dabei habe ich mir so viel Mühe gegeben.“ Tränen traten in meine Augen. Am liebsten hätte ich hemmungslos losgeheult, was ich mir jedoch auf Grund des Make-ups untersagte. „Ich gefalle ihm nicht“, sagte ich mit kläglicher Stimme zu meiner Mutter. Diese nahm mich beiseite und sagte beschwichtigend: „Natürlich gefällst du ihm, aber du kennst doch deinen Vater. Das zu zeigen ist nicht seine Art.“ (Ich frage mich, wie viele Kinder diesen Satz schon gehört haben: „Du kennst doch deinen Vater...“) Ich ging zum Abschlussball und hielt mich für unscheinbar und nicht beachtenswert. Ich hielt mich auch während der nächsten zehn Jahre für unscheinbar und nicht beachtenswert.

Das Verhalten meines Vaters hatte meine schlimmsten Teenagerbefürchtungen bestätigt: Ich hatte den ersten Test bezüglich meiner Weiblichkeit nicht einmal nach mühevoller, ganztägiger Anstrengung bestanden. Ganz offensichtlich, so redete ich mir ein, war es meinem Vater peinlich, mir die Wahrheit zu sagen. Weil er mich liebte, wollte er mich schonen. Wenn mein eigener Vater mich aber nicht für attraktiv hielt, so lautete meine Schlussfolgerung, dann musste es noch schlimmer um mich bestellt sein, als ich befürchtet hatte. Wenn nicht einmal er als mein Vater einen Blick für mich übrig hatte, dann würde wohl niemals ein Mann Notiz von mir nehmen!

Rückblickend muss ich sagen, dass mir meine damalige Erklärung immer noch plausibel erscheint, doch Alter und Erkenntnis haben mich milder gestimmt. Inzwischen denke ich, dass es ihm einfach peinlich war, auf meine Weiblichkeit zu reagieren. Kleine Mädchen legen kein Make-up auf oder lackieren sich die Fingernägel. Kleine Mädchen tragen kein figurbetontes Kleid und verwenden keinen Glitzerpuder für den Ausschnitt. Frauen tun es aber. Ich glaube, mein Vater erkannte zum ersten Mal, dass sein kleines Mädchen eine Frau war und eine eigene Erotik ausstrahlte und er missbilligte dieses Verhalten. Es war ihm peinlich und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte.

Aus meiner Sicht war alles ganz harmlos. Ich wünschte mir ganz einfach, von meinem Vater zu hören, dass ich hübsch sei. Ich wollte, dass er bemerkte, dass ich kein Kind mehr war und dass er mir versicherte, dass die Frau, die ich einmal sein würde, einzigartig und wunderbar wäre. Ich wollte spüren, dass er auf seine Tochter einen Stolz hat.

Manchmal passiert es mir auch noch heute, dass ich mich, wenn ich ausgehe, leer fühle. Dass ich Angst habe, nicht die Zustimmung der anderen zu finden, nicht wahrgenommen zu werden. Ich bekämpfe dieses Gefühl zwar mit meinem Verstand, aber die emotionale Realität ist unvergesslich.

Mir geht es nicht um Schuldzuweisung, Eltern sind auch nur Menschen. Wir alle machen Fehler, ganz besonders wenn wir versuchen gute Eltern zu sein. Ich glaube jedoch, dass sich Väter viel zu wenig bewusst sind, welche Macht sie über das Selbstwertgefühl ihrer Tochter haben.