„Ewig jung!“ heißt die verlogene Devise unserer Gesellschaft. Wir dürfen älter werden– auch als Paar. Vieles verändert sich aber, bis beide gemeinsam die Früchte ernten.

von Markus Hofer

Es ist schön, wenn die Liebe bleibt – doch verändern wird sie sich auf jeden Fall. Manchmal bleibt schon ab der Lebensmitte kein Stein auf dem anderen, wenn die Kinder aus dem Haus sind, die Frau im Wechsel und der Mann in der Midlife-Krise. Nicht nur wir selber verändern uns mit dem Älterwerden, sondern auch die Rahmenbedingungen, in der die Partnerschaft gelebt wird.

Alle Macht für beide

Wenn die Kinder aus dem Haus sind und der Mann oder beide aus dem Beruf ausscheiden, entsteht eine völlig neue Situation, in der die gewohnten Muster nicht selten kippen. Die Männer sind oft froh, wenn sie „heimkehren“ können, sich nicht mehr beweisen müssen und entwickeln eine ganz neue Anhänglichkeit, ein Bindungsbedürfnis, wie es die Partnerin bisher vielleicht nicht kannte. Und natürlich geht er davon aus, dass seine Frau nun mit ihm zusammen in trauter Zweisamkeit das Sofa hütet. Doch ihr ist inzwischen überhaupt nicht mehr danach. Die Frauen entdecken sich in dieser Phase nicht selten neu, brechen wieder auf, wollen noch einmal etwas erleben. Die inneren Lebenskurven von Mann und Frau verlaufen in dieser Phase oft Umständen völlig konträr.

Das ist der ideale Boden für Machtspiele, wenn die alten Muster nicht mehr tragen: Wer setzt sich durch? Wer bestimmt? Wer muss sich anpassen? Hier liegen die Stromschnellen versteckt im Übergang in das letzte Lebensdrittel. Machtspiele lohnen sich jedoch nie und im Grunde kann es nur zwei Sieger oder zwei Verlierer geben. Die Devise kann also nur lauten: Alle Macht für beide. Dazu muss allerdings Vieles neu aus verhandelt werden, müssen beide darauf schauen, welche Chancen in der Veränderung stecken und welche Möglichkeiten sie sehen, die Beziehung lebendig zu halten.

Ein neues Drittes

Im Machtkampf stehen sich Mann und Frau gegenüber wie bei einem Duell. Die Lösung besteht darin, dass sie auf ein gemeinsames Ziel schauen, das beide verbindet. Am Anfang einer Partnerschaft sind das meist die Familiengründung und der Nestbau. Die gemeinsamen Kinder sind etwas Drittes, das Mann und Frau verbindet. Doch nun ist das Nest leer, die Kinder ausgeflogen und das Geld kommt von selber auf das Pensionskonto. In diesem Vakuum braucht es neue Orientierungspunkte, neue Ziele für Mann und Frau als Paar, „ein neues Drittes“, wie der Paartherapeut Hans Jellouschek betont.
Du und ich und der Fernseher – das wird auf Dauer zu wenig sein, um eine Beziehung lebendig zu halten. Passives Konsumverhalten allein erzeugt keinen Lebenssinn. Aktiver Einsatz, lustvolle Tätigkeiten, soziales Engagement, spannende Hobbys oder die eigene Großelternschaft – das schafft Sinn, gemeinsame Glückserfahrungen und hält eine ältere Ehe lebendig. Und nicht zuletzt geht es auch darum, gemeinsam die Früchte zu ernten.

Versöhnte Vergangenheit

In den Machtspielen älterer Ehepaare tauchen die unerledigten Angelegenheit der Vergangenheit auf: Enttäuschungen, Verletzungen, manchmal sogar Erlebnisse aus der Kindheit. Die heutigen jungen Alten sind die Kriegskindergeneration und da kann es sich lohnen, genau hin zu schauen, was noch so alles im Rucksack liegt. Es erleichtert den Übergang in das letzte Lebensdrittel, wenn es möglich wird, unerfüllte Wünsche und Vorstellungen los zu lassen, lustvoll nach vorn zu blicken statt traurig nach hinten.

Nach einer längeren Ehe tragen beide ein kleines Museum gegenseitiger Verletzungen mit sich herum und mit allem, was in diesem Museum hängt, lassen sich herrliche Machtkämpfe durchziehen; wenn es sein muss bis ans Lebensende. Man kann ewig darum streiten, wie jemand etwas einmal gemeint hat. Man kann aber auch ganz einfach sagen: „Bitte verzeih mir.“ Man kann sich auch endlos in den eigenen Verletzungen wälzen und sie dem Partner immer wieder vorführen. Das schafft Überlegenheit, denn das Opfer hat eine moralische Machtposition gegenüber dem anderen inne. Es macht aber Sinn, diese inneren Museen zu schließen, den Machtkampf zu beenden und zu sagen: „Ich verzeihe dir.“ Die Versöhnung mit der Vergangenheit ermöglicht beiden eine neue Lebensphase.

Sexualität der Zugehörigkeit

Früher gab es viele Faktoren, die das Sexualleben belastet haben: der Zeitdruck, die Kinder, Stress, die Arbeit, die Verhütungsfrage. All dies fällt nun eigentlich weg und doch gibt es die Sexualität oft nicht mehr, weil sie eingeschlafen ist. Von der sexuellen Lebenskurve her sind jetzt öfter die Frauen der aktivere Teil, was nicht selten die Männer verunsichert. Männer sind heimlich überzeugt, dass sie immer können, wissen wie es geht und nicht darüber reden müssen. Diese Mythen der Männlichkeit fallen nun: Er kann manchmal nicht mehr so, Manches funktioniert auch körperlich nicht mehr so und man muss darüber reden. Da sind die kleinen, blauen Pillen schon einfacher. Doch auch ohne Viagra muss bei einiger Phantasie der Lustgewinn nicht schwinden.

Die Sexualität wandelt sich im Laufe einer langen Partnerschaft von einer Sexualität der Lust zu einer Sexualität der Zugehörigkeit, wie es der Paartherapeut Jörg Willi formuliert hat. Nicht mehr die Verführung und die Eroberung stehen im Vordergrund, sondern die Verbindung und die Vertrautheit, weniger die lustvolle Leidenschaft als die heimelige Zugehörigkeit. Die leidenschaftliche Form meldet sich von selber, die findet statt, die Sexualität der Zugehörigkeit allerdings kommt nicht von selbst. Sexualität in der Dauerbeziehung muss man wollen und sie muss gestaltet werden.

Nur diesen Schritt

Krankheit und Tod können im Alterungsprozess eines Paares zunehmend den gemeinsamen Alltag bestimmen. Die Krankheit eines Partners fordert beide heraus zur gemeinsamen Bewältigung. Sie kann zu einem „neuen Dritten“ werden und zu einem stabilen Bündnis miteinander führen. Im Pflegefall hat der gebende Teil gut auf sich selber zu achten. Wenn der gesunde Teil ausbrennt, hat auch der kranke nichts davon.

Zum Ende hin verlangsamt sich das ganze Leben. Jetzt geht es nicht mehr um die Ziele, sondern nur noch um das Hier und Jetzt, darum, jeden Tag für sich zu nützen. Jeder Schritt für sich ist wichtig, nicht mehr das Ziel. Es kommt nicht mehr darauf an, wie viel man macht, sondern dass man das, was man macht, bewusst macht. Kritik ist jetzt nur noch zerstörerisch, Anerkennung hingegen ein Balsam. So kann ein neues Bündnis der Zärtlichkeit entstehen, in dem beide sich nicht allein wissen, sondern in liebevoller Begleitung. Paare, die den Humor in ihrem Leben gepflegt haben, tun sich in dieser letzten Phase leichter, denn es gibt kaum etwas Wohltuenderes, als wenn man auch jetzt noch über einander und über sich selber lachen kann.

Halten und loslassen

Angesichts des Todes taucht oft die religiöse Frage wieder auf. Es geht jetzt um die existenzielle Erfahrung des Gehaltenseins, wie sie Rilke in seinem Herbstgedicht zum Ausdruck gebracht hat: „Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: es ist in allen. Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.“ Auch der Partner kann dem Sterbenden dieses Gehaltensein vermitteln, aber ohne ihn fest zu halten. Vielleicht ist es die letzte große Herausforderung, den eigenen Partner in den Tod los zu lassen und auch dieser Schritt wird leichter fallen im Bewusstsein des eigenen Gehaltenseins.

 

Literaturtipp

Hans Jellouschek, Wenn Paare älter werden, 2008 (Herder)