Wenn man streitet, hat man sich nicht mehr so gern – meinen nicht wenige. Doch kann es ein Zusammenleben von Mann und Frau ohne Konflikte überhaupt geben?

Von Markus Hofer

Unlängst erzählte mir eine junge Frau, wie sehr sie ihren Freund liebe und sie sei sich sicher, dass sie nie streiten werden. Irgendwie war dieses Bekenntnis ja rührend und doch tat mir diese junge Frau leid. Wie wird sie noch schmerzhaft auf die Nase fallen müssen auf dem Weg ins Leben hinein. Wie wird sie noch enttäuscht sein von der Liebe, von den Gefühlen, von ihrem Freund und von sich.

Mein zweiter Gedanke war aber: Woher hat sie das? Wer hat ihr das beigebracht? Wer hat ihr gesagt oder vorgespielt, dass es Beziehung ohne Streit geben könne? Immer noch geistert eine Vorstellung herum, die uns einzureden versucht, Ehe sei ein Zustand immerwährender Verliebtheit und ewig anhaltender Romantik.

Das romantische Liebesideal, das auch in den Köpfen der Jugendlichen herumgeistert, ist eigentlich bedrohlich. Dieses falsche Bild von Liebe lässt nämlich keine Konflikte zu. Ob man streitet oder nicht, wird zum alleinigen Gradmesser der Liebe. "Wenn wir uns nicht mehr so verstehen, dann wird schon die Beziehung nicht mehr stimmen" - und der Weg zum Scheidungsrichter ist heute nicht mehr weit. Als ob das "sich verstehen" immer so einfach wäre!

Als Kind musste ich ständig beichten: "Ich habe gestritten". Streit galt und gilt als etwas Schlimmes, statt als etwas, das einfach zum Leben gehört bzw. manchmal sogar zum Überleben notwendig ist. Ein Mann erzählte mir einmal voll Stolz, dass sie in fünf Ehejahren noch nie gestritten hätten. Zwei Jahre später hat man ihm einen Teil des Magens herausgenommen; so geht es natürlich auch. Streiten kann man lernen, dazu muss man es aber erst einmal dürfen. Und eines ist sicher: Ab dem Moment, wo wir uns Streit erlauben, werden wir auch weniger streiten.