Von jüngeren und älteren Arbeitnehmern wird im Grunde immer dasselbe verlangt. Dass jüngere mehr Kraft und ältere mehr Erfahrung haben, wird noch viel zu wenig berücksichtigt und genau das powert die älteren aus.

„Und du, wie lange musst du noch?“ Wenn Männer über fünfzig zusammen kommen, klingt es nicht selten nach Galeere, wenn sie vom Beruf reden. Bei manchen hat man den Eindruck, sie würden ihre letzten Berufsjahre fast zwanghaft abarbeiten. Auch das Wort „Hackler-Regelung“ ist verräterisch, denn es betrifft ja nicht nur die Schwerarbeiter. Ist nach fünfzig das Arbeiten nur noch eine leidvolle Hacklerei?

In Österreich arbeiten von den Männern zwischen 55 und 64 nur noch 38,4 Prozent, während ständig davon zu lesen ist, dass das Pensionsalter hinauf gesetzt werde. Volkswirtschaftlich sind solche Überlegungen plausibel und nachvollziehbar. Pensionsarithmetisch ist es bei unserer Überalterung auf Dauer problematisch, Leute, die in der Regel gesund sind, dafür zu bezahlen, nicht mehr arbeiten zu gehen.

Doch auch in meinem Umkreis habe ich manchmal das Gefühl, alle rechnen und reden von vorzeitigem Ruhestand und Abschlägen. Es scheint in den hohen Fünfzigern eine Art Fluchtbewegung aus der Arbeitswelt zu geben. Diese Menschen nehmen manchmal einiges in Kauf, wenn sie nur nicht mehr arbeiten müssen. Andererseits ist die Arbeit aber nicht nur das Übel, aus dem wir erlöst werden wollen. Gerade wir Männer schöpfen daraus sehr viel Lebenssinn, Bestätigung und Anerkennung.

Vielleicht ist es einfach eine unsinnige Idee, dass gerade Männer bis zum Pensionsalter mit Vollgas durcharbeiten sollten. Das „Vollgas“ ist für junge Männer kein Problem, aber ab einem gewissen Alter nimmt zwar die Erfahrung zu, doch die Kraft lässt nach. Ab 50 spüren wir zunehmend, wie auch der Köper altert. Kleine Leiden treten auf, die man vorher nicht kannte und dieselbe körperliche Leistung erfordert plötzlich mehr Kraft und Aufwand.

Michael S. ist 59 und hat einen angesehenen sozialen Beruf, in dem er sehr viel mit anderen Menschen zu tun hat. Seit einem Jahr lebt er hart an der Grenze zur Erschöpfungsdepression, mit Müh und Not konnte er sich gerade noch über Wasser halten. Er würde gerne aufhören oder zumindest weniger tun. Das geht finanziell nicht und zudem hat er eine erfolgreiche Rolle aufgebaut hat, in der ihm übel genommen wird, wenn er sie verändern oder erst recht aufgeben will. Hinzu kommt, dass Michael S. keinen Menschen hat, mit dem er wirklich offen über seine Situation reden könnte. Er ist wie verdammt für anderen da und erfolgreich sein zu müssen.

Wenn junge Männer gefordert sind, entwickeln sie gerade dadurch ihre Kondition und Ausdauer. Doch ab einem gewissen Alter funktioniert das nicht mehr so. Jetzt brauchen wir nach besonderen Belastungen einfach längere Erholungsphasen und je älter wir werden, umso länger müssen diese Phasen sein. Stress und Druck hinterlassen bei Jüngeren nicht die Spuren wie bei Menschen jenseits der Lebensmitte. Das ist eine Tatsache, über die sich kaum jemand zu reden traut - ein Tabu.

Wir Männer selber müssen dieses Tabu brechen. Wir müssen den Mund aufmachen, uns das Recht nehmen müde zu sein, Erholung zu brauchen, das Recht, nicht immer nur funktionieren zu können, das Recht auf das passende Tempo und die richtige Arbeit. Gesundheit am Arbeitsplatz wird dann erst wirklich zum Thema, wenn wir es auch einfordern, statt stumm hinter der Fassade zu leiden.

Zum anderen muss sich die Arbeitswelt wieder des Werts der älteren Arbeitnehmer bewusst werden, deren Erfahrung und Routine oft unersetzlich ist. Die Jungen können besser „rennen“, die älteren besser „zaubern“. In einer funktionierenden Familie gibt es verschiedene Generationen mit unterschiedlichen Rollen und Aufgaben und das wäre auch ein taugliches Bild für Unternehmen. Neben dem „gendern“ sollten wir in Zukunft vermutlich auch „eldern“, bewusst auf die Integration aller Generationen in einer Belegschaft achten, damit das persönliche Leistungsvermögen jedes Einzelnen gut genutzt werden kann. Dann können wir uns auch vom Bild verabschieden, dass ältere Mitarbeiter genauso Gas geben müssen wie junge. Hier ist ein Umdenken dringend nötig, denn es kann nicht sein, dass ab 55 alle nur noch aus der Arbeit flüchten wollen.

Dr. Markus Hofer