Fußball - ein unerschöpfliches Spiel, das für viele immer spannend bleibt. Warum das so ist und welche Verbindungsmöglichkeiten zum Glauben sich hier auftun - dies behandelt Prof. Dr. Matthias Sellmann in seinen 10 kurzen Stichwortartikeln zum Thema "Fußball als Gleichnis des Glaubens", Echter Verlag - „Lebendige Seelsorge 3/2016“.

Matthias Sellman - Professor für Pastoralthelogie an der Ruhr-Universität Bochum und Sozialwissenschaftler - verfasste die unten angefügten und uns freundlicherweiße vom Echter-Verlag zur Verfügung gestellten 10 Strichwortartikel. Es sollen hiermit Anklänge bereitgestellt werden, um die beiden Themen miteinander in Verbindung zu bringen und weiters auch um sie in verschiedensten Gottesdiensten übers Jahr hinweg einbauen zu können.
Vorschläge für die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten sind in der folgenden Tabelle angeführt. Letztendlich bleibt es natürlich dem Leser überlassen, die Texte auf sich wirken zu lassen und neue, persönliche Anknüpfungspunkte zu finden. Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall viel Freude und erfüllende Momente beim Lesen.

 

 

Die gesammelten Artikel finden Sie hier (als Pdf-Datei) oder im folgenden Text:

Tor! Toooooor!

Im Torjubel kommt das Fußballspiel zu seinem Höhepunkt. Hier löst sich die Anspannung, die dem Torschuss vorausgeht. Wie entrückt tanzt der Torschütze über den Platz, wird von der Mannschaft umarmt und von den Tribünen gefeiert. Fußball ist ganz einfach: Das Runde muss ins Eckige. Sieger ist, wer das öfter schafft als der Gegner. Trotzdem ist gerade der Torerfolg auch das Schwerste. Gelegentlich gibt es diesen Moment des Torerfolges auch gar nicht – Fußball ist eine der wenigen Spielarten, die unentschieden 0:0 ausgehen können. Das Tor ist das Ziel des Spiels, sein Sinn und seine Erfüllung. Was ist das „Tor“ im geistlichen Leben? Hier könnte man sagen: Das Herz Gottes und das Herz des Menschen sind die Torgehäuse. Gott will im Herzen des Menschen landen – wie ein Ball im Netz – und der Mensch will im Herzen Gottes ankommen. Das ist das Spiel des Glaubens. Mystik bedeutet beides: Ankunft Gottes im Menschen und Ankunft des Menschen in Gott. Ganz eindrucksvolle Zeugnisse solcher Ankünfte finden wir etwa bei Meister Eckhart. Nach ihm geht es darum, in den eigenen Seelengrund hinabzusteigen, um dort Gott zu treffen und sich mit ihm zu vereinen. „Hier ist Gottes Grund mein Grund und mein Grund Gottes Grund.“ Solche Vereinigungen, etwa im Gebet, sind die antriebsstärkste Motivation im geistlichen Leben. „Gott hat sein Ohr an deinem Herzen“, heißt es bei Augustinus, und genauso will der Mensch sein Ohr an Gottes Herzen haben. Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen, und ich gehe, sie für Euch zu bereiten, sagt Jesus bei Johannes (Jo 14, 2). Also, übersetzt: Gott stellt Tore auf, und wir sind gut beraten, den Ball unseres Lebens dort hineinzuschießen.

0:0

So wenig Fußballfans es schätzen, wenn ein Match 0:0 ausgeht, so sehr lieben sie den Anfang ihres Spiels: Man kommt ins Stadion (oder man schaltet den Fernseher ein), und man sieht die Anzeigentafel mit der Aufschrift: 0:0. Eine eigentümliche Faszination liegt über dieser Zahlenfolge. Die Magie des Anfangs. Fußball fängt immer bei Null an. In der Fußballsprache heißt es: „Nach dem Spiel ist immer vor dem Spiel.“ „Der nächste Gegner ist immer der schwerste.“ „Gespielt wird auf’m Platz.“ Das Schöne am Fußball ist die immer gegebene Möglichkeit, dass irgendwas geht. Denn der Ball ist rund. Diese Anzeige des 0:0 vor jedem Fußballspiel ist eine gelungene Metapher für das, was man in der Gottessuche den „Kairos“ oder bei Meister Eckhart auch den „Nu Gottes“ nennt. Man kann im Glauben die Erfahrung machen, dass Gott vor jede kommende Situation ein 0:0 schreibt: Prinzipiell ist es mir möglich, zu der jetzt anbrechenden Situation eine Distanz aufzubauen und sie zur Spielbegegnung mit Gott zu erklären. Viele Lehrer des Gebetes empfehlen eine solche geistliche Übung z.B. am Morgen. Bevor der Tag mich ergreift mit seinen Geschäften und Belangen, ergreife ich den Tag. Ich sage: Dies ist der Moment, der mir gegeben ist. Madeleine Debrêl rät: Wenn Gott Dir etwas um zwei Uhr sagt, dann will er dir in diesem Augenblick nichts anderes sagen. Als glaubender Mensch kann ich beten: Gott, ich mache aus diesem Tag (oder: diesem Gespräch; dieser Pflicht; diesem Termin; dieser Operation) einen Kairos, ein Heimspiel mit und gegen Dich. Ich lege den Ball auf den Anstoßpunkt – es steht 0:0 – der Anpfiff kann kommen.

Der öffnende Pass

Fußball ist für viele Zeitgenossen der Inbegriff für Langeweile überhaupt. Immer wieder hört man diese Frage: Was soll spannend daran sein, wenn 22 erwachsene Männer hinter einem Ball herlaufen, um ihn in ein Tor zu dreschen? Es ist nicht sofort einsichtig, wie man als Fan auf diese Frage antworten soll. Denn natürlich stimmt es, dass Fußballspiele oft phasenweise fürchterlich langweilig sind: Der Ball wird lustlos hin und her gekickt, die Teams spielen auf Sicherheit, das Match vergeht ohne echte sportliche Aufreger. Dann aber kommt er, und hierauf war die ganze Zeit die spannungsvolle Erwartung gerichtet: der öffnende Pass. Wie aus dem Nichts gelingt da plötzlich ein überraschendes Zuspiel hinter den Rücken des Gegners – der Ball landet exakt da, wo er soll – der Mitspieler nimmt ihn auf – und zack: Tor. Der öffnende Pass ist jenes Ereignis, in dem das Spiel verwandelt und eine neue Konstellation geschaffen wird. Der öffnende Pass: Er ist der Punkt, an dem sich die verborgene Schönheit des Fußballs plötzlich offenbar macht. Hierin wird er Gottessuchern zum Gleichnis. Denn auch das Leben plätschert oft so unelegant, banal und ereignislos dahin, dass man meinen könnte: Was soll schon spannend daran sein zu leben? Dann aber kann er kommen, oft unerwartet und blitzhaft: Der öffnende Pass Gottes, der mein Leben verwandelt. Das Effata Gottes: in einem Blick, einem Satz, einem Gedanken, einer Berührung, einem Stau – wie auch immer. Jetzt heißt es: rennen – und den angebotenen Ball verwandeln.

Abtasten des Gegners

 Normalerweise passiert am Beginn eines Fußballspiels nicht sehr viel Aufregendes. Die Mannschaften orientieren sich, der Ball wird hin und her gespielt, probeweise schickt man den ersten Steilpass mal in die Hälfte des Gegners. Man checkt erst einmal, wie man selbst und wieder Gegner heute drauf ist. Die ersten Minuten vergehen. Die Fans kennen das, und sie haben ein Wort aus der Fußballsprache dafür. Die erste Phase im Spiel heißt: „Abtasten des Gegners“. Man kann auch sagen: Ein Fußballspiel, so erregend es werden kann, wenn alle Spieler erst einmal auf Betriebstemperatur sind, beginnt normalerweise ruhig, respektvoll und diskret. Schließlich braucht man Kraft für 90 Minuten, und man will ja nicht schutzlos in den Überraschungsangriff des Gegners rennen. So ist das auch im Glauben. Man kann sagen, dass auch Gott das Spiel des Glaubens üblicherweise ruhig, respektvoll und diskret beginnt. Er stürzt sich nicht überfallartig in das Leben dessen, der ihn sucht. Man könnte sagen: Er achtet die Strafraumgrenzen seines Gegenübers. So dynamisch es werden kann, wenn Gott und Gottsucher erst einmal auf Betriebstemperatur sind, so sehr ist doch für beide am Anfang die Chance gegeben, sich abzutasten. Schließlich braucht man Kraft für ein ganzes Glaubensleben. Allerdings: So wie es auch sehr frühe Tore im Fußball gibt (man denke nur an unser WM-Finale 1974 gegen Holland, als es nach 60 Sekunden schon 0:1 stand), so gibt es auch explosionsartige Glaubensanfänge. Beim Hl. Paulus war das so: Der ist glatt in einen Überraschungsangriff Gottes hineingeritten – und es hat ihn umgehauen. 1:0 für beide.

Die Eckfahne

Ein Fußballfeld ist ein Viereck, das von Eckfahnen markiert und umfasst wird. Die Eckfahnen machen als sichtbare Grenzanzeigen das Spiel erst möglich, denn ohne die Ecken und ihre Verbindungslinien könnten die Spielregeln nicht klar eingehalten werden. Von der Fahne aus wird die Ecke getreten, hier endet der Sprint des Flügelstürmers und beginnt die letzte Grätsche des Verteidigers. In letzter Zeit rennen Torschützen auch gerne mal zur Eckfahne und führen ein Freudentänzchen auf. Es ist in jedem Spiel so: Von seinen Regeln und Grenzen her weiß man erst, welche Mitte bespielt werden kann. Daher lohnt auch die Frage für das Spiel des Gottesglaubens. Von woher empfängt der Glaube die Information, innerhalb der richtig gesetzten Grenzen zu sein? Ich sehe da vier unverzichtbare Eckfahnen des Glaubens. Die erste ist die Heilige Schrift. Mit ihr haben wir eine einzigartige Urkunde darüber, wie Gott sich selbst den Menschen mitteilt. Die zweite Fahne ist das kirchliche Lehramt. Hier wird die einmal gegebene Offenbarung der Schrift auf das heutige Leben hin ausformuliert. Wenn man so will: die Taktiktafel. Die dritte Fahne ist die Natur. Auch wenn der Glaube manches Wunder kennt, hält sich Gott doch normalerweise an ihre Gesetze. Die vierte Eckfahne ist die Geschichte des Glaubens im normalen Alltag des Gottesvolkes. Hier begegnet der Geist Gottes in Form des allgemeinen Glaubenssinnes, also jenes gesunden Gottes- und Menschenverstandes der Gläubigen als großer Lebensgemeinschaft. Jenseits dieser vier Ecken ist der Ball des christlichen Glaubens nicht spielbar. Das ist oft ärgerlich, denn mancher virtuose Spielzug wird von den Ecken her ungültig. Trotzdem ist es richtig so – denn gespielt wird auf’m Platz und nicht daneben.

Die Zahl Elf

Es gibt im Fußball eine Zahl, die eine besondere Bedeutung einnimmt: die Elf. Eine Mannschaft besteht aus elf Spielern. „Elf Freunde sollt ihr sein!“, hieß es früher und heißt es heute noch dort, wo Fußball einfach aus Spaß gespielt wird. Die Höchststrafe ist der Elfmeter – vom Elfmeterpunkt aus darf ein Spieler ungehindert aufs Tor schießen. Als die Rückennummern der Fußballtrikots noch ein Hinweis auf die Position war, achtete jeder auf den mit der Nummer elf. Denn dieser war der Linksaußen, oft der einzige Linksfüßler des Teams. Von der traditionellen Zahlenlehre her stimmt die oftmalige Zahl elf im Fußball nachdenklich. Denn es ist die Zahl der Übertretung, die Zahl der Sünde. Die Elf ist die erste numerisch mögliche Überschreitung der Vollkommenheit, die mit der Zahl zehn markiert ist – so etwa bei den zehn Geboten. Daher kommt auch der „Elferrat“ in der moralischen Ausnahmezeit des Karneval, daher auch in den Psalmenbüchern der elfte Psalm als Lied über die Sünde. Fußball ist insofern tatsächlich irgendwie ein Spiel mit der Sünde: Der Elfmeter ahndet die Übertretung der Spielregeln, und der mit der Rückennummer elf tritt den Ball spiegelverkehrt, also mit links. Kann man von diesen Fußballbeobachtungen her Rückschlüsse auf ein Leben im Glauben ziehen? Angesprochen ist die Einsicht, dass auch das Spiel des Glaubens durchaus von der Übertretung und der Sünde lebt. Gott will im Menschen keinen perfekten Partner und keinen Tugendbold, sondern einen, der rackert und kämpft. Da geschieht schon einmal die eine oder andere Regelübertretung, die dann als Sünde zu benennen und zu bekennen ist. Glauben heißt dann: auf die Vergebung Gottes setzen – und damit den Ball im Spiel halten.

Trainingslager

 Vor wichtigen Spielen, vor der Saison oder vor großen Turnieren gehen Fußballteams ins Trainingslager. Zunächst geht es hier um die Verbesserung der körperlichen Voraussetzungen: Kondition, Standardsituationen, Schusstechnik. Einzelne Bewegungsabläufe wie etwa das Kopfballspiel werden am Pendel stundenlang geübt. Über solche Fitnessziele verfolgen Trainingslager aber noch ein weiteres Ziel: Ein ‚Geist’ soll wirksam werden. Vor dem WM-Sieg 1954 erlebte etwa das deutsche Team den ‚Geist von Spiez’, vor dem Sieg von 1974 den ‚Geist von Malente’. 2014 war es der Geist von ‚Campo Bahia‘. Was ist solch ein ‚Geist’? Er wird durch die gemeinsame Anstrengung, die gemeinsame Freizeit, das gemeinsame Wohnen, vor allem aber durch gemeinsame Rituale aufgebaut. Es gibt Teams, die in Trainingslagern über Scherben laufen oder jeden Abend einen bestimmten Satz immer wieder herausschreien. So installieren Trainingslager körperlich, mental und sozial eine Spannung, die sich in der Herausforderung des Wettkampfes produktiv entlädt. Auch der Glaube an Gott braucht solche Trainingslager. Gelegentlich müssen auch hier in besonderen Übungseinheiten (man spricht dann von Exerzitien) bestimmte Fertigkeiten hart erarbeitet werden: z.B. wird stundenlang geübt, wie man besser beten kann, oder wie ich besser erkenne, was Gott mir im Alltag sagen will. Auch hier gibt es förderliche Rituale, und auch hier soll sich ein ‚Geist’ aufbauen – jener Geist Gottes, meine Ressource, mein Begleiter, der sich als meine innere positive Spannung im Alltag dann produktiv entlädt.

Auswärtsspiele

Im Fußball wechseln Heimspiele mit Auswärtsspielen. Letztere sind gefürchtet: Man kommt als Gastmannschaft in die Höhle des Löwen. Die Fußballsprache lässt hier an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. So ist etwa von der ‚Hölle Betzenberg’ die Rede, das gegnerische Stadion gilt als ‚uneinnehmbare Festung’, und die anreisende Mannschaft gilt als ‚Kanonenfutter’ oder ‚Punktespender’. Bei Auswärtsspielen muss man mit der Missgunst der Zuschauermassen rechnen, die Wege auf dem Platz sind unvertraut, die Anfahrt ist beschwerlich. Kurz: Auswärtsspiele sind eine Sache des Mutes. Lieber bliebe man zu Hause. Im christlichen Glauben wird ein Gott verehrt, der diesen Mut besessen hat. In seiner Menschwerdung bleibt Gott nicht zu Hause, sondern er wagt ein Auswärtsspiel. Was die historische Existenz Jesu und seinen Tod betrifft, wurde dieses Auswärtsspiel dann tatsächlich zur Erfahrung der ‚Hölle’. Das Licht kam in die Finsternis, doch die Finsternis hat es nicht erkannt, und die Seinen nahmen ihn nicht auf, heißt es im Johannesevangelium (Jo 1). Was die geistliche Existenz Jesu heute betrifft, kann sein Auswärtsspiel aber noch anders ausgehen. Ich kann als Gottsucher sozusagen zu seinem Stadion werden. Gott will in mir Mensch werden, damit ich Mensch werde. Die Beschwerden der Anfahrt zu mir nimmt er in Kauf. Meine Aufgabe als ‚Heimmannschaft’ wird es sein, die Bedingungen für einen fairen Wettkampf zu garantieren. Gott soll in mir alles finden, was man zu einem anständigen Spiel braucht: eine ordentliche Kabine, gepflegten Rasen, respektvolle Fans. Im Übertragenen: einen ordentlich vorbereiteten Herzensraum, eine gepflegte Beziehung zu mir selbst sowie Respekt vor seiner Heiligkeit. Wer dann die Punkte holt, wird man ja sehen.

Das Spiel lesen können

Einer der respektvollsten Sätze über einen Fußballer lautet: „Er kann das Spiel lesen.“ Meistens ist diese Fähigkeit mit der Rückennummer 10 verbunden, der Zahl der Vollkommenheit, der Trikotnummer des Spielgestalters. Von Maradona, Zidane oder Cruijff hieß es, dass sie das Spiel lesen konnten. Gemeint ist damit, dass einer wie kein anderer im Gewebe des laufenden Matches Fäden und Muster erkennt, nach denen es verläuft. Ein ‚Leser des Spiels‘ erwittert, erahnt, erspäht und erfühlt Möglichkeiten des Spielverlaufes, die sich erst noch ergeben werden. Er ist schon jetzt ausgerichtet auf die verborgenen Wasseradern, von denen sich der übernächste Spielzug speisen wird; er kennt schon jetzt deren Verläufe und kann sie daher schon jetzt – und damit früher als die anderen – zum Sprudeln bringen. Der Spiele-Leser achtet auf unsichtbare Dirigenten, und deren Taktsignale gibt er weiter an sein Team. Je weiter jemand in die Gottessuche einsteigt, desto mehr erlernt er genau diese Fertigkeit: das Spiel zu lesen. Welches Spiel? Das des Alltags. Die vitale Begegnung mit Gott gibt nach und nach verblüffende Tiefenebenen unter der des Tagesbetriebes frei. Man achtet plötzlich intensiver auf bestimmte Sätze, die jemand sagt. Man erkennt in den bisher zusammenhanglosen Banalitäten des eigenen Lebenslaufes auf einmal Muster und überraschende ‚Zufälle’. Man jubelt über die Schönheit von Dingen, die man bisher nicht mal beachtet hat. Man hört eine unaufdringliche Stimme, die zu unverbrauchtem Leben motiviert. Und das Ergebnis? Wie im Fußball: Man spielt befreit auf.

Der 12. Mann

Eines der beeindruckendsten Ergebnisse der Fußball-WM 2006 war die Euphorie der Deutschen für ihre Mannschaft und ihr Land. Überall hingen deutsche Fahnen, oft kombiniert mit Fahnen der Gastländer. ‚Poldi’, ‚Klinsi’ und ‚Schweini’ wuchsen zu sympathischen Nationalhelden heran. Die eigene Hymne wurde zum Volkslied. Im Stadion wechselten mexikanische ‚La Olas’ mit kölschen Polonaisen. Als Spieler sagt man dankbar: Die Fans stehen wie ein Mann hinter uns – sie sind der 12. Mann. Eine treffende Redensart mit zwei Akzenten. Erstens: Wenn Fans und Team zueinander halten und ihre Rollen gut spielen, werden sie zu einem Projekt. Und zweitens: Dann tauschen sie ihre Rollen. Aus dem passiven Publikum wird ein Aktivposten, und aus den aktiven Spielern werden Beschenkte. Die Rede vom 12. Mann kennen wir ja auch aus der Apostelgeschichte: Nach dem Tod des Judas wurde Matthias hinzugewählt. Sie ist aber auch eine schöne Metapher für das Leben als Kirche: Auch hier gibt es ein gemeinsames Ziel; zur Erreichung des Ziels gibt es auch hier verschiedene Rollen; und auch hier erhöht sich die Schlagkraft, wenn man diese Rollen nicht gegeneinander, sondern ineinander ausspielt. Wenn das Kirchenvolk sich nicht als passive Zuschauermasse aufführt, und die Kirchenleitung auf Starallüren verzichtet, wenn also beide Gruppen zu einem Team verschmelzen, dann ereignet sich die Gegenwart Jesu in der Mitte der Kirche. Dann kommt Euphorie auf, Tatkraft, Mut. Dann ist Er der 12. Mann.