Wenn man so will, könnte man die Rolle einer KH-Seelsorgerin als eine Art „Randerscheinung“ bezeichnen. Im medizinischen Ganzen bewegen wir uns nur in Ausnahmesituationen im Zentrum des Geschehens

Jeannette Yaham-Rehmvon Jeannette Yaham-Rehm
Krankenhaus-Seelsorgerin
in Dornbirn

Trotzdem genießt unser Beruf im Allgemeinen ein hohes Ansehen. Ob ich mit einem Arzt ins Gespräch komme, mich Patient/innen vorstelle oder ob ich im Bekanntenkreis von meiner Tätigkeit erzähle - mir begegnet immer wieder eine gewisse Hochachtung: „Ich bewundere Sie und was Sie da tun. Ich könnte das nicht machen.“ Auch ich denke öfter nach über das, „was ich da tue“. Die Wahrheit ist: Ich weiß im Grunde auch nie, „ob ich das jetzt kann“.

Ich will es einmal so sagen:
Natürlich haben wir vieles gelernt, das wir als notwendiges Rüstzeug mitnehmen auf die Station und in die Kranken- und Sterbezimmer: Theologie, Philosophie, psychologische und medizinische Grundkenntnisse, Gesprächsbegleitung, Selbstreflexion, Supervision usw. … Dennoch kommen wir - von Berufs wegen - immer von neuem an die Grenze. Berufsbedingt, wie gesagt. Besser gesagt: Es ist unsere ureigenste Aufgabe, an die Grenzen zu gehen, und zwar mehrdimensional.

Zunächst und zuallererst geht es in der Krankenhaus-Seelsorge um die menschliche Dimension. Und hier kommen wir (passiv/mit-leidend und -fühlend) und gehen wir (aktiv/mit-gestaltend) tagtäglich an die Grenzen des Erträglichen und Aushaltbaren, des Versteh- und Fassbaren und an
die Grenzen unseres Welt- und Gottesbildes. Natürlich und Gott sei Dank gibt es in unserem Berufsalltag die vielen schönen und nährenden Begegnungen, in denen uns Menschen ihre Lebens-, Leidens- und Liebesgeschichten anvertrauen, in denen wir mit Patient/innen gemeinsam ihre Hoffnung feiern und Trost aus dem lebendigen Vertrauen schöpfen, in allem getragen zu sein. Die wirkliche Herausforderung und unsere große Aufgabe aber wartet dort, wo die Hoffnung zum Fremdwort geworden ist und wo jeder Trost, den du spenden möchtest, dir in deinen eigenen Händen zerrinnt.

Wenn das Krankenhaus mich eines gelehrt hat, dann dies: Die Zeiten der religiösen Gewissheiten sind vorbei, und erst recht die Zeiten des kirchlichen Monopols auf Weltdeutung. Die Menschen machen sich längst ihren eigenen Reim auf das Leben. Wenn ich als Seelsorgerin unterwegs bin, dann mache ich mich radikal als Mensch auf den Weg zu Menschen. Ich lese in ihren Leben, wenn sie mich dazu einladen, das Evangelium neu - mit ihren je eigenen Kreuz- und Leidenswegen. Und, in vielen ungenannten Sternstunden, mit ihren je eigenen Auferstehungserzählungen. Nicht selten bin ich beschämt, welchen Glauben ich vorfinde bei Menschen, die von sich behaupten, nicht „religiös“ zu sein. Wenn eine „Fernstehende“ mir sagt, sie sei sich dessen vollkommen bewusst, dass der Ausgang ihrer bösartigen Erkrankung völlig offen sei. Sie hätte diesen Umstand akzeptiert und nehme seitdem jeden Tag in tiefer Dankbarkeit als ihren möglichen letzten. Eigentlich hätte sie erst jetzt angefangen zu leben. Hier stoße ich als Seelsorgerin an die Grenzen meines eigenen Vertrauens. Und dennoch führt es mich weiter.

„Beim Glauben geht es um eine andere Art von Wahrheit: um die Wahrheit der Liebe, und es geht um die Kostbarkeit des Lebens. Es geht um eine Wahrheit, die größer und tiefer ist als die Widersprüche des Lebens, als seine Schmerzen und sein Leiden. Dieser Glaube verneigt sich voll Respekt vor dem Geheimnis der Welt und tut einen nächsten Schritt. Er leidet an der Unerklärbarkeit Gottes und glaubt - und liebt - dennoch.“ *

* Michael Brems, „Flügel Liebe Ruh“, aus: Wege zum Menschen, 69.Jg., 539, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen.

(aus "ZeitFenster" Nr. 4 vom 23. November 2017 - Beilage im KirchenBlatt Nr. 47/2017)