Zeitlos schön und immer wieder aufs Neue begeisternd, das ist die Orgel. Warum das so ist, das lässt sich beispielsweise bei den Bludescher Orgelkonzerten erleben, die heuer ihren 50er feiern.

Heuer finden die Bludescher Orgelkonzerte zum 50. Mal statt. Auf Ihre Initiative hin ist das Festival 1970 erst überhaupt entstanden. Was waren damals Ihre Beweggründe dafür?
Prof. Bruno Oberhammer: Da waren mehrere Überlegungen ausschlaggebend:  Der damalige Bludescher Pfarrer Dr. Fridolin Walser war ein sehr offener, sehr kunstsinniger Mensch; ohne ihn wären die Bludescher Orgelkonzerte niemals Realität geworden. Der im heurigen Jänner verstorbene Wirtschaftswissenschafter und Historiker Dr. Guntram Jussel hatte eine enorme Managementbegabung; ohne ihn gäbe es keine Bludescher Orgelkonzerte, weil er der „Mann vor Ort“ war. Die Bludescher St. Jakobskirche ist der erste wirklich bedeutende Sakralbau der Bregenzerwälder Barockbaumeister; deren Zunftgründer und erster Meister Michael Beer hat um 1650 diese Kirche als ein wahres Juwel errichtet. Die uralte St. Nikolauskirche in Bludesch-Zitz ist seit dem Abschluss der viele Jahre dauernden und nur dank der Hartnäckigkeit von Dr. Guntram Jussel durchgeführten Restaurierungsarbeiten auch „Spielstätte“ eines der vier alljährlichen Konzerte. Wo gibt es das noch einmal: drei wirklich herausragende Kunstdenkmäler internationalen Ranges auf kleinem Platz versammelt?

Was macht die Bergöntzle-Orgel so einzigartig?
Prof. Oberhammer: Die Orgel in der Bludescher St. Jakobskirche ist das dritte der Bludescher Kunstdenkmäler, welche weit übers Land hinaus zu strahlen vermögen. Wenn ein solches Instrument nicht auch konzertant, d.h. eben nicht auch solistisch eingesetzt wird, bleibt es als etwas Besonderes nicht im Bewusstsein der Menschen, mit allen daraus sich ergebenden Konsequenzen!  Allein schon die Historizität dieser Orgel macht sie zu einem Unikat: gebaut wahrscheinlich vor etwa 260 Jahren in der berühmten Straßburger Silbermann-Werkstätte, auf dem Karrenweg um 1800 von Ostfrankreich nach Bludesch transportiert und vom Meister Joseph Bergöntzle nach Ausbesserung der damals unvermeidbaren Transportschäden in die dortige St. Jakobskirche eingebaut.
Es ist evident, dass die sog. „alten Orgeln“ nur darum so gut sind, weil sie immer wieder renoviert bzw. restauriert worden sind. Das gilt auch für die Bludescher Silbermann-Bergöntzle-Orgel, welche in drei Arbeitsphasen auf Hochglanz gebracht worden ist: bald nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Firma Rieger  –  gegen Ende der 1960er Jahre, im Zuge einer umfassenden Generalsanierung der Kirche, durch die Firma Neidhardt & Lhote  -  gegen Ende der 1990er Jahre durch die Firma Stemmer. Eine wesentliche Aufgabe der Bludescher Orgelkonzerte bzw. des Vereines der Bergöntzle-Orgel, in dessen Trägerschaft diese Orgel und die Bludescher Konzerte liegen, ist die ständige Pflege dieses außerordentlich kostbaren Instrumentes mit dem unverwechselbaren großen, ja gewaltigen Klang, den man beim bloßen Anblick dieser Orgel niemals erahnen würde!


OrganistInnen gibt es nie genug. Wie wichtig ist es gerade im Bereich des Orgelspiels, hier bewusstseinsbildend und nachwuchsfördernd am Ball zu bleiben?
Prof. Oberhammer: Generell:  die Orgel, die Orgelliteratur (inklusive stimmiger Improvisationen) beinhalten ein mächtiges pastorales Potential, welches in der Liturgie viel mehr eingesetzt und genutzt werden sollte!
Meiner Erfahrung nach muss schon hier Bewusstseinsbildung ansetzen: Orgel, Orgelspiel, Orgelmusik, das sind Bereiche, welche ins Transzendente zu verweisen vermögen. Kein Wunder also, wenn die Orgel nicht jedermanns Sache ist. Man muss sich auf den Kosmos dieses Instrumentes einlassen, dann aber wird man reichlichst beschenkt. Das gilt auch hinsichtlich der Gesundheit: es gibt kein weiteres Instrument, das den Spieler so ganzheitlich fordert und damit auch fördert, wie es eben der Orgel eigen ist. Dieser Aspekt wird meines Erachtens viel zu wenig bedacht. (Ein Beispiel: der virtuose Organist muss weitaus schneller trippeln können als der beste Fußballspieler!)  


Wenn Sie auf die vergangenen 50 Jahre zurückblicken, was waren da Ihre ganz persönlichen Highlights?
Prof. Oberhammer: Da gab es bei den Bludescher Konzerten im Laufe ihrer 50 Bestandsjahre viele. Mir fallen spontan ein: die Aufführung aller Motetten von Johann Sebastian Bach, die Aufführung seines „Musikalischen Opfers“, die zyklische Aufführung der Geistlichen Konzerte von Heinrich Schütz, die Aufführung der „Marienvesper“ von Claudio Monteverdi, die Aufführungen der „Fiori musicali“ von Girolamo Frescobaldi im Sinne der Alternativpraxis, Uraufführungen von Gerold Amann, Helmut Sonderegger, Murat Üstün  …..   Und immer wieder Gregorianischer Choral.


Welchen Wunsch würden Sie sich für die Orgelkonzerte in Bludesch gerne erfüllen?
Prof. Oberhammer: Dass diese Konzertreihe weiterhin Bestand haben kann, dass sie weiterhin im Sinne einer „Leuchtturm-Funktion“ strahlen und damit vielen Menschen Freude bereiten kann.


Das erste Konzert der Reihe wurde heuer ein "Opfer" der Corona-Pandemie. Das Eröffnungskonzert hat nun Harmonie, Gesundheit und die Ganzheit des Mensch-Seins zum Thema. Wie kam es zu dieser "prophetischen" Themenfindung?
Prof. Oberhammer: „Das zweite wird das erste sein.“ – Bei der Planung der heurigen Internationalen Bludescher Konzerte hatten wir keinerlei „prophetischen“ Ambitionen. Uns hat die Absicht geleitet, in sich stimmige, anspruchsvolle Programme zu erstellen, welche von den Anfängen der europäischen Musik (= Gregorianischer Choral) bis in die unmittelbare Gegenwart (= Improvisationen) führen sollen. Durch die Covid-19-Pandemie ist das erste Konzert entfallen, und das an sich zweite Konzert, das für die „orgellose“ St. Nikolauskirche geplant war, wird nun also das erste, das Eröffnungskonzert – ohne Klänge der historischen Orgel. Ironie der Geschichte: Internationale Bludescher Orgelkonzerte ohne Klänge der Silbermann-Bergöntzle-Orgel?  -  Die Spiritualität der Texte von Rainer-Maria Rilke, von David Steindl-Rast und von Walter L. Buder sowie der Violoncello-Musik von Johann Sebastian Bach, also das Programm dieses Konzertes wird dieses Manko hoffentlich aufwiegen! Ist Spiritualität nicht aus sich heraus schon „prophetisch“, indem sie nämlich ungewohnte, weite Räume aufreißt und aus dem Alltag hinausweist?


Das Eröffnungskonzert ist sicher eines der ersten Konzerte in Vorarlberg nach dem großen Lockdown. Wie erleben Sie die Stimmung vor dem Konzert - gespannt, nach der langen Pause, Freude, ...
Prof. Oberhammer: Freude, Dankbarkeit, Zuwendung, Glück, Hoffnung …

Bruno OberhammerZur Person

Prof. Bruno Oberhammer
(* 1946 in Gaißau) studierte in Österreich, Deutschland und der Schweiz u. a. Musikpädagogik, Klavier, Orgel, Komposition, und Musikwissenschaft. Ab 1977 lehrte er am Vorarlberger Landeskonservatorium.
Die Gründung der Bludescher Orgelkonzerte 1970 basierte maßgeblich auf dem Engagement Prof. Oberhammers.