Die Gebetsraumwanderung in Hohenems machte Glaubensräume und -traditionen erlebbar und brachte Mitglieder unterschiedlicher Religionsgemeinschaften auf unkomplizierte Weise miteinander ins Gespräch.

Patricia Begle

Die Idee der Gebetswanderung entstand im Nachdenken darüber, was denn Religionen verbindet, was bei allen Tradition ist. Das Gehen ist ein solches Tun. Ob in Prozessionen oder beim Pilgern, es findet in allen Weltreligionen seinen Platz, wohl deshalb, weil in ihm eine große spirituelle Kraft liegt.

Schätze in Hohenems

Mit der Idee des Gehens verbanden sich dann schnell die Gebetsräume, die in Hohenems in einem Umkreis von wenigen Kilometern liegen und „Schätze sind, die kaum geschätzt werden“, erklärte der Hohenemser Johannes Reis. Der Religionslehrer gehört zur Arbeitsgruppe „Religion“ der Stadt Hohenems, die die Veranstaltung organisiert und ausgeführt hat. „Wir wollen mit der Wanderung nicht die verschiedenen Religionen erklären“, erläutert er. „Vielmehr wollen wir das Verbindende zeigen und die Leute miteinander in Kontakt bringen.“

Islamisches Kulturzentrum

Treffpunkt der Wanderung war beim Islamischen Kulturzentrum (IKZ) in der Friedhofstraße. Die Leiterin des Integrationsreferates der Stadt Hohenems, Angelika Yekdes, begrüßte die Gruppe. Gut fünfzig interessierte Frauen, Männer und Kinder waren gekommen. Der stellvertretende Obmann des Vereines, Akten Senol, führte in den Gebetsraum, erzählte kurz über Geschichte und Tätigkeiten des Vereines, der schon seit dreißig Jahren hier in der Straße einen Platz gefunden hat. Als Gebet rezitierte der ehemalige Imam des IKZ eine Sure aus dem Koran - singend. Die Teilnehmer/innen lauschten gespannt.

Kapelle St. Karl

Die zweite Station war die Kapelle St. Karl, in der die evangelische Gemeinde Heimat gefunden hat. Pfarrer Michael Meyer aus Dornbirn tat einen Blick zurück in die Geschichte und erklärte, wie die evangelische Kirche entstanden ist. Er erläuterte jene Inhalte, die sowohl Zentrum des Glaubens sind als auch das Verbindende zwischen allen christlichen Konfessionen: die Verbundenheit mit Jesus Christus und die „Gute Nachricht“, das Wort Gottes.  Als Beispiel für ein Schriftwort las er aus der Bergpredigt. Meyer verwies auch auf Abraham, der im Judentum, Christentum und Islam Ursprungsgestalt ist und die Religionen miteinander verbindet. „Wir kennen uns alle viel zu wenig“, bedauerte der evangelische Theologe. Ziel solle es sein, „eine Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens zu schaffen, in der sich die Konfessionen besser kennenlernen können.“

Kirche St. Karl

Durch die Kirche St. Karl führte Johannes Reis. Auf gut verständliche und humorvolle Art vermittelte er Inhalte und äußere Zeichen des christlichen Glaubens wie Heiligendarstellungen, Kreuzzeichen oder Kniebeuge. Anhand von Ambo und Altar erklärte er die Grundelemente der Eucharistiefeier. Abschließend wählte er eine ganz besondere Gebetsform - das Orgelspiel.

Jüdische Synagoge

Die ehemalige Synagoge, der Salomon-Sulzer-Saal, war dann das nächste Ziel. Elisabeth Bitschnau, Mitarbeiterin des Jüdischen Museums, führte vor Augen, wie die jüdische Gemeinde in die Stadt kam und im Zuge der Ideologie des Nationalsozialismus diese wieder verlassen musste. Die Synagoge wurde später bis zum Jahr 2001 als Feuerwehrhaus genutzt. Die Ritualgegenstände im Rauminnern sind bis heute nicht mehr wiedergefunden worden. Elisabeth Bitschnau erklärte anhand von Bildern die Grundelemente des jüdischen Glaubens und sprach abschließend ein Gebet, das auch bei jüdischen Begräbnissen gebetet wird.

Kirche St. Konrad

In der zweiten katholischen Kirche, in St. Konrad, brachte Walter Wehinger das Gotteshaus den Gästen näher. Auch er gehört zur Arbeitsgruppe „Religion“, in der Pfarre ist er PGR-Mitglied. Anhand der Architektur und Gestaltung des Kirchenraumes erklärte er christliche Glaubenselemente. Beispiel dafür war die große Gestalt des Auferstandenen. „‚Kommt alle zu mir, die ihr beladen seid‘ spricht der Auferstandene uns zu“, erläuterte Wehinger. Die Form des Gebets, zu der er am Ende einlud, kommt in allen Religionen vor: die Stille.

ATIB

Das Zentrum der „Türkisch-islamischen Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit“, kurz ATIB, war dann die letzte Station. Nach der Begrüßung von Obmann Osman Güvenc, der in der Arbeitsgruppe „Religion“ das ATIB vertritt, zogen die Teilnehmer/innen ihre Schuhe aus und nahmen Platz am großen Gebetsteppich. „Auch wenn der Glaube verschieden ist, können Menschen friedlich miteinander leben“, war die Botschaft von Imam Ahmed Altacia. Als Gebet hatte er eine Stelle aus dem Koran gewählt, in Originalsprache. „Jede Sprache hat eine eigene Atmosphäre“, erläuterte Semra Kandemir. Sie fungierte als Übersetzerin und vermittelte Einblicke in den islamischen Glauben sowie in die Tätigkeiten des ATIB. Das Zusammengehörigkeitsgefühl spielt hier eine große Rolle, die gemeinsamen Gebetszeiten und Feste. Auch der Religionsunterricht gehört zu den zentralen Aufgaben des ATIB.

Austausch

Nicht nur in den Gebetsräumen wurde Wissenswertes vermittelt. Auch während des dreistündigen Gehens kam es zu intensiven Gesprächen, Erfahrungen wurden weitergegeben, Eindrücke ausgetauscht. Dabei wechselten die Gesprächspartner/innen - von der katholischen Frau über die muslimische Jugendliche bis hin zum Imam, der natürlich stets einen Übersetzer zur Seite hatte.

Diese Gespräche setzten sich auch beim letzten Teil der Veranstaltung fort: beim Buffet im ATIB. Hier durften alle Beteiligten hinein schmecken in die Kultur und Gastfreundschaft der muslimischen Hohenemser/innen.

KOMMENTAR

„Wo wohnst du?“

Diese Frage legte der Evangelist Johannes den Jüngern in den Mund, als sie Jesus begegneten. Jesu Antwort: „Kommt und seht!“ Dieses „Zu-Gast-Sein“ hat bis heute seine besondere Bedeutung, wenn es um das gegenseitige Kennenlernen geht. Denn wenn wir das Haus oder die Wohnung eines Menschen betreten, dann erschließt sich uns in gewisser Weise ein Teil von seinem Wesen. Wir können zum Beispiel auf die Ordnungsliebe schließen oder auf den Geschmack. Wir nehmen die Atmosphäre wahr und erkennen mit Augen, Ohren und Nase, welche Zeichen er setzt und welche Spuren er hinterlässt.

Mit sakralen Räumen ist es ganz ähnlich. Auch dort wird Glaube erschlossen - unmittelbar und mit allen Sinnen. Jemanden in die eigenen vier Wände zu lassen, hat natürlich mit Vertrauen zu tun. Auch bei Gebetsräumen. Immerhin wird Zugang erlaubt zu dem, was jemandem heilig ist. Was die Gäste betrifft, wird mit Respekt und Achtsamkeit gerechnet.

Die Gebetsraumwanderung stand damit nicht am Anfang der Beziehungen zwischen den Hohenemser Religionsgemeinschaften. Hier gab es schon Interesse füreinander und Vertrauen zueinander. Die Veranstaltung wird auch nicht der Abschluss der Beziehungen sein, sondern in ein Mehr münden, das den Kontakt zunehmend vertiefen und verbreitern wird. Dabei wird sich auch der Kreis der Teilnehmenden weiten. Denn Vertrauen vertreibt Ängste. Und Interesse für andere bewahrt vor mancher Form der Selbstzufriedenheit.  Patricia Begle