Ein Zeitpolster zu haben, war immer schon eine gute Sache - schließlich entlastet und befreit es von Druck. Seit ein paar Jahren hat „Zeitpolster“ dank Gernot Jochum-Müller aber eine weitere Bedeutung: Die „innovative Betreuungsform“ ist eine Art Zeitpension. Wie sie funktioniert, was das Ganze bringt und wer mitmachen kann - das KirchenBlatt hat nachgefragt.

Gernot Jochum-Müller ist von seinem „Produkt“, das eigentlich aus Japan kommt,  überzeugt - das wird im KirchenBlatt-Gespräch schnell klar. Vor ein paar Jahren setzte der Unternehmensentwickler seinen Wunsch nach einem „Projekt, das sinnvoll ist“ in einem Konzept um, das schnell Kreise zog und Wirklichkeit wurde: Ein Vorsorgesystem, bei dem man Zeit statt Geld „anspart“.

Das Problem

Jochum-Müller ortet in unserer Gesellschaft zwei große Probleme. „Wir werden als Gesellschaft immer älter, wodurch mehr Menschen im Erwerbsprozess sind und viele Aufgaben, die früher im Familienverbund oder in der Nachbarschaft selbstverständlich waren, brach liegen“, erklärt er. Gleichzeitig nimmt der Bedarf an Betreuungsleistungen stark zu, wodurch die Kosten steigen und die Betreuungsstunde für alte Personen (oder ihre Familien) immer teurer wird. „Wir wissen aber, dass die Hälfte der Menschen, die Pflegegeld beziehen, eine Pension von unter 860 Euro haben“, so Jochum-Müller.

Die Lösung

Eine Lösung könnte für den Unternehmensentwickler „Zeitpolster“ sein - eine Betreuungsform, die sich in Österreich vor allem in Wien und Vorarlberg bereits einen Namen gemacht hat. „Zeitpolster sind Betreuungsleistungen, die eigentlich jede Person erbringen kann.“ Egal ob Unterstützung in der Mobilität wie Fahrdienste, Mithilfe im Haushalt, das Vereinbaren von Arztbesuchen, pflegende Angehörige für zwei, drei Stunden freispielen, einkaufen,  im Garten helfen, kleinste handwerkliche Dinge oder das Organisieren von Freizeitprogramm - es sind die einfachen Dinge, die oft weiterhelfen und viel zur Lebensqualität beitragen.

Heute für morgen

Statt Geld, erhält der/die Helfer/in ein Zeitguthaben, das später  (im Alter) wieder für eigene Betreuungsleistungen eingesetzt werden kann. Frei nach dem Zeitpolster-Motto: „Heute helfe ich, morgen wird mir geholfen.“ Ganz ohne Geld geht es aber natürlich nicht: „Die Person, die die Leistung erhält, zahlt acht Euro in der Stunde - davon fließt die Hälfte in Administration und Organisation, die andere Hälfte auf ein Notfallkonto.“ Zwar wird den Helfer/innen für ihren Einsatz nicht unmittelbar Geld ausbezahlt, vom Notfallkonto können später aber Leistungen zugekauft werden, wenn Zeitpolster keine entsprechende Betreuung leisten kann. „Bis dahin wird die Betreuungsstunde zwar viel teurer sein, aber es ist trotzdem ein solidarisches Miteinander-Ansparen  von Geld“, ist Jochum-Müller überzeugt. Die Stunden kann man übrigens ein Leben lang ansparen - sie sind aber weder übertragbar noch erbbar.

Erste Erfahrungen

Dass das Modell funktioniert, zeigen rund 75 Personen, die in Dornbirn, Hard, Bludenz, im Montafon und im Vorderwald als Gruppe organisiert sind. Neben Workshops erhalten sie Reflexionsmöglichkeiten, Schulungen und Vernetzung mit Experten. „Einer der größten Qualitätsgaranten ist dieses Team vor Ort, das den Bedarf prüft und den richtigen Helfer sucht“, spricht Jochum-Müller aus Erfahrung. „Es geht ganz viel um Beziehungsleistungen“, erhält Zeitpolster gute Rückmeldungen, „weil wir Leute haben, die Zeit haben, die das gerne tun und sich auf die Aufgabe freuen“.

Empfehlung aus erster Hand

Zwei von ihnen sind Maria Stüttler aus St. Anton und Rosina Wimmer aus Klaus. Seit Juni 2018 sind die Frauen bei Zeitpolster aktiv und erledigen dabei unterschiedliche Aufgaben. Als pensionierte Köchin unterstützt Stüttler ein älteres Ehepaar in Bludenz rund drei Stunden pro Woche bei diversen Haushaltstätigkeiten und hilft alle drei Wochen auch bei einer älteren Dame aus. „Zeitpolster ist mehr als nur reine Betreuung“, schätzt sie vor allem die persönliche Komponente und Beziehung, zu der manchmal auch ein Kaffeeplausch dazugehört. „Ich habe mir immer schon gedacht, dass ich das gerne machen würde“, zeigt sich auch Wimmer begeistert. Die diplomierte Krankenschwester arbeitet in einem Haus der Generationen in der Altenpflege und hilft zudem eineinhalb Stunden pro Woche bei einer älteren Frau aus, „um die Enkelin zu entlasten“. Ob sie Zeitpolster weiterempfehlen würden? „Auf jeden Fall.“ Die Kombination aus sinnvoller Tätigkeit, Beziehungsarbeit und Ehrenamt, das später auch entgolten wird, hat die Frauen überzeugt. Die demografische Entwicklung mache Zeitpolster zudem notwendig, weist Wimmer darauf hin, dass bislang lediglich 20 Prozent der älteren Mitmenschen im Heim betreut werden.

Mehr als „nur“ ein Ehrenamt

Im Gegensatz zum klassischen Ehrenamt kostet die Stunde bei Zeitpolster etwas und wird auch mit einer Zeitgutschrift entgolten, hebt Jochum-Müller die Vorteile hervor. Die Folge? Die Helfer/innen-Schar ist bunt gemischt - „und ein toller Effekt ist, dass auch Männer mitmachen. Das findet man sonst in dem Bereich wenig“, grinst Unternehmensentwickler Jochum-Müller und fügt hinzu: Nicht selten passiere es, dass sich bei Zeitpolster Leute aus dem gleichen Dorf treffen, die sich noch gar nicht kennen. Wie viel man arbeiten möchte, bleibt übrigens jedem und jeder selbst überlassen, ein Strafregisterauszug muss trotzdem vorgelegt werden.

Viele Möglichkeiten

Wem die „üblichen“ Betreuungsleistungen nicht liegen, der ist bei Zeitpolster trotzdem willkommen. „Wir brauchen dringend auch Leute, die Gruppen organisieren, Treffen einberufen oder mit dem PC umgehen können“, betont Jochum-Müller, dass die Gruppen das Herzstück von Zeitpolster sind. Und von denen möchte er noch viele in Vorarlberg gründen.

Zukunftsperspektive

Die weiteren Ziele sind für Jochum-Müller ebenfalls schon klar: Größer werden, um den jetzigen Verein später in eine Stiftung zu überführen und mit Blick auf das Geld so mehr Sicherheit gewährleisten zu können. Auch wenn die gelebte Gemeinschaft für ihn die höchste Sicherheit bleibt.

Weitere Informationen sowie die Möglichkeit, sich als Helfer/in zu registrieren, finden Sie online unter:

www.zeitpolster.com

T +43 664 8872 0770