Wann ist ein Mann ein Mann? Wann ist er ein Held? Oder, muss er überhaupt einer sein? Zugegeben, diese Fragen sind nicht neu, wenn sie aber von Don Quichotte bei der Bregenzer Festspielen gestellt werden, dann ist das schwer applausverdächtig.

Don Quichotte ist heute das, was man wohl einen stehenden Begriff nennen würde. Fällt dieses Stichwort wissen alle Bescheid. Schon klar, der Ritter von der traurigen Gestalt, schwer verliebt und nicht minder verwirrt, Kampf gegen Windmühlen und so. Und natürlich, Sancho Pansa, sein rundlicher und treuer Gefährte, der dem Irdischen nicht abgeneigt ist und seinen Herrn nicht selten aus misslichen Lagen zu befreien hat. Dulcinea, das ist die Angebetete und dann hätte man dieses Trio auch schon beisammen.

Aus eins mach drei

Bei Jules Massenets gleichnamiger Oper zum Helden - die übrigens 1910 in Monte Carlo uraufgeführt wurde - ist das im Grunde nicht anders. Stellt sich Miguel de Cervantes, der Autor des irrlichternden Ritters, mit seinem Don Quichote vor allem die Frage, was Realität und was Fiktion sei, so lässt Massenet Fiktion Fiktion sein und widmet sich mit seinen Helden vor allem der Freundschaft, der Aufrichtigkeit und der wahren, reinen Liebe, die vielleicht auch nur eine Sehnsucht nach derselben ist. Kommt dazu - noch als dritte Perspektive quasi - der Zugang der Regisseurin Mariame Clément, dann hat man schlussendlich das, was bei den Bregenzer Festspielen derzeit als Hausoper der Saison zu sehen ist: einen sehr aktuellen Blick auf Geschlechterrollen und Geschlechterkonstruktionen, ein klug geführtes Regierkonzept und schlicht und einfach grandiose Stimmen.

Was macht denn da Mariame Clément so richtig? Nun, während sich Henri Cain und Jacques Le Lorrains - die beiden Librettisten der Oper - nur dezent entlang der Cervante'schen Vorlage orientierten, greift Clément diesen nun einmal gespielten Ball auf und belässt jedem der 5 Akte eine gewisse Eigenständigkeit. Man könne jeden Akt als eine kleine Oper in sich verstehen, meinte sie dazu. Das tut sie und genau dadurch wird ihr Don Quichotte und mit ihm Sancho Pansa und Dulcinée so viel mehr als der arme Irre im Kampf gegen Windmühlen.

Helden von heute

Das beginnt schon mit einem recht launigen Einstieg ins Geschehen, der mittels Imagevideo für einen Rasierklingenhersteller bewerkstelligt wird. Im Grunde aber sind genau damit die Vorzeichen für den Abend klar: Wann ist ein Mann ein Mann und wann ist er ein Held, fragen sich da die rasierwilligen Mannsbilder. Muss ein Mann machohaft und chauvinistisch durch die Welt spazieren? Muss er austeilen und zuschlagen? Muss er andere klein halten, um sich seiner Größe zu vergewissern? Nein, muss er nicht. So die Antwort der Werbung. Es gibt auch kleine Helden, stillere. Und Don Quichotte ist einer von ihnen. 

Warum? Weil er Dulcinée liebt - vielleicht auch nur die Vorstellung von ihr. Im Grunde aber macht das für ihn keinen Unterschied. Weil er für sie selbst zu Banditen und Räubern hinuntersteigt und weil er auch vor der Lächerlichkeit nicht zurückschreckt. Sancho Pansa steht ihm im Sinne dieser Heldenhaftigkeit übrigens in nichts nach. Er, der anfangs seinem Herrn brav folgt, weil dieser ihm Reichtum und Ansehen in Aussicht stellt, wird schließlich zum Freund. Sancho bleibt bei Don Quichotte, er verteidigt ihn gegen Gelächter und Gespött, er leidet mit ihm, wenn ihn Dulcinée abweist und er weint um ihn, als sein Herr, der zum Freund wurde, stirbt. So sehen wahre Helden aus, auch wenn man es ihnen auf den ersten Blick vielleicht nicht ansehen mag.

Frauen mit Machtansprüchen

Dulcinée wird bei Mariame Clément übrigens von der koketten, spanischen Schönheit zur modernen Frau in Führungsposition. Die Männer liegen ihr da wie dort zu Füßen. Aber selbst sie, die Don Quichotte nie ernsthaft liebend in Betracht gezogen hatte, ist schlussendlich gerührt und berührt von seiner Treue und seiner aufrichtigen Liebe. Natürlich weist sie ihn ab, begründet ihr "Nein" aber mit ihrer Art das Leben zu genießen - frei und überschwänglich. Das Leid Don Quichottes wäre an ihrer Seite ein ungleich größeres als ohne sie. So sagt Dulcinée.

Das alles tauchte Jules Massenet nun in wunderschöne Musik, die ebenso der Welt enthoben erscheint wie ihre Helden. Daniel Cohen holt sie mit den Wiener Symphonikern aus den Wolken zurück, was im Bregenzer Festspielhaus schlicht und einfach zum Erlebnis wird. Und dann die Stimmen. Dulcinée (Anna Goryachova) wunderbar dunkel und doch neckisch verspielt, genauso aber auch ehrlich gerührt, wenn Dulcinée ihre Rolle in den wenigen intimen Momenten mit Don Quichotte kurz ablegt. Über Gábor Bretz in der Titelrolle braucht man nichts anders zu vermelden als: einfach großartig! Und David Stout als Sancho Pansa ist in seinen großen Auftritten im 4. und 5. Akt schlichtweg ergreifend gut.

Das hört sich gut an

Der Applaus war damit sowohl dem Stück in der Bregenzer Inszenierung als auch allen AkteurInnen, SängerInnen und MusikerInnen mehr als nur zu recht sicher. Richtig zu tosen begann es im Applausmeer aber jedes Mal, wenn einer der drei - Dulcinée, Sacho Pansa oder Don Quichotte - die Bühne zum großen Schlussapplaus betrat. Sie waren HeldInnen und sie wurden gefeiert wie HeldInnen.

Termine

"Don Quichotte" von Jules Massenet, die Hausoper der Bregenzer Festspiele 2019, wird noch am 

21. Juli, 11 Uhr und am
29. Juli, 19.30 Uhr

aufgeführt. Die Aufführung dauert 2,5 Stunden (inkl. Pause).

Karten unter: www.bregenzerfestspiele.com 

(aus dem Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 30/31 vom 25. Juli 2019)