Wie Menschenrechte und Wirtschaft zusammenhängen, darüber gibt Wolfgang Dietrich beim Tag der Menschenrechte am 10. Dezember in Rankweil Auskunft. Das KirchenBlatt stellte dem Innsbrucker Professor vorab Fragen zum Thema - lesen Sie im Folgenden die spannenden Antworten, die zum Weiterdenken herausfordern.

Bild: 44 Organisationen, die sich in Vorarlberg für Menschenrechte einsetzen, laden am 10. Dezember zum „Tag der Menschenrechte 2017“ nach Rankweil.

Die Fragen stellte Patricia Begle

Prof. DDr. Wolfgang Dietrich Prof. DDr. Wolfgang Dietrich ist Friedens- und Konfliktforscher an der Universität Innsbruck.

„Für eine Wirtschaft auf Basis der Menschenrechte“ - so der Titel Ihres Vortrages. Worauf basiert denn das derzeitige Wirtschaftssystem und inwiefern erschwert es die Einhaltung der Menschenrechte?
Die Menschenrechte und das aktuelle Weltwirtschaftssystem wurzeln beide in der Idee des Liberalismus, wie er in der frühen Moderne verstanden wurde. Seither haben sich Werteliberalismus und Wirtschaftsliberalismus aber Schritt für Schritt voneinander gelöst, bis sie sich im Zeichen des so genannten Neoliberalismus der letzten drei Jahrzehnte geradezu feindlich gegenüberzustehen begannen. Die jüngsten Wahlkämpfe haben diesen Widerspruch sehr anschaulich zum Ausdruck gebracht, am besten vielleicht in Deutschland im Zuge der so genannten Jamaika-Verhandlungen: Auf der einen Seite die radikal wirtschaftsliberale FDP, auf der anderen die streng werteliberalen Grünen. Der Liberalismus erwies sich als mit sich selbst nicht mehr vereinbar.

Was ist Ihr Bild von Wirtschaft?
Wirtschaft, altgriechisch Ökonomie, bedeutet die Gesamtheit aller Handlungen, die zur planvollen Befriedigung menschlicher Bedürfnisse dienen. Mit dieser Definition kann ich gut leben.  

Was braucht es, damit dieses Bild verwirklicht wird? Welche Bedeutung kommt dabei der spirituellen Ebene zu?
Spiritualität ist ein Potenzial, das in der menschlichen Natur angelegt ist. Wie sehr es verwirklicht und befriedigt wird, hängt von vielen Umständen ab, weil wir Menschen beziehungshafte Wesen sind. Wenn Wirtschaft, wie gerade gesagt, die planvolle Befriedigung menschlicher Bedürfnisse meint, muss das auch den spirituellen Aspekt des Menschseins einschließen. Die wirtschaftlichen Bedingungen formen unsere Spiritualität, während unsere Spiritualität unser Wirtschaften bestimmt. Es ist ein Kreislauf, der mit menschlichen Mitteln nicht unterbrochen werden kann.

Wäre eine solche Form der Wirtschaft Beitrag oder Bedingung für Frieden?
Das wirft die Frage auf, was Frieden ist. Versuchen Sie, Ihre ganz persönliche Interpretation von Ihrem Frieden zu finden, ohne ihn durch sein vermeintliches Gegenteil, also Krieg, Gewalt, Konflikt zu bestimmen. Wenn Sie eine solche Definition finden, fragen Sie sich, was Ihr ganz persönlicher Frieden mit Ihrem ganz persönlichen Wirtschaften zu tun hat.
Als kleine Hilfe meine persönliche Definition, die ich mir vor langer Zeit in Indonesien erarbeitet habe - Frieden bedeutet demnach: Finde deinen Ort und handle danach! Hat das etwas mit Wirtschaften zu tun? Darf ich das als Sonntagsfrage stehen lassen? 

Was kann der bzw. die Einzelne tun? Was liegt in der Verantwortung von Politik und Unternehmen?
Ich sagte zuvor, dass der Mensch von Natur aus ein beziehungshaftes Wesen ist. Daher sind unsere Frieden notwendigerweise beziehungshaft, und genau genommen gibt es nicht „den Einzelnen“, so wie ihn das moderne Denken hervorgebracht hat. Zum Verstehen des Individuums, des handelnden Subjekts, hat uns die Neurowissenschaft in den letzten Jahren revolutionäre Einsichten geliefert. Wir sind immer, in jedem Moment unseres Lebens, in komplexe Beziehungen mit anderen einbezogen, und wir können wenig in der linearen Weise: Wenn A, dann B „tun“. Aber unser Handeln beeinflusst immer das ganze Weltsystem, wenn auch meist nur in ganz kleinen Dosen und chaotischen Wirkweisen. Daher lade ich ein, die Verantwortung nicht zwischen uns, den „guten“ Einzelnen, und den „bösen“ Unternehmen oder der Politik zu teilen. Das ist künstlich. Wir bekommen nicht nur die Politiker/innen, die wir verdienen, wir SIND unsere Politik, und wir SIND unsere Unternehmen, weil wir in ihnen arbeiten und aus ihnen leben und konsumieren.

„Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen“,  ist Hans Küng in der Erklärung zum „Projekt Weltethos“ überzeugt. Worin sehen Sie die Bedeutung der Religionen?
Ich stimme insofern zu als beides, Nation und Religion, Institutionalisierungen menschlicher Bedürfnisse und Neigungen im großen Rahmen sind. Auf dieser Ebene treffen sie sich und bedingen einander. Aber weder der Nationalstaat noch die verkirchlichte Spiritualität sind anthropologische Konstanten, was heißt, beide sind nicht unentbehrlich für menschliches Zusammenleben. Wahrscheinlich ist es im Vorarlberg von heute schwer vorzustellen, aber über den größten Teil unserer Geschichte haben wir Menschen unsere Wirtschaft und unsere Spiritualität in anderen Formen organisiert.  

Was sagen Sie zum Begriff „Wirtschaftsflüchtling?“ Wie können wir mit Menschen umgehen, die wegen Hunger fliehen?
Das ist einer der dümmsten Begriffe, den die Politik in den letzten Jahrzehnten geboren hat. Er drückt deren Unfähigkeit zum angemessenen Umgang mit selbst mitverursachten Dynamiken aus. Er verstellt unser aller Blick auf eine realistische Analyse der globalen Verhältnisse. Er pervertiert die mit Blut und Tränen erarbeiteten Normen, die das Völkerrecht zum Schutz in Not Geratener entwickelt hat, zum Schutzschild unverschämt reich gewordener Gesellschaften vor denen, die in diesem Weltwirtschaftssystem nicht mehr das Auslangen finden können. Diese Menschen ohne Alternative abzuweisen, ist wirtschaftlich unklug und ethisch unvertretbar. Unser aktuelles Verständnis des Liberalismus ist auch diesbezüglich mit sich selbst nicht vereinbar. «

Tag der Menschenrechte

„Menschen-Rechte-Wirtschaft“ lautet das diesjährige Thema des Tages der Menschenrechte 2017. Die „Vorarlberger Plattform für Menschenrechte“ lädt nach Rankweil ein.

So 10. Dezember,
Vinomnasaal, Rankweil.

Programm

  • 14 Uhr: Ankommen (Kaffee, Infostände …)
  • 15 Uhr: „Für eine Wirtschaft auf Basis der Menschenrechte“. Vortrag von Prof. Wolfgang Dietrich, Friedens- und Konfliktforscher, Universität Innsbruck
  • 16.30 Uhr (parallel):
    Dialoggruppen
    Begegnungsräume:
    Regeln für Konzerne weltweit (Südwind Vorarlberg)
    Projekt Bank für Gemeinwohl (Michael Zorn)
    Die Macht der Konsument/innen (Hubert Feurstein)
    Film : „Die Zukunft ist besser als ihr Ruf“ - Ausschnitte - Presseheft
  • 17.30 Uhr: Abschluss und Zusammenschau
  • 18 Uhr: Ausklang mit Essen und Musik


Moderation: Martina Eisendle
Musik: Bartlis im Trio
Ausstellung: Global arbeiten, global handeln.

Anmeldungen unter

(aus dem KirchenBlatt Nr. 48 vom 30. November 2017)