In zwei Wochen tagen Mitglieder der Fokolar-Bewegung gemeinsam mit christlichen und muslimischen Theologen in St. Gallenkirch im Montafon. Im Rahmen dieses Treffens wird es auch einen öffentlichen Vortrags- und Diskusisonsabend in Nüziders geben. Das KirchenBlatt sprach im Vorfeld mit Sr. Margareta Gruber, Professorin für Neues Testament, über den christlich-muslimischen Dialog.
Termin: Im Dialog - in Nüziders
Interview: Wolfgang Ölz
Sie beteiligen sich seit zwei Jahren an der christlich-muslimischen Dialoggruppe der Fokolar-Bewegung. Welche Erfahrung machen Sie?
Sr. Margareta Gruber: Da kommen Menschen zusammen, die eines verbindet: der Glaube an einen liebenden Gott und die Überzeugung, dass man das im konkreten Zusammenleben der Menschen sichtbar werden lassen kann. Ich mache dort die Erfahrung, die ich im interreligiösen Gespräch immer wieder mache: Religion als Inbegriff von Glaubenslehre und Tradition trennt, Religiosität als gelebte und praktizierte, erfahrene Gläubigkeit verbindet, oft auf überraschende Weise. Man lernt auch - was eigentlich eine Banalität ist - dass es nicht „den Islam“ oder „die Muslime“ gibt, sondern sehr verschiedene und verschieden denkende Menschen. Insofern wird es immer schwieriger mit generalisierenden Aussagen über „den Islam“.
Eine am Koran orientierte Interpretation versteht Gott als einen, „der Mitliebende sucht“ (Prof. Dr. Mouhanad Khorchide). Entspricht dieser Textbefund auch Ihren neutestamentlichen Forschungen?
Gruber: Da freut sich mein franziskanisches Herz, denn so sieht es auch der Franziskanertheologe Duns Scotus, der 1308 starb und in Köln begraben ist. Mich hat dieser Gedanke schon als junge Schwester fasziniert, und ich gebe ihn meinen Studierenden immer weiter, vor allem, wenn ich das Johannesevangelium auslege.
Im Neuen Testament kann man an viele Stellen denken, die zum Lieben aufrufen - am meisten denke ich jedoch an die Gestalt Jesu selbst. Der muslimische Dichter Khalil Gibran hat ihm den Ehrentitel des „größten Liebenden“ gegeben. Das ist sehr schön und wahr. In ihm kam Gott auf die Welt, um durch ein menschliches Leben, in einem liebenden Menschen, zu zeigen, wie er, Gott, liebt. Das zeigt gleichzeitig auch, wie groß Gott vom Menschen denkt: Er kann lieben, wie Gott liebt. Und Gott sucht Menschen, die wie er lieben. Also können wir mit Gott lieben.
Wenn ein muslimischer Gläubiger wie Mouhanad Khorchide das auch so empfindet, zeigt das für mich, dass es eben nur einen Gott gibt, den Liebenden, auch wenn wir ihn in unseren Religionen auf unterschiedliche Weise verehren. Insofern überrascht mich das nicht.
Wie sehen Sie die sogenannten Schwertverse im Koran, die - eindimensional betrachtet - Gewalt legitimieren? Entsprechen sie ähnlichen Stellen im Alten Testament?
Gruber: In der christlichen Bibel gibt es viele Texte, die von Gewalt reden, sie beschreiben und sie auch legitimieren. Die meisten stehen im Alten Testament, aber man darf nicht den Fehler machen, das gewalttätige Alte Testament gegen das friedliebende Neue Testament auszuspielen. Die Bibel, und vor allem das Alte Testament, zeigt die Welt und die Menschen, wie sie sind - mit der Gewalt und der Sünde, die unsere Geschichte bestimmt. Da wird nichts beschönigt. Ich würde sagen, dass die gewalttätigen Texte in der Bibel, vor allem die, in denen im Namen Gottes Gewalt geschieht, dem Menschen aufdecken sollen, wie er Gott für seine eigenen Bedürfnisse missbraucht. Wenn man die Bibel so liest, ist sie ein kompromissloser Gewissensspiegel.
Wenn ich das so sage, entscheide ich mich natürlich für eine bestimmte Lesart der Bibel, eine kritische und eine historische, nicht für eine wörtliche. Und ich habe so etwas wie einen Kanon, eine Richtschnur meiner Lektüre: Ich lese die Heilige Schrift nicht nur historisch, sondern auch theologisch, und das bedeutet, vom Christusereignis her. Deshalb ist der letzte Maßstab für das Verhältnis zwischen Gott und Gewalt das Leben Jesu, und dort findet sich sehr eindeutig keinerlei Ansatzpunkt zur Rechtfertigung von Gewalt.
Da ich die Gewaltgeschichte im Christentum kenne, das Blut der Religionskriege und Verurteilungen, möchte ich nicht so einfach die Gewalt, die derzeit im Namen des Islam geschieht, mit ihm als Religion identifizieren. Ich vermute, dass es auch im Islam Möglichkeiten gibt, die gewalttätigen Texte so zu interpretieren, dass eine Distanz zu ihnen möglich wird. Ich kenne solche Stimmen, aber sie sind noch leise und in ihrer eigenen Glaubensgemeinschaft umstritten.
Was für Strategien sehen Sie, um gegen Rechtfertigungen von Terror durch den Islam vorzugehen?
Gruber: Ich bin der Überzeugung, dass Terror durch keine Religion gerechtfertigt werden kann. Sonst handelt es sich um Ideologie und um Missbrauch des Namens Gottes. Religiöser Terror ist Blasphemie. Die Terroristen des IS zerstören ihre eigene Religion und den Glauben der Menschen an Gott. Dazu kommt noch ein Zweites: Indem sie die christliche Tradition in ihren Ländern zerstören, vernichten sie ihre eigene Tradition, denn das orientalische Christentum ist eine der wichtigsten Quellen, um die Entstehung des Islam zu verstehen und eine unersetzbare Brücke zwischen Christentum und Islam.
Was können Christen von Muslimen, was Muslime von Christen lernen?
Gruber: Wir haben viel zu lernen, alle beide: Über unsere eigene Religion und über die andere; über das, was beide Religionen verbindet, historisch und theologisch; natürlich auch über das, was uns unterscheidet; und nicht zu vergessen über unsere Vorurteile. Dort, wo Menschen verschiedener Religionen als religiöse Menschen zusammenleben wollen, hat man die große Chance, sich mit dem Blick des anderen zu sehen. So habe ich durch das Jesusbild des Koran kostbare Züge an Jesus entdeckt. Seitdem ich erlebt habe, wie ein muslimischer Student einem anderen erklärte, warum die christliche Trinität kein Glaube an drei Götter bedeutet, bin ich hoffnungsvoll. Und ich bin dankbar, wenn mir durch Gespräche mit muslimischen Gläubigen aufgeht, wie sich diese Religion von innen her anfühlt. Es ist ein wenig wie wenn man eine andere Sprache lernt. Ohne pathetisch sein zu wollen: Ich bin der Überzeugung, dass der Friede in der Welt unseres Jahrhunderts vom zukünftigen Verhältnis der beiden Religionen, des Christentums und des Islams, abhängt. Und hier sind alle Gläubigen gefragt.
Im Dialog - in Nüziders
Mi 20. September 19.30 Uhr
Sonnenbergssaal Nüziders
An einem von der Fokolar-Bewegung organisierten Vortrags- und Diskussionsabend in Nüziders werden unter anderem Univ. Prof. Roman Siebenrock und Univ. Prof. Wolfgang Palaver von der Universität Innsbruck gemeinsam mit muslimischen Dozenten über ihren Dialog berichten, den sie seit einigen Jahren führen. Den Besucher/innen bietet sich die Möglichkeit, Einblicke in diesen Dialog der Studiengruppe zu gewinnen, die heuer in St. Gallenkirch tagt.
Teilnehmer/innen der Studiengruppe sind Mag. Michaela Neulinger, Univ. Innsbruck; Dr. Petra Steinmair-Pösel, Kirchl. Pädag. Hochschule Edith Stein; Dr. Adnane Mokrani, Päpstl. Univ. Gregoriana, Rom; Shahrzad Housmand, Univ. La Sapienza, Rom; Sr. Margareta Gruber, Hochschule Vallendar; Cenap Aydin, Instit. Tevere, Rom; Nadjia Kebour, Univ. Florenz; Durmus Gamsiz, Innsbruck; Paul Lemarie, Fokolar-Bewegung, Nazareth, u.a.
(aus dem KirchenBlatt Nr. 36 vom 7. September 2017)