10. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr B, 6. Juni 2021

Wort zum Sonntag von P. Karl Schauer

Die Ur-Sünde des Anfangs ist geblieben. Der Mensch will Gott gleich sein, er will Gott sein: Das erste Paar im Garten Eden, der Turmbau in der Ebene von Babylon, der ewige Traum vom selbstgemachten Paradies. Die Geschichte ist voll von Ruinen des menschlichen Stolzes:

1. Lesung

Genesis 3,9-15

Nachdem Adam von der Frucht des Baumes gegessen hatte, rief Gott, der Herr nach ihm und sprach zu ihm: Wo bist du? Er antwortete: Ich habe deine Schritte gehört im Garten; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich. Darauf fragte er: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du von dem Baum gegessen, von dem ich dir geboten habe, davon nicht zu essen? Adam antwortete: Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben. So habe ich gegessen. Gott, der Herr, sprach zu der Frau: Was hast du getan? Die Frau antwortete: Die Schlange hat mich verführt. So habe ich gegessen. Da sprach Gott, der Herr, zur Schlange: Weil du das getan hast, bist du verflucht unter allem Vieh und allen Tieren des Feldes. Auf dem Bauch wirst du kriechen und Staub fressen alle Tage deines Lebens. Und Feindschaft setze ich zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen. Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse.

Die Krisen dieser Welt – auch die gegenwärtige – haben uns von der Vorstellung geheilt, dass wir Regie führen über die Welt und das Leben. Heute wissen wir mehr von der Gebrochenheit unserer Welt und erahnen, dass Gottes Geist auch in dieser verletzten Welt Gottes Werk weiterführt:

2. Lesung

2 Korintherbrief 4,13-5,1

Schwestern und Brüder! Wir haben den gleichen Geist des Glaubens, von dem es in der Schrift heißt: Ich habe geglaubt, darum habe ich geredet. Auch wir glauben und darum reden wir. Denn wir wissen, dass der, welcher Jesus, den Herrn, auferweckt hat, auch uns mit Jesus auferwecken und uns zusammen mit euch vor sich stellen wird. Alles tun wir euretwegen, damit immer mehr Menschen aufgrund der überreich gewordenen Gnade den Dank vervielfachen zur Verherrlichung Gottes. Darum werden wir nicht müde; wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert. Denn die kleine Last unserer gegenwärtigen Not schafft uns in maßlosem Übermaß ein ewiges Gewicht an Herrlichkeit, uns, die wir nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare blicken; denn das Sichtbare ist vergänglich, das Unsichtbare ist ewig. Wir wissen: Wenn unser irdisches Zelt abge-brochen wird, dann haben wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel.

Der Mensch ist keine Marionette Gottes, kein Funktionierender, ist ihm nicht ausgeliefert. Gott zwingt nicht, er entlässt den Menschen in die Freiheit, auch in die Freiheit der Gottsuche, der Begegnung mit ihm. Glaube und Zwang, Vertrauen und Doktrin, Begegnung und Entwurzelung bleiben Gegensätze:

Evangelium

Markus 3,20-35

In jener Zeit ging Jesus in ein Haus und wieder kamen so viele Menschen zusammen, dass er und die Jünger nicht einmal mehr essen konnten. Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen. Die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren, sagten: Er ist von Beelzebul besessen; mit Hilfe des Herrschers der Dämonen treibt er die Dämonen aus. Da rief er sie zu sich und belehrte sie in Gleichnissen: Wie kann der Satan den Satan austreiben? Wenn ein Reich in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben. Wenn eine Familie in sich gespalten ist, kann sie keinen Bestand haben. Und wenn sich der Satan gegen sich selbst erhebt und gespalten ist, kann er keinen Bestand haben, sondern es ist um ihn geschehen. Es kann aber auch keiner in das Haus des Starken eindringen und ihm den Hausrat rauben, wenn er nicht zuerst den Starken fesselt; erst dann kann er sein Haus plündern. Amen, ich sage euch: Alle Vergehen und Lästerungen werden den Menschen vergeben werden, so viel sie auch lästern mögen; wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften. Sie hatten nämlich gesagt: Er hat einen unreinen Geist. Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben draußen stehen und ließen ihn herausrufen. Es saßen viele Leute um ihn herum und man sagte zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und suchen dich. Er erwiderte: Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.

 

Wort zum Sonntag

Pfr. Georg NigschP. Karl Schauer OSB, Bischofsvikar in der Diözese Eisenstadt. Den Autor erreichen Sie unter

Wort zum Evangelium

Sich für Gott entscheiden? Für den Glauben, für die Kirche, für das Christsein, für Taufe oder Firmung? Geht das? Ich zweifle, denn letztlich bleibe ich immer ein Überforderter, vom Augenblick Gelenkter. Wann könnte ich solche Entscheidungen treffen?
Doch das Wesentliche des Lebens ist nicht machbar – es wird. Anders gesagt: Für den Menschen bleibt es faszinierend, mit diesem Gott der Menschen umzugehen.Gott aber entzieht sich jedem Versuch, ihn nur zum Erfüller meiner Wünsche und zum Prellbock meiner Sehnsüchte zu machen.Gott lässt sich nicht lenken, nicht gängeln, wie es gerade passt. Immer ist der Mensch zuerst „Hörer des Wortes Gottes“ (Karl Rahner), ein von Gott Beanspruchter, ein auf Gott Verwiesener. Glauben ist: Die entschiedene Entscheidung Gottes in Jesus Christus für uns Menschen anzunehmen.
Unsere profan gewordene Welt treibt sichtbar Blüten des Irrationalen und übt eigenartige Heilspraktiken, sie hält den metaphysischen Heimatverlust gar nicht aus. Romano Guardini: „Das furchtbarste Experiment, das in der Menschheit je unternommen worden ist, heißt: es geht auch ohne Gott“.Und trotzdem bleibt die Faszination für diesen Gott. Jesus hat seine Jünger und die anderen zur Entscheidung aufgefordert, er wollte sie aus dem Zwielicht der Unentschlossenheit und der faulen Kompromisse herausholen. Das Reden und Wirken Jesu sind nicht harmlos und beliebig, sie bleiben fordernd, stellen in Frage, verunsichern.
Alles Reden von ihm muss durch das Prisma meines Lebens gehen. Fromme Hohlformeln, lebensfremde Frömmigkeitsübungen, Besserwisserei, emotional aufgeladene, oft peinliche Glaubenszeugnisse sind meist geistlos und nur ein Spiegelbild der Verharmlosung. Glauben aber ist Begegnung mit Ihm. Wer sich seinem Anspruch stellt, ist weder draußen, noch drinnen, weder ausgeschlossen, noch vergessen, aber frei, sich diesem Gott auszusetzen.

Zum Weiterdenken
Ohne Begegnung mit ihm bleibt der Glaube eine Leerformel. Die digitale Welt, die Welt der Bildschirme und des Virtuellen ist nicht der Lebensraum des Menschen. Begegnung, Nähe, Hören, Offenheit und Weite sind auch die Resonanzräume des Glaubens. Das meint: Ihn suchen, ihm begegnen, nach seinem Willen fragen und sich seinem Anspruch stellen. Der schnelle und billige Zugriff auf Gott gelingt nie.

 

Aus den Tiefen rufe ich, Herr, zu dir:
Mein Herr, höre doch meine Stimme!
Lass deine Ohren achten auf mein Flehen um Gnade.

Würdest du, Herr, die Sünden beachten, mein Herr, wer könnte bestehen?
Doch bei dir ist Vergebung, damit man in Ehrfurcht dir dient.

Ich hoffe auf den Herr, es hofft meine Seele, ich warte auf sein Wort.
Meine Seele wartet auf meinen Herrn mehr als Wächter auf den Morgen,
ja, mehr als Wächter auf den Morgen.

Israel, warte auf den Herr, denn beim Herrn ist die Huld,
bei ihm ist Erlösung in Fülle. Ja, er wird Israel erlösen
aus all seinen Sünden.

Antwortpsalm (aus Psalm 130)

(aus dem Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 22 vom 3. Juni 2021)