Lorenz kam mit einem schweren Herzfehler zur Welt. Schon die Frage, ob er überhaupt die Geburt überlebt, war für die Eltern eine Riesenbelastung. In den folgenden Wochen kamen viele Krisen. Ulrike Pribil vom „KinderPalliativNetzwerk“ in Linz hat die Familie von Anfang an begleitet und unterstützt.

zu: Interview mit Dr. Martina Kronberger-Vollnhofer (Bild rechts)
zu: ZUR SACHE - Hospiz für Kinder

Hans Baumgartner

„Wenn ein Kind lebensbedrohend erkrankt oder wenn sich herausstellt, dass es durch eine schwere Erbkrankheit oder Behinderung nur eine begrenzte Zeit leben wird, dann zieht es den Eltern oft den Boden unter den Füßen weg“, weiß Ulrike Pribil aus vielen Gesprächen. „Man hat sich das Leben als Familie ganz anders vorgestellt. Und die Konfrontation mit dem möglichen Tod eines Kindes ist etwas, was ganz schwer in unsere Köpfe und in unsere Psyche hineingeht. Ein Kind hat nicht vor seinen Eltern zu sterben.“ In dieser Situation bietet das KinderPalliativNetzwerk den betroffenen Kindern, deren Eltern und Geschwistern seine Hilfe an.

Pionier
Als das Netzwerk vor knapp fünf Jahren von der Caritas und der damaligen Diözesanstiftung St. Severin gegründet wurde, gehörte es zu den Pionieren der mobilen Hospiz- und Palliativbetreuung für Kinder. Ausgangspunkt war die Erfahrung, dass es für Kinder mit schweren, lebensbedrohenden bzw. lebensbegrenzenden Erkrankungen sowie für deren Familien kein entsprechendes Hospiz- und Palliativangebot gab. „Das war lange nur auf sterbende Erwachsene abgestimmt“, meint die gelernte Kinderkrankenschwester und Soziologin Pribil. „Für krebskranke Kinder gab es von Seiten einiger Kliniken auch eine Betreuung zu Hause, bei allen anderen – wie Kindern mit schweren Herzfehlern, seltenen Stoffwechselerkrankungen, schweren Mehrfachbeeinträchtigungen etc. – waren die Eltern oft auf sich allein gestellt. Und damit fast zwangsweise überfordert.“

Unterstützung
Das PalliativNetzwerk bemüht sich, durch enge Zusammenarbeit mit der Linzer Kinderklinik und den verschiedenen Kinderstationen möglichst früh mit betroffenen Kindern und Eltern in Kontakt zu kommen. „Wir wollen Eltern, die den Wunsch haben, ihr Kind zu Hause zu betreuen, das auch möglich machen: durch Beratung und Unterstützung in der Pflege, besonders bei der Schmerztherapie und der Behandlung belastender Symptome, durch psychisch-menschliche Begleitung oder auch, dass wir die Eltern einmal ein paar Stunden entlasten.“ Das Team von zwei Kinderkrankenschwestern und 14 ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen ist für diese Einsätze besonders geschult. „Denn“, so Pribil, „Kinderhospizarbeit ist schon eine besondere Herausforderung. Wie rede ich mit Kindern, die schwerst erkrankt sind, über ihre ,Aussichten‘, wie über den Abschied von der Familie, wie über den Tod? Wie rede ich mit Eltern und Geschwistern, zwischen Hoffen und Bangen – oder schon vor der Gewissheit?“ Kinder in schweren, oft aussichtslosen Krankheiten zu begleiten, sei aber nicht nur leidvoll, sagt Pribil. „Vor allem in Phasen der Schmerzfreiheit kann man mit ihnen oft eine erstaunliche Leichtigkeit, ein Dasein und Leben im Augenblick mit allem kindlichen Übermut erfahren.“

Gehen lassen
Eine ganz schwierige Phase für Eltern sei es, so Pribil, ihr Kind gehen zu lassen. Aber wenn sie sagt, „heuer haben wir schon viele Kinder verloren“, merkt man, es ist auch für die Begleiter/innen ein Stück Endgültigkeit und Trauer drinnen. „Vielleicht hilft dann, wenn manche Eltern im Rückblick auf diese sehr intensive Zeit meinen, das Loslassen hat auch etwas mit ,Er-lösung‘ zu tun.“

Begleitung
Wesentlich zur Hospizarbeit gehöre auch die Begleitung in der Zeit der Trauer, die oft schon im Abschiednehmen, aber sicherlich nachher hochkommt. Vor allem wenn Geschwisterkinder da seien, die das Geschehen schon bewusst mitbekommen, sei das ein Weg, der oft viel Geduld und Einfühlung erfordere. Trauerbegleitung bietet das Netzwerk aber auch für Kinder an, die einen Elternteil  durch den Tod verloren haben. „Und“, so Pribil, „wir gehen auch in Schulen oder Kindergärten, wenn ein/e Gruppen- oder Klassenkamerad/in sehr schwer erkrankt oder gestorben ist.“
Mehr als 30 Familien hat das KinderPalliativNetzwerk im vergangenen Jahr betreut – manchmal nur wenige Wochen während des Sterbens, oft auch über Monate hinweg. Manchmal, so erzählt Pribil, gehe es auch darum, Geschwisterkinder zu „stabilisieren“ – nicht nur in ihrer Trauer. „So etwa haben wir in unserem ehrenamtlichen Team eine pensionierte Lehrerin, die wiederholt mithalf, schulische Abstürze zu verhindern. Oft reagieren Kinder ihren Schmerz über das leidende Geschwister, aber auch das Wenig-Beachtet-Sein in dieser Zeit durch massiven Abfall in der Schule ab.“

Dafür nicht zu klein
Hospiz Vorarlberg hat als erstes in Österreich vor sechs Jahren mit dem Aufbau einer eigenen Hospizbegleitung für Kinder, Jugendliche und deren Familien (HOKI) begonnen. In enger Kooperation mit der mobilen Kinderkrankenpflege, den niedergelassenen Ärzt/innen und Kliniken wird die medizinisch-pflegerische Beratung durchgeführt (Hospiz Vorarlberg hat keine eigene „Pflegeschiene“). Die Begleitung der schwerkranken Kinder – vom Frühchen bis zum krebskranken Jugendlichen – und deren Familien wird von einem Team von Bleil Anneliesetwa 15 ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen geleistet, berichtet HOKI-Koordinatorin Annelies Bleil (Bild links). „Im vergangenen Jahr haben wir 47 Kinder mit lebensbedrohenden Erkrankungen sowie deren Familien begleitet; in sieben Fällen haben wir Kinder nach dem Tod eines Elternteils unterstützt.“ 

HOKI geht auch in Schulen, nicht nur beim Tod von Mitschüler/innen, sondern auch um mit den Kindern „über Krankheit, Tod und Trauer zu philosophieren. Denn diese sind dafür nicht zu klein, sondern sehr offen“, fasst Bleil die Erfahrung von rund 20 pädagogischen Schuleinsätzen zusammen. Wichtig ist ihr, dass die Begleiter/innen gut ausgebildet und durch Supervision gestützt werden, denn „oft sind  sie nicht nur mit Trauer und Tod, sondern auch mit schwierigen sozialen Familienverhältnissen konfrontiert – oder mit Krankheiten und Behinderungen, die ihnen z. B. als werdende Großeltern viel Sorgen machen.“

DAS INTERVIEW

Am richtigen Platz
Kurz vor Ostern startete in Wiendas mobile Kinderhospiz MOMO.Geleitet wird es von der Kinder- und Palliativärztin Dr. Martina Kronberger-Vollnhofer.

Was hat Sie bewogen, vom renommierten St.-Anna-Kinderspital in die mobile Hospiz- und Palliativarbeit für Kinder umzusteigen?
Es war mir immer ein Anliegen, schwerkranke Kinder und ihre Familien zu unterstützen. Und ich bin sehr glücklich, dass wir da mit MOMO eine Lücke in der mobilen Betreuung schließen können. In Wien und Umland leben 800 Kinder mit lebensbedrohenden und unheilbaren Krankheiten. Jedes Jahr sterben 120 Kinder – und es ist einfach ihr Recht, die entsprechende medizinische und pflegerische Versorgung sowie psychosoziale Begleitung zu bekommen – auch zu Hause. Denn es ist oft ihr sehnlichster Wunsch, auch in ihrer Krankheit möglichst bei ihrer Familie sein zu können.

Können deren Betreuung nicht auch bereits bestehende Hospiz- und Palliativteams übernehmen?
Kinder haben völlig andere Bedürfnisse als Erwachsene. So muss auch die Betreuung durch entsprechend geschulte Kräfte (haupt- und ehrenamtliche) daraufhin ausgerichtet sein.

Sie haben vor unserem Gespräch mehrere Einsätze gemacht. Was nehmen Sie davon mit?
Respekt vor der Tapferkeit und dem Lebensmut der betroffenen Kinder; immer wieder die Ungerechtigkeit des Lebens erfahren zu müssen; Hochachtung vor den oft übermenschlichen Leistungen der Eltern.

Wie hält es ein Team aus, wenn es jährlich 50 und mehr Kinder im Sterben begleitet?
Das Gefühl zu haben, zur richtigen Zeit am richtigen Platz zu sein; immer wieder Unmögliches möglich zu machen; und die Kraft aus Teamarbeit, guter Kommunikation und Supervision. 

ZUR SACHE

Hospiz für Kinder

Am 4. Juli beschloss der Nationalrat die Novelle zum Pflegefondsgesetz. Erstmals wird darin die Förderung von mobilen Hospiz- und Palliativdiensten – auch für Kinder – als Zweck des Fonds festgehalten. Über „innovative Projekte“ sind auch Entlastungsangebote für Familien mit schwerkranken oder mehrfachbehinderten Kindern über Bundesmittel förderbar.
„Eine gute Versorgung von schwerkranken Kindern und Jugendlichen schließt immer Geschwister und Eltern mit ein. Daher müssen wir drei Bereiche bedenken: den stationären Bereich (Kliniken und Kinderhospize), den mobilen Bereich und den Entlastungsbereich.“ Das sagte Hospiz-Österreich-Chefin Waltraud Klasnic, als es galt, im Auftrag des Gesundheitsministeriums ein Kinder-Hospiz- und Palliativkonzept zu erarbeiten. Es wurde 2012 in mehreren Expert/-innentreffen erstellt und fordert u. a.: die Errichtung einer Kinderhospizstation; den Ausbau der Palliativbetten in Kinderspitälern und -stationen; ein flächendeckendes mobiles Hospiz-und Palliativangebot für Kinder; die Schaffung bzw. Förderung von Entlastungseinrichtungen.

Derzeit gibt es in Österreich eine stationäre und z. T. auch mobile Palliativversorgung für Kinder rund um onkologische Kliniken. Mobile Kinderhospize sind in Wien (Netz, MOMO), Oberösterreich und Vorarlberg (siehe Beitrag) tätig. In Niederösterreich werden innerhalb der bestehenden mobilen Teams einzelne Ärzt/innen, Pfleger/innen und Ehrenamtliche zusätzlich für die Arbeit mit Kindern ausgebildet. Hospiz Tirol hat ausgebildete ehrenamtliche Mitarbeiter/innen zur psychosozialen Begleitung von Kindern und Familien. Die „Entlastung“ von schwerkranken Kindern und deren Familien zur Aufgabe gemacht haben sich der Sterntalerhof im Südburgenland und die Arche Herzensbrücken in Seefeld (Tirol). 

(aus KirchenBlatt Nr. 30 vom 25. Juli 2013)