Uli Michel, Hebamme und Sterbeamme, sprach in St. Arbogast in „Es war ein Kind der Hoffnung“ über das Thema Kindsverlust und wie betroffenen Personen geholfen werden kann.

Ein Scherbenhaufen, wie bei einer zerbrochenen Vase. Tausende Teile, die nicht mehr dort sind, wo sie hingehörten. Die teils unmögliche Aufgabe, alles wieder so zusammenzufügen, wie es einmal war - der Verlust des Kindes während der Schwangerschaft oder bei der Geburt ist ein großer Einschnitt für die betroffenen verwaisten Eltern. Für die Verarbeitung dieses Einschnitts braucht es  sehr viel Zeit und Geduld bei Eltern, Angehörigen und Umfeld, wie Uli Michel im Rahmen ihres Vortrags erläuterte.

„Wir sprechen hier nicht ‚nur‘ von dem Verlust eines Kindes“, sagt Uli Michel, „sondern auch von einem Identitätsverlust, hat sich doch die gesamte Zukunftsplanung der Familie auf das erwartete Kind ausgerichtet.“ In der heutigen Welt des Machbarkeitswahns seien die Eltern oft fassungslos, dass so etwas passieren könne. „Das ‚warum‘ wird immer wieder gefragt“, sagt die Amme. „Das ist aber auch ein wichtiger Schritt im Akzeptieren.“ Dazu komme noch, dass heutzutage große Irritation herrsche was das Thema Tod betrifft. Es gäbe so viele Menschen, die trauern, es aber nach außen nicht zeigen können bzw. nicht als Trauernde wahrgenommen werden. Dabei sprechen die Zahlen für sich, sei doch beinahe jede dritte Familie von einem solchen Fall betroffen. „Aktuell wissen wir auch, dass rund 60 Prozent der Eltern den Verlust alleine bewältigen können“, führt Michel aus.  „30 Prozent brauchen ein niederschwelliges Angebot und zehn Prozent benötigen konkrete fachliche Begleitung.“
Zu Beginn seien die Eltern noch einigermaßen gut aufgehoben, kümmere sich doch das Umfeld meist um die Betroffenen. „Nach drei bis sechs Monaten kehrt aber langsam der Alltag  wieder ein“, sagt die Amme. „Für die Eltern geht es aber weiter.“

Was kann getan werden?

Laut Michel soll man sich als Begleiter/in in kleinen Schritten vorantasten und die trauernden Personen nicht drängen. „Den Rücken stärken, nicht voranstürmen“, konkretisiert sie. Trauer brauche dann Form, Erlaubnis, Zeugenschaft, Raum, Zeit, Anerkennung und Kreativität, wie Michel weiter definiert: „Egal ob man schreit oder weint, Trauer braucht einfach eine Ausdrucksform“, sagt Michel.  Es soll auch erlaubt sein zu trauern - der Verlust eines Kindes, sei es noch so früh, dürfe betrauert werden. Wichtig sei zudem die Zeugschaft und die Anerkennung - andere dürfen davon wissen, man solle sich nicht verstecken.

Auch einen Raum brauche es, in welchem man so sein und so trauern könne, wie man ist. Die Zeit sei ebenso ein wichtiger Faktor. „Viele junge Menschen sagen mir nach zwei Wochen, dass sie nicht mehr trauern wollen, dass sie weitermachen müssen“, sagt Michel. „So geht das aber nicht. Trauer braucht seine Zeit.“ Und einer der wichtigsten Punkte, insbesondere für die begleitenden Menschen, sei die Kreativität: Es gibt keinen Plan zur Trauerbewältigung. „Wir wissen nie, wie die Menschen damit umgehen. Ich weiß es eigentlich selbst nicht besser“, gibt Michel offen zu. „Ich sehe nur, wie Menschen damit umgehen und zeige ihnen Möglichkeiten auf.“ Hier sei es wichtig, dass den trauernden Eltern - ähnlich wie bei der Metapher mit der zerbrochenen Vase - die Möglichkeit gegeben wird, Stück für Stück an ihrer Trauer zu arbeiten und die Teile wieder zusammenzufügen.

Ansprechen

„Trauernde sollten sich zudem mit Menschen und Dingen umgeben, die Mut machen und auch verbindlich sind“, rät Michel. Von der Lektüre der Nachrichten rät sie also ab, sind diese doch oft von negativen Schlagzeilen geprägt.

In einer Gesellschaft, in welcher die Menschen nicht gerne über Leid sprechen sei es deshalb umso wichtiger, dem Gespräch mit den betroffenen Personen - seien es Bekannte oder Nachbarn - nicht aus dem Weg zu gehen. „Und das bezieht sich nicht nur auf den Kindstod, sondern auch auf andere in unserer Gesellschaft nur sehr ungern angesprochene Krankheiten wie Krebs“, schließt Michel.

 

Zur Person
Uli Michel ist ausgebildete Hebamme, Sterbeamme, Trauerbegleiterin und Trauma-Fachberaterin. Als Pfarrerstochter in einem evangelischen Pfarrhaus aufgewachsen, wurde sie schon früh mit dem Tod konfrontiert, entschied sich in ihrer Laufbahn aber zuerst für den „Weg des Lebens“ und wurde Hebamme. Seit 1986 ist sie als freiberufliche Hebamme tätig, sowohl bei der klinischen als auch außerklinischen Geburtshilfe. Sie absolvierte eine Vielzahl an Weiterbildungen, darunter 2014 bis 2016 jene zur Sterbeamme. Seit 2015 bündelt sie ihr Wissen und entwickelt Konzepte für die Begleitung verwaister Eltern, deren Kind vor der Geburt oder während der Geburt verstorben ist. In Osnabrück leitet sie die Bethanien Sternenkinder Beratungsstelle.

(Aus dem Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 43 vom 22. Oktober 2020)