"Schuldig und doch schuldlos," so resümiert Kardinal Camillo - leicht resigniert und mit einem angedeuteten Schulterzucken - das Familiendrama um Beatrice, Lucrezia und Graf Cenci - und geht von der Bühne ab. Damit macht er es sich natürlich ein bisschen leicht. Ganz so leicht macht es Regisseur Joahnnes Erath seinem Publikum bei den Bregenzer Festspielen mit Berthold Goldschmidts Oper "Beatrice Cenci" aber dann doch nicht - und erntet dafür zu Recht viel Applaus.

Sich einfach aus der Affäre ziehen, das ist genau das, was bei Berthold Goldschmidts Oper "Beatrice Cenci" nicht funktioniert - nicht für das Publikum und nicht für seine handelnden Figuren. Oder besser: nicht für alle. Dabei ist das Familiendrama um die "Cencis" einerseits alt und gleichzeitig brandaktuell. Und dass die Oper, die Berthold Goldschmidt Ende der 1940er Jahre zu Papier brachte, erst 1988 konzertant uraufgeführt wurde und dieser Tage bei den Bregenzer Festspielen überhaupt erstmals in Österreich zu sehen war, spricht als Fakt auch für sich. Nicht, dass die Musik etwa nicht überzeugen könnte. Es ist der Stoff, der herausfordert. Denn diese Art von Gewalt, wie sie Goldschmidt hier vertont, lässt schaudern. Vor allem auch deshalb, weil sie bis heute allgegenwärtig geblieben ist, ohne dass - wie Beatrice die anwesenden Festgäste anfleht - endlich einer den Mut gefunden hätte, etwas zu tun.

Ein Mord ist doch so viel wie kein Mord

Die Tragödie der Beatrice Cenci fußt auf historischen Ereignissen im Rom des 16. Jahrhunderts. Graf Francesco Cenci, ihr Vater, ist reich, unsäglich reich. Und damit kauft er sich schlichtweg die ganze Welt. Die lässt sich auch kaufen. Vom kleinsten Rädchen im Uhrwerk bis hinauf zum Papst, solange die Kassa stimmt und es im Geldbeutel ordentlich klingelt, sieht man gefälligst weg. Und man muss oft wegsehen. Denn Francesco Cenci ist grausam und er liebt es, grausam zu sein. Gewalt hebt seine Stimmung und wer es wagt, sich gegen ihn zu erheben, dessen Lebensstrang weiß Francesco Cenci schnell zu kürzen. Selbst vor den eigenen Söhnen schreckt er nicht zurück. Undankbar waren sie. Sterben müssen sie. Weg waren sie.

Was kostet eine Sünde?

Dem Papst? Dem ist das egal. Er profitiert sogar noch davon. Denn schließlich muss sich Graf Cenci ja seiner Sünden auch irgendwie entledigen. Ganz irdisch und monetär, weiß man das dann schon zu regeln. Und die Feier kann weitergehen.  

Als Graf Cenci schließlich aber seine Tochter Beatrice vergewaltigt und auch für seinen dritten Sohn Bernardo den Tod bestimmt hat, ist es Zeit zu handeln. Zwei Frauen sind es, Tochter und Stiefmutter, die den Mut finden, den Tyrannen in die Schranken zu weisen - und sei es durch sein eigenes Sterben.

Wo kämen wir da denn hin

Kaum ist der Tyrann und Schlächter tot und die Welt atmet kurz auf, holt der lange Arm des Gesetzes (und der Kirche) aus und kriegt Beatrice und Lucrezia auch zu fassen. Mord ist Mord und Vatermord sogar noch schlimmer. Wo käme man denn da hin, wenn plötzlich alle Kinder ihre Eltern ermordeten, wird der eigenartig gesichtslose Papst in Goldschmidts Oper zitiert. Und so wird Lucrezia und Beatrice ein kurzer Prozess gemacht, bevor sie - vor den Augen halb Roms - hingerichtet werden. Und während wie aus weiter Ferne ein Requiem erklingt, schreitet der Papst zum Gebet um das Seelenheil der beiden Sünderinnen.

Schuldlos schuldig, geht das?

Kann man schuldlos schuldig sein? Das ist sicher eine zentrale Frage, die Goldschmidts Oper an ihr Publikum stellt. Welche Umstände rechtfertigen einen Tyrannenmord? Wann ist es genug und lässt sich mit Geld wirklich alles kaufen - selbst Gott?

Goldschmidt macht es seinem Publikum in der Beantwortung dieser Fragen nicht leicht. Die Gewalt ist allgegenwärtig. Im Gegensatz dazu steht die Musik, die Goldschmidt meisterhaft und auf den Punkt präzise zu setzen weiß. Beeindruckend wie er die einzelnen Stimmen aufeinander zu und miteinander führt. Das sind auch die Momente, in denen das Bühnengeschehen sich aufs Intensivste verdichtet. Dabei geht die aus Tel Aviv stammende Sopranistin Gal James als "Beatrice" allen voran. Unglaublich ist sie in der Klarheit und im Ausdruck ihrer Stimme. Ihr folgt ein schlichtweg ausgezeichnetes Solisten-Quintett. Christoph Pohl als grausamer Graf, legt stimmlich ein wahres Psychogramm seiner Rolle hin, während Dshamilja Kaiser als "Lucrezia" der entschlossenen Furcht der Tyrannen-Gattin Stimme verleiht. Christina Bock als "Bernardo" berührt Ohr und Herz, während Michael Laurenz als Verräter "Orsino" satt in die Töne fährt. Nicht zu vergessen natürlich auch Per Bach Nissen als "Kardinal Camillo", der stimmlich versiert, in die Rolle des nicht ganz unvoreingenommenen Kommentators schlüpft.

Dekadente Opulenz und kühle Einsamkeit

Und das alles setzt Johannes Erath in ein Bühnenbild von Karin Connan, das von einem Moment auf den anderen die überbordende Opulenz einer dekadenten und sich selbst feiernden Gesellschaft spiegelt, um dann in die kühle Einsamkeit einer Beatrice zu kippen. Sehr raffiniert und klug wird hier auch mit Licht und Video gespielt, während das dominierende Element des Bühnenbildes ein überdimensionales Omega, auf das Ende aller Tage hinweist. 

Johannes Debus und die Wiener Symphoniker tragen das Ihre zur Gesamtkomposition des Opernabends bei und lassen an der musikalischen Qualität dieser österreichischen Erstaufführung nicht mäkeln.

Applaus für die Tragödie einer ganzen Welt

Nun ist die Geschichte um Beatrice Cenci ja wirklich eine grausame. Vor dem Hintergrund der Entstehungszeit und mit dem Wissen, dass auch Berthold Goldschmidt zu den Vertriebenen des Nationalsozialismus zählte und seine Oper im britischen Exil schrieb, mischt sich zur reinen Familientragödie auch die einer ganzen Gesellschaft. Natürlich steht Graf Cenci für einen noch viel größeren Tyrannen und Mörder. Natürlich sind Beatrice, ihre Brüder und ihre Stiefmutter Opfer eines ungerechten Systems. Natürlich lässt sich das alles vor der Folie des Nationalsozialismus lesen. Die Parallelen sind nicht von der Hand zu weisen. Und das müsste das Grauen vor der Gewaltspirale doch noch weiter in die Höhe treiben.

Dennoch lässt "Beatrice Cenci" eigenartig kühl. Das deshalb, weil Goldschmidt nicht auf den großen Effekt setzt, sondern mit fein geführter Klinge die Situation filetiert. Die Analyse steht vor der Emotion um der reinen Emotion willen. So wird die Gewalt und vor allem das präzise arbeitende System an Macht und Brutalität sichtbar. Das erschreckt und das gipfelt im Bittgang des Papstes für die hingerichteten Mörderinnen. Was ist gerecht, wenn die Welt aus den Angeln gehoben ist, scheint der kurze Moment der Stille vor dem Schlussapplaus zu fragen. Die Frage bleibt offen. Der Vorhang schließt sich. Der Applaus umströmt Regie, Musik und Akteure ganz zu Recht für diesen Kraftakt, für dieses ausgezeichnete Spiel am Rande einer taumelnden Welt.

Termine

"Beatrice Cenci" von Berthold Goldschmidt ist noch am 22. und am 30 Juli im Rahmen der Bregenzer Festspiele zu sehen. Dauer: rund 2,5 Stunden, eine Pause: www.bregenzerfestspiele.com

(aus der KirchenBlatt-Doppelnummer 30-31 vom 26. Juli / 2. August 2018)