Eine grandiose Aufführung von Bachs Matthäus-Passion im Rahmen der Montforter Zwischentöne ermöglichte dem Publikum vergangenen Samstag ein einmaliges Konzerterlebnis: Die Musik Bach's trägt, auch durch die Passion hindurch. Sogar im Tod wird tiefer Trost erfahrbar.

Patricia Begle

Von der Salbung Jesu in Bethanien über das letzte Abendmahl bis zur Verurteilung, Kreuzigung und Grablegung – die Ereignisse sind äußerst dramatisch. Um dieser Dramatik Ausdruck zu verleihen, hat Bach sein Werk für zwei Chöre und zwei Orchester geschrieben. Links und rechts auf der Bühne situiert, treten sie in Dialog miteinander, ja, es geht mitunter heftig hin und her, die Rollen werden von einer Minute auf die andere gewechselt, vom „Lass ihn kreuzigen!“ bis zu den – meist wohlvertrauten - Chorälen, die die Wogen einfangen und zur Ruhe kommen lassen. Der Kammerchor Feldkirch und das Concerto Stella Matutina meistern die hohen Anforderungen des Vier-Stunden-Stücks bravourös.

Verinnerlichen. Herausragend ist auch Daniel Johannsen, der als Evangelist die Zuhörenden mit großer Wachheit und Leidenschaft durch das Geschehen führt. Ergänzend zur biblischen Erzählung hat Bach immer wieder Arien eingebaut, die das Leiden Jesu verinnerlichen, dem Gläubigen eine Stimme geben. „Aus Liebe will mein Heiland sterben, von einer Sünde weiß er nichts“, heißt es zum Beispiel inmitten des Verhörs vor Pilatus. Sopranistin Miriam Feuersinger interpretiert die Zeilen so innig und eindrücklich, dass die Zuhörenden sich gleichsam selbst in Klage und Anklage wiederfinden.

Erdulden. Die Inszenierung ist schlicht gehalten, ab und zu zeigen Schwarz-Weiß-Projektionen die Protagonist/innen auf der großen Leinwand. Die Solist/innen treten leise auf oder ab. Wenig Bewegung – es gibt derer schließlich genug in Musik und Dramatik. Auffallend ist Jesus (Bassbariton Dominik Wörner). Er nimmt hinten in der Mitte Platz. Violett sind sein Shirt und sein Schal. Die Farbe erinnert an die Tücher, die karfreitags die Kreuze in den Kirchen verhüllen. Für seine Gesänge steht er auf von seinem Stuhl, ansonsten sitzt er, den Blick gesenkt. Er bewegt sich nicht, duckt sich nicht, läuft nicht davon. Er erduldet. Er bleibt sich treu. Eine Form von Widerstand?
 
„Widerstehen“ ist das Thema der Montforter Zwischentöne, es geht um Mut, Courage und Protest. Schon vor der Aufführung wird das Publikum mit Videos konfrontiert, in denen Mitwirkende ihre Erfahrungen mit Zivilcourage oder Widerstand erzählen. In einem Pausengespräch setzt Kurator Folkert Uhde dann Verbindungen zur Passion. Er sieht in der Passion gleichsam eine „Eskalation des Verlassenwerdens“: vom Verrat des Judas, der Flucht der Jünger bis zur Verleugnung des Petrus. Zwei weitere Phänomene, die sich in der Dynamik zeigen: gemeinschaftlicher Zorn sowie Scham. Im Gespräch mit dem Historiker Meinrad Pichler fragt Uhde nach Parallelen zur Zeit des Nationalsozialismus. Pichler erzählt – von Ernst Volkmann, der als Wehrdienstverweigerer von allen verlassen wurde, von der Wut der Bürger gegen die Bregenzer Familie Matzer und von der Scham bei der Aufarbeitung der Ereignisse in den Jahrzehnten danach.

Tröstend. „Bachs Musik berührt alle Komponenten unseres Menschseins“, erklärt Benjamin Lack, der als musikalischer Leiter für die Aufführung verantwortlich ist. „Sie macht betroffen und ist auch unglaublich tröstlich.“ So singt der Bass nach Jesu Tod in einer fast beschwingten Arie: "Mache dich, mein Herze, rein, ich will Jesum selbst begraben. Denn er soll nunmehr in mir für und für seine süße Ruhe haben, Welt, geh aus, laß Jesum ein." Das Publikum darf bei der letzten Strophe des Chorals „O Haupt voll Blut und Wunden“ mitsingen und diesen Trost in den Worten "Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir" hautnah erleben. Es bedankt sich schließlich mit minutenlangem Applaus, an dessen Ende alle stehen.