Reihe "Welt der Religionen" von Aglaia Poscher-Mika
Noch immer beschäftigen uns die politischen Entwicklungen der Türkei. In der „Ära Erdogan“ werden der Islam instrumentalisiert und Menschen aufgrund ihrer Religion oder Ideologie pauschal als Terroristen verhaftet. Besonders schwer betroffen sind hier Mütter mit Kindern, oft sogar Neugeborenen, welche als PKK- oder Gülen-Anhängerinnen verfolgt werden.
Krieg ist immer ein Ausnahmezustand, und ich weiß nicht ob ich im Laufe meines Lebens wirklich begreifen werde, warum irgendjemand in der Kriegsführung wirklich eine Lösung sehen kann. Sind nicht das Leben und die körperliche und seelische Unversehrtheit die höchsten Güter der Menschheit? Auch die irakische Menschenrechtsaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad musste am eigenen Leib erfahren, wie sehr der so genannte „Islamische Staat“ jedes Menschenrecht missachtet. Über einen Monat lang erfuhr die junge Frau jesidischer Abstammung eine Hölle auf Erden, bevor ihr die Flucht nach Deutschland gelang. Heute leitet sie mit „Nadia‘s Initiative“ eine Bewegung, die Bewusstsein schaffen soll für das Leiden der Frauen und Kinder, welche im Namen des „heiligen“(!) Krieges versklavt und insbesondere sexuell ausgebeutet werden.
Dass in beiden Fällen nicht die Rede sein kann vom Islam als einer Religion, welche per Definition die Liebe zu Gott und allen Menschen und Lebewesen kultivieren soll, steht außer Frage. Religion darf nicht zum politischen Erfolg missbraucht werden. Genau so wenig darf der Qur‘an, das Heilige Buch der Muslime, zum eigenen Vorteil ausgelegt werden. Und was tut ein angeblicher „Gotteskrieger“, wenn er aus der Heiligen Schrift die Erlaubnis heraus liest, sich über andere zu stellen und sie als Ungläubige zu quälen und zu töten?
„Der Herr eines Volkes ist sein Diener“, sagte der Prophet Mohammed gemäß den Überlieferungen (siehe Hadith 3391). Religion verlangt immer den Dienst am anderen: „...wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der erste sein will, soll der Sklave aller sein“, sagt auch Jesus (Markus 10,43f). Wir dürfen uns tagtäglich darum bemühen, diesem Gebot auch nur im Geringsten gerecht zu werden.
Aglaia Poscher-Mika, MMA
Beauftragte der KatholischenKirche Vorarlberg
für den Interreligiösen Dialog;
Musiktherapeutin, Sängerin, Stimmbildnerin.
aglaia.mika@kath-kirche-vorarlberg.at
(aus dem KirchenBlatt Nr. 45 vom 8. November 2018)