221 Seiten umfasst die neue Studie zu Vorarlbergs Moscheengemeinden, die im Frühjahr veröffentlicht wurde. Viel Lesestoff, der zeigt, wie vielfältig Vorarlberg ist. Studienautorin Dr. Eva Grabherr gibt im KirchenBlatt-Gespräch Einblick über die Moscheenlandschaft und wie ein Zusammenleben der Kulturen und Religionen gelingen kann.
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Was war Sinn und Ziel der Studie, die von der Vorarlberger Landesregierung beauftragt wurde?
Eva Grabherr: Die Studie beschreibt die Landschaft der Vorarlberger Moscheegemeinden und soll eine wichtige Informationsgrundlage für eine gemeinsame Gestaltung der Integration der islamischen Organisationen in die Vorarlberger Gesellschaft sein. Und zwar als lokale Organisationen, die vernetzt sind mit der Vorarlberger Gesellschaft und unter hohem ehrenamtlichen Engagement Musliminnen und Muslimen im Land eine Infrastruktur für deren religiöse Bedürfnisse bieten. Und sie beschreibt die Geschichte und religionspolitische Ausrichtung der überregionalen Organisationen (islamische Verbände) mit Wurzeln in den Herkunftsländern der Vorarlberger Musliminnen und Muslime, in welche die Moscheegemeinden eingebunden sind.
Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit den Befragten?
Eva Grabherr: Die Zusammenarbeit gestaltete sich mit dem weit überwiegenden Teil der Moscheegemeinden gut und kooperativ. Nur vereinzelt konnten wir keine Gespräche zur aktuellen Situation führen. Die gesellschaftliche Stimmung ist in Österreich wie in Vorarlberg seit vielen Jahren grundsätzlich kritisch gegenüber dem Islam, gegenüber Musliminnen und Muslimen, aber auch bspw. gegenüber Türkeistämmigen. Dazu kommt von Seiten der Politik und in Österreich im letzten Jahr auch von Seiten der Regierung eine bewusste strategische und taktische politische Agitation mit diesen Ressentiments. Die erste Reaktion vieler Befragter war zunächst Misstrauen und die Befürchtung, der die transparente Vorgehensweise der Studie entgegenwirkte.
Worin liegt die Schwierigkeit, wenn man versucht, über „den Islam“ in Vorarlberg zu sprechen?
Eva Grabherr: Einerseits in der Vielfalt der Organisationen: Es gibt nicht eine Organisation, sondern zahlreiche. Es gibt zwar mittlerweile eine Art Rahmenorganisation, die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), der 32 von 37 Moscheevereinen bzw. Moscheegemeinden in Vorarlberg angehören. Die organisatorische und inhaltliche Verschiedenheit ist aber dennoch da, und dem muss eine solche Studie Rechnung tragen. Eine weitere Schwierigkeit ist eine akkurate Beschreibung der Moscheegemeinden als Organisationen, die einem überregionalen transnationalen Verband angehören, zugleich aber vielfach stark lokal geprägt sind. Sie selbst betonen in den Gesprächen mit ihnen vor allem die lokale Dimension ihrer Arbeit und auch ihre Unabhängigkeit. In der Beschreibung das der Realität entsprechende richtige Maß zu finden, war inhaltlich und wissenschaftlich keine einfache Aufgabe.
Hat sich durch die Migrationsbewegung in den letzten Jahren etwas verändert?
Eva Grabherr: Die Flüchtlinge, die in den letzten Jahren nach Vorarlberg gekommen sind, kamen weit überwiegend aus muslimischen bzw. muslimisch geprägten Ländern. Die unter ihnen, die religiöse Bedürfnisse haben, wandten sich vielfach an die bestehenden Moscheegemeinden und wurden von diesen auch über die religiösen Bedürfnisse hinaus unterstützt. In Vorarlberg gibt es v.a. Moscheegemeinden des türkischen und des bosniakischen Islam. Das prägt auch die Sprachverwendung in den Moscheen. Neben Arabisch für die Liturgie werden die Herkunftssprachen bspw. für die Predigten verwendet. Da die zweite und dritte Generation den Predigten in den Herkunftssprachen zunehmend schlechter folgen kann, wird Deutsch als Verkehrssprache immer wichtiger.
Viele junge Musliminnen und Muslime leiden unter Gefühlen der „Nicht-Zugehörigkeit“ zu diesem Land oder sprechen sogar von „Islamophobie“. Was können „die Vorarlberger/innen“ tun?
Eva Grabherr: Auf der Ebene der individuellen Begegnung: den Menschen sehen und nicht sofort seine Gruppenzugehörigkeit. Und darüber hinaus anerkennen, dass Vorarlberger/innen Muslim/innen sein können, so wie Christ/innen oder Menschen, die nicht religiös sind. Alle Organisationen: seien es Kirchen, Parteien oder eben auch Moscheeverbände und –gemeinden, müssen sich in einer bürgerlichen liberalen Gesellschaft der öffentlichen Kritik stellen. Und in weiterer Folge sich kritischen Fragen der Gesellschaft zu stellen und wo notwendig Veränderungsprozesse einzuleiten und zu gestalten.
Entwickelt sich so etwas wie ein europäischer Islam?
Eva Grabherr: Es entwickelt sich auf jeden Fall ein Islam in Europa, denn Religionen und vor allem Religionsgemeinschaften sind mit ihrer Umgebung im Kontakt stehende sich mit dem Laufe der Zeit wandelnde Gebilde. Da ist der Islam keine Ausnahme. Eine Ausbildung von Imamen in Österreich wird von allen Verbänden, mit denen wir gesprochen haben, begrüßt. Wichtig ist ihnen die inhaltliche Qualität der Ausbildungen. In vielen der Moscheegemeinden gibt es ein kritisches Bewusstsein dafür, dass im Land sozialisierte Imame bzw. Imame, die mit den Fragen der Gegenwart hier im Land gut umgehen können, wichtig wären und das ein Ziel von Verbesserungen sein muss.
Welche weiteren Schritte würden Sie sich im Zusammenleben der Kulturen und Religionen in Vorarlberg wünschen?
Eva Grabherr: Sehr viel Kontakt auf der Ebene der Individuen und der Organisationen: der religiösen wie der weltlichen. Viel inhaltlicher Austausch mit längerfristigen Perspektiven und Kooperationsprojekte. Aber auch das Ansprechen kritischer Fragen, die sich auf welcher Seite auch immer, ergeben, und ein langfristig angelegter kritischer jedoch fairer Diskurs. «
Eva Grabherr ist Geschäftsführerin von „okay.zusammen leben“ - einem landesweit agierender Wissens- und Kompetenzort für Migrations- und Integrationsfragen in Vorarlberg.
Fakten zu den Moscheengemeinden und den Mitgliedern in Vorarlberg
_ 13 % der Vorarlberger Bevölkerung haben einen muslimischen Hintergrund
_ 22% der Vorarlberger Volksschulkinder sind Muslime, etwas mehr als die Hälfte besucht einen islamischen Religionsunterricht.
_ 45% der Menschen mit muslimischen Hintergrund im Land sind in Österreich geboren.
_ 25% der Vorarlberger muslimischen Bevölkerung können laut Studie als Mitglieder der diversen Moscheevereine der Dachverbände ATIB, AIF, ATF, VIKZ und des Dachverbands der bosniakisch-muslimischen Vereine (IZBA) gezählt werden.
_ Im Herbst 2018 gab es laut Studienautoren 37 islamische Gebetshäuser (32 davon sind von überregionalen Verbänden organisiert)
_ Die Mehrheit der Vorarlberger Muslim/innen gehören dem sunnitischen Islam an. Im Ländle leben aber auch Aleviten, die zwei Gebetshäuser unterhalten, und Schiiten, die noch keine Organisationen gebildet haben.