Papst Franziskus ruft die Kirche immer wieder dazu auf, aus ihren gemütlichen Räumen aufzubrechen und hinauszugehen auf die Straßen. Anlässlich der Österreichischen Pastoraltagung über „Gottes Kinder-Welten“ fragten wir Michaela Druckenthaner: Was heißt das für sie und für die Katholische Jungschar, die immer noch die größte Kinderorganisation im Land ist?

 Interview: Hans Baumgartner

Die Katholische Jungschar ist immer noch die größte Kinderorganisation Österreichs. Wie schafft sie das?
Druckenthaner: Zunächst einmal durch begeisterte Kinder, die dann selber zu ehrenamtlichen Jungscharleiter/innen werden, um weiterzugeben, was für sie selber eine tolle Erfahrung war. Dann gibt es auch viele Eltern, die ihre gute Zeit bei der Jungschar auch als Chance für ihre Kinder sehen. Und schließlich spricht auch die Art, wie wir arbeiten, viele Kinder und Eltern an. Wir stellen das Kind, so wie es ist, mit seinen Bedürfnissen und seinen Fragen in den Mittelpunkt. Wir bieten Kindern einen Freiraum für Spiel, Spaß, Gemeinschaft – und auch für religiöse Erfahrungen an. Einen unverzweckten Freiraum, wo es nicht auf besondere Fähigkeiten oder Leistungen ankommt, sondern darauf, dass Kinder Kind sein können – etwas, das in unserer Gesellschaft immer knapper wird.

Heute gibt es eine Fülle von Angeboten für Kinder. Wie geht die Jungschar mit dieser Konkurrenz um?
Natürlich merken auch wir diesen „Markt der zunehmenden Angebote“, wo dann ja oft nicht die Kinder, sondern die Eltern die Auswahl treffen. Ein Vorteil für uns ist, dass wir vor Ort arbeiten: die Kinder haben keine weiten Wege und sie erleben eine Gemeinschaft mit Gleichaltrigen, die sie kennen. Und wir versuchen auch, auf die Zeitknappheit der Kinder einzugehen, etwa indem Gruppenstunden nur alle zwei Wochen stattfinden.  Es gibt auch Gruppen, die sich nur einmal im Monat treffen, dafür aber für mehrere Stunden, wo sie auch miteinander kochen. Das bietet dann auch den Eltern eine zusätzliche freie Zeit, um Dinge zu erledigen.

Wo sehen Sie die wichtigsten Ziele der Jungschar?
Vielleicht kann man es am kürzesten so sagen: Wir wollen Kirche mit Kindern und für Kinder zu sein. Dazu gehört, Kindern einen Lebensraum zu geben, wo sie ernst genommen werden und wo sie wachsen und stark werden können. Dazu gehört auch, dass wir uns bemühen, Kooperation statt Konkurrenz zu fördern, das Miteinander statt dem Gegeneinander. Kinder sind untereinander keine „Engel“, aber sie haben auch ein gutes Gespür für Solidarität und Gerechtigkeit. Da setzt auch die Sternsingeraktion an: Ihr könnt etwas tun für Kinder, denen es nicht so gut geht. Man merkt, auch wenn man eigene Gruppenstunden dazu macht, das spricht die Kinder an, da tun sie voll mit. 

Wie schwierig ist es denn, mit Kindern heute religiöse Fragen zu besprechen oder ihnen religiöse Erfahrungen zu vermitteln?
Von den Kindern selber her ist es nicht schwieriger als früher. Andererseits aber merken wir schon, dass in vielen Familien über Gott nicht mehr gesprochen wird und dass viele Kinder zu Hause kaum mehr religiöse Rituale erleben. Wir sehen aber auch, wie auch diese Kinder begeistert mitmachen, wenn wir mit ihnen eine Adventfeier gestalten oder eine Jesus-Geschichte ausdeuten, wie neugierig sie sind, wenn sie bei einer spannenden Rallye ihre Pfarrkirche entdecken oder wie sie mitten im Spiel plötzlich mit einer religiösen Frage daherkommen. Ich halte es daher gerade heute für ganz wichtig, dass gerade die Jungschar den Kindern diesen Raum für Gottes- und Lebensfragen offen hält.

Den Raum offen halten – wie muss man sich das vorstellen?
Ich meine, dass es zunächst für Kinder schon eine gute Erfahrung von Glaube und Kirche ist, wenn sie in einer Jungschargruppe erleben dürfen, dass sie angenommen sind, dass sie wertvoll sind, dass man sie die Liebe Gottes
im Umgang mit ihnen spüren lässt. Ein weiteres Element, das viele Gruppenleiter/innen aufgreifen, ist, dass man mit den Kindern den Jahreskreis bewusst gestaltet. Dazu gibt es über die Mitarbeiter/innenmagazine (vollbunt u. a.) oder über die Gruppenstundendatenbank (JS Wien) viele kindgerechte Angebote. In vielen Pfarren gibt es auch Feiern und Gottesdienste, die von Jungscharkindern mitgestaltet werden – und da merkt man doch sehr oft: Hier steckt viel Freude drinnen. Ganz entscheidend aber scheint mir auch zu sein, dass die Gruppenleiter/innen ein offenes Ohr haben, denn oft tauchen die Fragen der Kinder ganz unvermutet auf. Da sind dann die Gruppenleiter/innen gefragt, eine Antwort zu geben, hinter der hinter sie auch wirklich stehen. Deshalb legen wir schon in der Grundausbildung Wert darauf, sie zu motivieren, sich persönlich mit wichtigen Lebens- und Glaubensfragen auseinanderzusetzen.

Sie haben die Pfarren bereits angesprochen: Welchen Platz haben da die Kinder?
Das ist sehr unterschiedlich. In manchen Pfarren kommen Kinder eher sporadisch vor, vor allem wenn man sie als Ministrant/innen oder Sternsinger braucht. In anderen gibt es fast jeden Sonntag eigens für Kinder gestaltete Gottesdienstelemente. In Oberösterreichhaben wir immerhin in einem Drittel der Pfarren eigene Kinderliturgiekreise, meist von jungen Müttern, die einfach etwas dafür tun wollen, dass ihre Kinder einen guten Platz in der Kirche haben und in das gemeinsame Feiern hineinwachsen können.

Die Religionssoziologie orten bei der jüngeren Elterngeneration einen deutlichen Einbruch an Religiosität und Kirchlichkeit. Was heißt das für die Jungschararbeit und die Kinderpastoral?
Zunächst heißt das, dass wir mehr informieren müssen, mehr überzeugen müssen. Skeptische Eltern wollen wissen, was ihre Kinder in einer katholischen Jugendorganisation erwartet. Und das finde ich gar nicht so schlecht, das öffnet Chancen für Begegnungen und Gespräche, das schafft Verbindungen zwischen Jungscharleiter/innen und Eltern, die es früher so oft nicht gegeben hat.

Gerade weil Eltern in der Regel das Beste für ihr/e Kind/er wollen, sollten wir in den Pfarren, nicht nur in der Jungschar, der Elternarbeit mehr Gewicht geben. Ich sehe da viele Anknüpfungspunkte, Kontakt aufzunehmen und Eltern auch ein Stück weit zu begleiten –  von der Taufe über Eltern-Kind-Gruppen bis zur Erstkommunion- und Firmvorbereitung.In manchen Pfarren gibt es da ganz spannende Modelle – von mehreren freiwilligen Elternabenden während der Erstkommunionvorbereitung bis zu verschiedenen gottesdienstlichen Feiern, bei denen im Tun das Sakrament der Eucharistie so erschlossen wird, dass auch Fernstehendere gut mitkönnen. Viele Eltern spüren ja, dass ihre Kinder z. B. rund um die Erstkommunion von ihnen etwas brauchen, aber da herrscht oft eine große Hilflosigkeit.

Papst Franziskus sagt, die Kirche müsse hinausgehen auf die Straßen, an die „Ränder“. Was heißt das für die Jungschar?
Das eine habe ich schon angesprochen: Wir müssen in der Kinderpastoral und in der Jungschararbeit neue Wege gehen, damit wir über den Kreis der ohnedies noch Interessierten hinauskommen. Bei den Menschen sein heißt für uns, dass alle Kinder willkommen sind; Kinder mit Beeinträchtigungen ebenso wie Kinder aus schwierigen Verhältnissen oder mit einer anderen Religion.

Ich erinnere mich, dass wir in der Pfarre Garsten ein Mädchen aus einer Kinder-Wohngemeinschaft immer abgeholt haben, damit es mitmachen konnte. Zum Hinausgehen gehört auch, dass wir in der Gesellschaft und in der Politik Anwalt und Stimme der Kinder und ihrer Rechte sind. So haben wir uns mit anderen Organisationen jahrelang dafür eingesetzt, dass die Kinderrechte endlich in die Verfassung aufgenommen wurden. Im Vorjahr haben wir einen Bericht zur Kinderarmut publiziert, für den nicht nur über Kinder geforscht wurde, sondern Kinder selbst befragt wurden. Die Jungschar hat auch in der Präventionsarbeit gegen Gewalt und Missbrauch starke Akzente gesetzt, wenn ich nur an die intensive Schulung von Gruppenleiter/innen oder die Präventionsstelle in meiner Diözese denke. In der Entwicklungspolitik unterstützen wir durch die Sternsingeraktion seit 60 Jahren viele konkrete Projekte. Wir sind aber auch öffentlich eine beharrliche Stimme der Armen, etwa wenn es um den umstrittenen Staudamm Belo Monte in Brasilien geht oder um den beschämenden Beitrag Österreichs für arme Länder.

Wo überraschen Sie Kinder in ihrer Rede von Gott und dem Leben?
Immer wieder – wo ich bei einer Frage oder Antwort merke: das sind ja richtige Theolog/innen, da steckt echt was drinnen. Ich erinnere mich an einen Spaziergang mit meinem Patenkind Ronja. Zwischen begeisterten Ausrufen wie „ schau, so eine schöne Blume“ fragt sie plötzlich nach ihrer Kusine, die bei einem Autounfall ums Leben kam. „Wo meinst du, ist sie jetzt?“ Ich frage zurück: „Wo glaubst du denn?“ Und sie mit unerschütterlicher Gewissheit: „Sie ist jetzt zu Hause bei Gott.“ Und schon war sie wieder bei einem Schmetterling. Ich aber habe lange über diese kürzeste Predigt über den Tod nachgedacht. 

Aus dem KirchenBlatt Nr. 2 vom 9. Jänner 2014