Schenken, ohne zu fragen, ob es sich lohnt; zu denen gut sein, die uns schaden; auf Gewalt verzichten... Die Verlockung ist nicht groß, dass wir die Forderungen Jesu wörtlich nehmen. Wer es aber wagt, wer sich darauf einlässt, der wird einen Hauch verspüren von der befreienden Nähe Gottes, von der Liebe, die gibt – umsonst.

7. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr C, 24. Februar 2019
Wort zum Sonntag von Dr. Elisabeth Kathrein

Evangelium

Lukas 6,27–38

Euch aber, die ihr zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen; betet
für die, die euch beschimpfen! Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd! Gib jedem, der dich bittet; und wenn dir jemand das Deine wegnimmt, verlang es nicht zurück!
Und wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut auch ihr ihnen! Wenn ihr die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür? Denn auch die Sünder lieben die, von denen sie geliebt werden. 

Und wenn ihr denen Gutes tut, die euch Gutes tun, welchen Dank erwartet ihr dafür? Das tun auch die Sünder. Und wenn ihr denen Geld leiht, von denen ihr es zurückzubekommen hofft, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder leihen Sündern, um das Gleiche zurückzubekommen. Doch ihr sollt eure Feinde lieben und Gutes tun und leihen, wo ihr nichts zurückerhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden! Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden! Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden! Gebt, dann wird auch euch gegeben werden! Ein gutes, volles, gehäuftes, überfließendes Maß wird man euch in den Schoß legen; denn nach dem Maß, mit dem ihr messt, wird auch euch zugemessen werden.

1. Lesung

1 Samuel 26,2.7–9.12–13.22–23

Saul machte sich mit dreitausend Mann, ausgesuchten Kriegern aus Israel, auf den Weg und zog in die Wüste von Sif hinab, um dort nach David zu suchen. [. . .] So kamen David und Abischai in der Nacht zu den Leuten und siehe, Saul lag mitten im Lager und schlief; sein Speer steckte neben seinem Kopf in der Erde und rings um ihn schliefen Abner und seine Leute. Da sagte Abischai zu David: Heute hat Gott deinen Feind in deine Hand ausgeliefert. Jetzt werde ich ihn mit einem einzigen Speerstoß auf den Boden spießen, einen zweiten brauche ich nicht dafür. David aber erwiderte Abischai: Bring ihn nicht um! Denn wer hat je seine Hand gegen den Gesalbten des HERRN erhoben und ist ungestraft geblieben? [. . .] David nahm den Speer und den Wasserkrug, die neben Sauls Kopf waren, und sie gingen weg. Niemand sah und niemand bemerkte etwas und keiner wachte auf; alle schliefen, denn der HERR hatte sie in einen tiefen Schlaf fallen lassen. David ging auf die andere Seite hinüber und stellte sich in größerer Entfernung auf den Gipfel des Berges, sodass ein weiter Zwischenraum zwischen ihnen war. [. . .] David erwiderte: Seht her, hier ist der Speer des Königs. Einer von den jungen Männern soll herüberkommen und ihn holen. Der HERR wird jedem seine Gerechtigkeit und Treue vergelten. Obwohl dich der HERR heute in meine Hand gegeben hatte, wollte ich meine Hand nicht an den Gesalbten des HERRN legen.

2. Lesung

1 Korinther 15,45–49

So steht es auch in der Schrift: Adam, der erste Mensch, wurde ein irdisches Lebewesen. Der letzte Adam wurde lebendig machender Geist. Aber zuerst kommt nicht das Überirdische; zuerst kommt das Irdische, dann das Überirdische. Der erste Mensch stammt von der Erde und ist Erde; der zweite Mensch stammt vom Himmel. Wie der von der Erde irdisch war, so sind es auch seine Nachfahren. Und wie der vom Himmel himmlisch ist, so sind es auch seine Nachfahren. Wie wir nach dem Bild des Irdischen gestaltet wurden, so werden wir auch nach dem Bild des Himmlischen gestaltet werden.

WORT ZUM SONNTAGDr. Elisabeth Kathrein

Dr. Elisabeth Kathrein
war bis zur Pensionierung Religionslehrerin in Tirol. Die Theologin lebt mit ihrer Familie in Telfs und ist erreichbar unter

 


Der Blick der Liebe

Sie war in einem Altersheim tätig, jahrzehntelang, Tag für Tag, und bei Bedarf auch nachts. Als Klosterfrau hat sie Dienst getan an jenen, die sich nicht mehr helfen konnten. Nie kam von ihr eine abwertende Bemerkung über die ihr anvertrauten Personen. Nach ihrem Geheimnis befragt, gab sie zur Antwort: „Ich versuche, in jedem Menschen Christus zu sehen.“ Sie hatte weder Theologie studiert noch Kommunikationsseminare besucht – aber gewusst, dass in jeder Begegnung etwas von der Würde sichtbar wird, die Gott gegeben hat.

Um die Würde geht es auch in der aktuellen Auseinandersetzung über Missbrauch in der Kirche. Die Faktenlage scheint erdrückend,
die Abwertung der Frau systemimmanent zu sein. Menschen werden in ihrer Würde verletzt, wenn gute Grenzen überschritten werden, wenn sie zu „Gegenständen“ eigener Interessen degradiert und nicht mit dem Blick der Liebe wahrgenommen werden. Missbrauch geschieht aber auch dann, wenn Ungereimtheiten menschenverachtend ins Öffentliche gezerrt werden.

Anders Jesus im heutigen Evangelium: „Seid barmherzig wie euer Vater! Richtet nicht, verurteilt nicht, erlasst einander die Schuld ...“
Damit ist nicht gemeint, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Was wir sehen, erlebt oder erlitten haben, wird durch Verschweigen nicht ungeschehen. Aber Jesus sagt deutlich, wessen Angelegenheit es ist, darüber zu befinden: Es ist Sache des Vaters! Das Verbot zu richten ist radikal, das Gebot „Liebt eure Feinde“ nicht weniger. Beides verlangt, zwischen Person und Handlung zu unterscheiden und nicht denkfaul oder gar eigennützig die Feinheiten zu verwischen. Wie gesagt, um die Würde geht es. Vielleicht liegt der Schlüssel tatsächlich im „Geheimnis“ der Klosterfrau: In jedem Menschen Christus sehen.

Zum Weiterdenken

Vom anderen gut zu denken – habe ich als Christ denn eine andere Wahl?
Welcher Mensch wartet gerade heute auf mein gutes Wort?

(aus dem KirchenBlatt Nr. 8 vom 21. Februar 2019)