Das UNO-Hochkommissariat für die Flüchtlinge hat am 17. September den Nansen-Preis der kongolesischen Nonne Angélique Namaïka zugesprochen. Mit ihrem Zentrum für Reintegration und Entwicklung in Dungu hat sie mehr als 2.000 vertriebenen und missbrauchten Frauen und Mädchen zu neuer Lebenskraft verholfen.

Die meisten von ihnen sind Opfer der LRA (Lord’s Resistance Army) und waren - wie sie berichten - von Entführungen, Zwangsarbeit, Schlägen, Mord, Vergewaltigung und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen betroffen.

Der kongolesische Journalist Habibou Bangré hat die Preisträgerin an ihrem Einsatzort getroffen und gesprochen.

Soeur AngeliqueDie Sonne versinkt hinter dem Haus von Sr. Angélique Namaïka in Dungu. Die Stadt liegt im Nordosten des Landes. Der Himmel färbt sich bläulich-rosa und der Fluss Kibali schmiegt sich ins Land. Am anderen Ufer ist ein grüner Wald zu sehen. „Dorthin“, fängt die 46-jährige Nonne an zu erzählen, „bin ich im Oktober 2009 geflüchtet. Die LRA (Lord‘s Resistance Army, Widerstandsarmee des Herrn, Anm.) hatte in Duru mit ihren Attacken begonnen. Die Flüchtlinge sind bei uns hier angekommen. Ich bin dann über den Fluss hinüber zu den Franziskaner-Schwestern gegangen.“

Zwei Monate später musste Sr. Angélique - sie stammt aus einer christlichen Familie mit sechs Kindern im Dorf Kembisa - neuerlich flüchten. „Eines Morgens, wir waren in der Kirche, haben wir Schüsse gehört. Wir haben den Gottesdienst schnell zu Ende gebracht und sind etwa 25 km in den Busch gelaufen, wo wir eine Zuflucht fanden. Es waren sehr viele auf der Flucht, wir haben Hunger gelitten … Und dann kam der Moment, wo ich meinen ganzen Mut zusammen genommen und geschaut habe, ob es einen Hinterhalt gibt. Dann bin ich in einem nahe gelegenen Feld etwas zu essen suchen gegangen.“ Kurze Zeit darauf sind in der Gegend Soldaten aufmarschiert. Weil sie Angst hatte, kehrte Sr. Angélique erst im Januar 2010 wieder zurück.

Die Bevölkerung ist von der LRA traumatisiert.
Die LRA ist im Jahre 1988 im Norden Ugandas entstanden und hat sich in den folgenden sieben Jahren den Nordosten Kongos, aber auch Zentralafrika und den Süden des benachbarten Sudan infiltriert. Die LRA hat schnell traurige Berühmtheit erlangt: durch ihre Grausamkeiten, die Vergewaltigungen und sexuellen Versklavungen, die Verstümmelungen, durch die Kindersoldaten und die zahllosen Morde, wie jenen an der kongolesischen Schwester Jeanne Yengane, Anfang 2011.
Die kongolesische Armee bestätigt zwar, dass Joseph Kony - er wird wegen seiner Verbrechten vom Internationalen Strafgerichtshof weltweit gesucht -  und seine Guerilla-Truppe nicht mehr aktiv sind. Aber die UNO klagt ihn für etwa 50 Angriffe an, bei denen seit Januar 17 Menschen getötet und 53 Personen, darunter 9 Kinder, entführt worden sind.
Die Stadt Dungu - mit ihren 73.000 Einwohnern - muss mit 25.000 Flüchtlingen fertig werden. In der nordwestlichen Provinz sind rund 320.000 Flüchtlinge registriert. „Was ich auf meiner eigenen Flucht im Jahre 2009 erlebt habe, hat mir sehr geholfen bei der Unterstützung der vertriebenen Frauen“, berichtet Schwester Angélique. Zuerst hört sie ihnen zu und versucht, ihnen  mit Geschichten aus der Bibel Trost und Beruhigung zu geben. „Ich erkläre ihnen, dass Gott den Glauben von Hiob geprüft hat, indem er ihm alles nahm, was er hatte. Er war am Ende krank und blind. Aber Gott hat gesehen, dass Hiob wahrhaftig liebte - und hat ihm alles wieder gegeben.“

Totales Engagement für die Frauen.

In einem nächsten Schritt geht es Sr. Angélique darum, die Flüchtlingsfrauen selbstständiger zu machen. Das geht so, dass sie sich mit ihrem Fahrrad durch die dreckigen Straßen Dungus arbeitet, um den Frauen Lesen und Schreiben beizubringen, aber auch das Backen, Nähen, die Schneiderei und das Führen eines Haushalts. „Sie ist eine beispielhafte, wunderbare Frau mit so viel Initiative und gibt den Menschen Hoffnung auf ein Morgen“, freut sich Christian Mingaba, der traumatisierte Kriegswaisen betreut.
„Seit ich Nähen gelernt habe, verkaufe ich Kleidungsstücke und das hilft mir, mein tägliches Brot zu verdienen, die Nahrung, Seife und was man halt so braucht“, bekräftigt eine 19-jährige Frau, die schwanger aus der Gefangenschaft entkommen ist. Und wehe dem, der schlechte Arbeit macht. Denn, auch wenn Soeur Angélique es gut versteht, die Frauen mit einem großzügigen Lächeln zu ermutigen, weiß die Franziskanerin - mit einem ernsten Blick aus ihren Mandelaugen - auch zu tadeln. Aber: „In allem was sie tut, ist sie vertrauensvoll und ernst, sie hat sich mit Leib und Seele dieser Sache verschrieben, ist bei jedem Treffen dabei, wo es um Menschenrechte geht“, kommentiert Abbé Remi den Einsatz der starken Nonne, die jeden Morgen um 6.30 Uhr zu ihm in die Messe kommt. „Wenn es nicht so geht, wie sie es sich vorstellt, versucht sie zu überzeugen. Und wenn das nicht nützt, zieht sie sich zurück oder sie revoltiert“, zeichnet der Geistliche den Charakter der Preisträgerin.

Sie steckt alles in die Entwicklung ihrer Aktivitäten.
Schwester Angélique sagt, sie habe seit 2003 mehr als 2.000 Frauen - gleich ob sie wegen der LRA geflüchtet sind oder nicht - geholfen. Und bei sich zu Hause kümmert sie sich außerdem noch um 58 Waisenkinder. Zu alledem ist sie mit einer Klage in der Sache „ihrer“ Flüchtlinge bis vor den Sicherheitsrat der UNO gezogen. Diesem Engagement hat das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) nun Respekt erwiesen und  der Franziskanerschwester den Nansen-Preis 2013 zugesprochen. Die Auszeichnung ist mit 100.000 Dollar (75.000 Euro) dotiert. Was mit dem Preisgeld geschieht, hat Sr. Angélique schon entschieden: „Ich werde das Geld für die Entwicklung der Aktivitäten der Frauen einsetzen, denn dieser Preis ist die Frucht ihrer Gebete.“

Bitte um Bekehrung.

Die kongolesische Nonne wird am 30. September in Genf ihre Auszeichnung entgegennehmen. Am 2. Oktober wird sie von Papst Franziskus empfangen. Für Soeur Angélique - die die 1985 selig gesprochene, kongolesische Nonne Clémentine Anuarite Nengapeta (sie ist 1964 wegen ihrer Weigerung, einen Rebellenchef zu heiraten, getötet worden) sehr bewundert - wird das ein bewegendes Erlebnis sein. Und sie hat auch eine Botschaft für den Papst: „Ich werde für Mr. Kony und seine Umgebung, die zu derart unsäglichen Verbrechen aufrufen, die Gnade der Bekehrung erbitten, damit die Frauen und Kinder in ihre Dörfer zurückkehren und ein normales Leben führen können, so wie es vorher war.“

Der Artikel von Habibou Bangré (Dungu, RDC) ist in „La Croix“ vom 17. September 2013 erschienen. Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Dr. Walter Buder. Mit freundlicher Genehmigung der Direktion von „La Croix“.


Der Nansen-Flüchtlingspreis
wurde nach dem norwegischen Polarforscher, ersten Flüchtlingskommissar und Friedensnobelpreisträger Fridtjof Nansen benannt. Seit 1954 wird er jährlich an ein Individuum oder eine Gruppe vergeben, um deren außergewöhnliche Hingabe an den Flüchtlingsschutz zu würdigen. Jeder kann jeden für den Preis nominieren, unabhängig von dessen Glaube, Hautfarbe, Alter oder Beruf, sondern nur aufgrund seiner besonderen Anstrengungen, um gewaltsam vertriebenen Menschen auf der Welt zu helfen.
Die Auszeichnung besteht aus einer Erinnerungsmedaille und einem Geldpreis von 100.000 US-Dollar, der von der norwegischen und schweizer Regierung zur Verfügung gestellt wird. Mehr als 60 Einzelpersonen, Gruppen und Organisationen haben den Preis bisher erhalten.

(aus KirchenBlatt Nr. 39 vom 26. September 2013)