Religion und Kultur. Zwei wesentliche Bereiche unseres Lebens, die einen wichtigen, prägenden Stellenwert einnehmen können und sollten. Auf den ersten, flüchtigen Blick zwei Bereiche, die mehr trennt als vereint. Aber ist das wirklich so? Zwei absolute Experten auf dem jeweiligen Gebiet, die Intendantin des Vorarlberger Landestheaters Stephanie Gräve und Markus Hofer, Autor und Glaubensexperte im Pastoralamt der Diözese Feldkirch, begeben sich am 22. Oktober in der Alten Kirche in Götzis auf die Suche nach Gemeinsamkeiten, Abgrenzungen, Verbindendem und dem, was wirklich zählt.

Die Fragen stellte Petra Baur

Stephanie GräveKirchenBlatt: Frau Gräve, beginnen wir gleich mit der Gretchen-Frage: Wie haben Sie es mit der Religion?
Stephanie Gräve: Das würde eigentlich eine umfangreiche, komplexe Antwort erfordern, was an dieser Stelle nicht möglich ist. Darum nur grundsätzlich: Persönlich empfinde ich mich als Christin, als katholische Christin, denn meine religiöse Prägung und Erziehung waren katholisch. Allerdings: Zur Kirche habe ich im Moment mehr Distanz als je zuvor in meinem Leben. Das hat wohl verschiedene Gründe, natürlich spielt das Entsetzen über die Missstände, die zunehmend bekannt werden, eine Rolle, aber auch meine Lebenssituation, die wenig Raum für zusätzliches Engagement lässt. Und doch würde ich sagen: Mein Wertesystem, mein Handeln und meine Ideale sind christlich.

Bei der Veranstaltung in der Alten Kirche in Götzis geht es ja um die grundsätzliche Frage: Was verbindet und trennt Religion und Kultur. Ohne zu viel im Vorfeld zu verraten: Sehen Sie mehr Trennendes oder Verbindendes?
Gräve: Was Religion und Kultur verbindet, das ist sicher die Suche nach der Sinnhaftigkeit unseres Lebens, nach Bedeutung jenseits der rein materiellen Welt. Sozusagen die metaphysische Sehnsucht, die sich auch im gemeinsamen Bedürfnis nach tieferer Auseinandersetzung zeigt, nach dem Blick hinter die Oberfläche. Gemein ist beiden auch die hohe Bedeutung, die der menschlichen Gemeinschaft beigemessen wird, und der Verantwortung der Einzelnen für dieselbe und für die Mitmenschen.
Das sind die Inhalte - auch die Formen der Auseinandersetzung gleichen sich: Beide, Kultur und Religion, leben von Wort, Bild, Musik, sind zumindest in unserem Kulturkreis ohne diese Elemente schwer vorstellbar. Und nicht ohne den gemeinsamen Hang zur Inszenierung, zur Zeremonie. Eine unschöne Gemeinsamkeit ist die Tendenz zur strikten Hierarchie, zumeist sehr männlich dominiert.

Was erwarten Sie sich von dem Abend?
Gräve: Vor allem anregende Gespräche, die hoffentlich bei den Besucherinnen und Besuchern Interesse fürs Theater wecken, und mich ganz persönlich wieder in näheren Kontakt mit Kirchenvertreter/innen bringen. Großartig wäre, wenn Ideen für weitere gemeinsame Projekte entstünden.

Es ist bereits die zweite (dritte) Spielzeit, die Sie am Landestheater in Bregenz leiten. In deutschsprachigen Fachzeitschriften werden Sie für Ihre Arbeit hoch gelobt. Wie aber empfinden Sie die Resonanz des heimischen Publikums?
Gräve: Ästhetisch wie inhaltlich war unser Neubeginn 2018 für das Vorarlberger Publikum sicher ein Umbruch, eventuell ein größerer, als ich mir vorgestellt habe. Solche Veränderungen verlaufen in der Regel nicht friktionsfrei - es gab durchaus bei einem Teil des Publikums Irritationen bis hin zur Verärgerung. Was an sich nachvollziehbar ist - erschrocken war ich über die Feindseligkeit, mit der es bei einem kleinen Teil einherging. Als sei es nicht Entwicklung, Veränderung, sondern als würden wir ihnen etwas wegnehmen, was ihnen gehört. Das könnte man positiv als Theaterliebe sehen, es schien mir aber eher Besitzstandswahrung.
Das erste Jahr war davon belastet, und zu Beginn der zweiten Spielzeit blickten wir oft auf leere Plätze - was sich zum Glück gelegt hat, bis Ende März hätten wir mehr Besucher/innen gehabt als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Es ist also gelungen, einen Teil des Publikums weiter zu begeistern und gleichzeitig neue Menschen für das Theater zu gewinnen - ich hoffe, das setzt sich fort in der schwierigen Situation, in der wir uns gerade befinden.

 Markus HoferKirchenBlatt: Herr Hofer, welchen Stellenwert nimmt die Religion in Ihrem Leben ein?
Markus Hofer: Religion ist in meinem Leben elementar, d.h. ich denke nicht immer dran und bete nicht dauernd, aber es ist mein Fundament, auf dem ich lebe. Ich frage mich immer wieder, ob das, was ich tue, das Richtige ist, das, wofür Gott mich brauchen kann. Wenn es das Richtige ist, dann geht es letztlich auch leicht. Gegen Widerstand zu leben ist auf Dauer schrecklich.
Und dann liebe ich alle diese Formen, die Rituale, die Gesänge - ich wurde im Kloster Mehrerau mit Gregorianischem Choral sozialisiert - die Bilder, die Gerüche, unsere wunderbaren Kirchenräume, das alles tut einfach meiner dürstenden Seele so wohlig gut.

Bei der Veranstaltung in der Alten Kirche in Götzis soll ja die grundsätzliche Frage „Was verbindet und trennt Religion und Kultur?“ vertieft werden. Sehen Sie mehr Trennendes oder Verbindendes?
Hofer: Ohne zu viel im Vorfeld zu verraten: Religion und Kultur sind von Anfang an ein Geschwisterpaar, ein sehr altes schon. Die Religion ist allerdings die ältere Schwester der beiden. Im 15. Jahrhundert hat sich dann die jüngere Schwester, die Kultur, von der älteren allmählich emanzipiert. Bis dahin ist jede Kunst immer eine religiöse. Das griechische Theater war bereits eigenständig, aber die kultischen Rituale waren seine Vorgänger. Ich sehe also viel mehr Verbindendes als Trennendes. Die Eigenständigkeit der jüngeren Schwester ist heute aber wichtig, so ist dann auch viel Befruchtendes möglich in beide Richtungen.

Was erwarten Sie sich von dem Abend in der ­Alten Kirche in Götzis?
Hofer: Ich erhoffe mir eine anregende Auseinandersetzung in diesem spannenden Feld von Kultur und Religion. Vermutlich werden wir sehr viele Gemeinsamkeiten entdecken. Doch bevor wir uns nur in die Arme fallen, wird es auch wichtig sein, die Unterschiede und Eigenständigkeiten zu schärfen. Zwei emanzipierte Schwestern sollen sich da gegenüberstehen! Und damit stelle ich mir auch einen bereichernden Abend vor. Ich bin selber schon sehr neugierig, was die Kultur von der Kirche will. Außer Geld, da haben wir selber keines.

Als Autor, Glaubensexperte und Vortragender haben Sie bereits mehrfach die gute Verbindung von Kultur und Glauben vermittelt. Was sind daraus Ihre bisher wichtigsten Erkenntnisse?
Hofer: Die Kirche war über 1500 Jahre die kulturbestimmende Kraft in Europa, das vergessen wir gerade in der Kirche oft gerne. Der christliche Glaube hat in Ritualen, Bildern und Klängen seine Gestalt gefunden und diese Dinge wirken oft mehr als die Predigt. Und sie sprechen auch heute noch Menschen an, die sonst nicht zum engen Kirchenkreis gehören. Nur die besonders zeitgemäße Pastoral will davon nicht mehr viel wissen. Manche sehen da unsere wunderbaren Kirchenräume eher als Hemmschuh. Und wenn einmal nur noch Selbstgebasteltes aus der Volksschule den Kirchenraum bestimmt, darf man diese Ästhetik auch hinterfragen.

Moderierter Dialog mit musikalischer Begleitung in der Alten Kirche in Götzis

Do 22. Oktober 2020, 19 Uhr
Wichtig: Einlass nur mit schriftlicher Anmeldung bis spätestens
12. Oktober 2020 an
Begrenzte Platzanzahl. Es gelten die ­aktuellen CoV-Bestimmungen.

(aus dem Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 39 vom 24. September 2020)