Wie umgehen mit Schuld? Gedanken des Innsbrucker Altbischofs Dr. Reinhold Stecher. Es berichtet Gilbert Rosenkranz.

Jeder von uns wird im Laufe seines Lebens schuldig. Und trägt diese Schuld mit sich herum. Die Frage ist nur: Was tut man mit ihr? Oder: Wie wird man sie wieder los? Für Altbischof Reinhold Stecher verhält es sich mit der Schuld wie mit dem Müll. Wir brauchen Wege der „Entsorgung”.

Wenn der Müll der Seele nicht geordnet entsorgt wird, dann belastet er die Umwelt wie eine wilde Deponie. Für die Auseinandersetzung mit Schuld sei es wichtig, zwischen Schuld und Schuldgefühlen zu unterscheiden. Das müsse nicht immer dasselbe sein. Bischof Stecher erinnert an einen Autofahrer, dem ein Kind plötzlich vor das Auto springt und dabei zu Tode kommt. Obwohl den Fahrer keine Schuld trifft, wird er sich zeitlebens Vorwürfe machen und setzt sich womöglich nie mehr hinter das Steuer. „Falsche Schuldgefühle können krank machen“, so Stecher.

Als Beispiel für das klare Vorliegen von Schuld nennt der ehemalige Religionslehrer Prüfungen, bei denen Lehrer Schüler so prüfen, dass sie mit Sicherheit ein „Nichtgenügend“ bekommen. „Jemanden auf Nichtgenügend zu prüfen, ist ein glattes Unrecht und widerspricht jedem Ethos eines Lehrers.“

Das Böse ist ein Hügel
Formen, die bei der Verdrängung von Schuld häufig angewandt werden, seien die Flucht in die Arbeit, das Zudecken mit Konsum oder die Belastung anderer. Stecher: „Aus Afrika stammt ein schönes Sprichwort: Das Böse ist ein Hügel. Jeder steht auf seinem und zeigt auf den Hügel der anderen.“ Die Freude über den Hügel der anderen sei heute sehr verbreitet und werde in Form von Klatsch und Tratsch vielfach weitergetragen.

Als weitere Form, Schuld zu verdrängen, nennt Bischof Stecher das Zerreden. Dies zeige sich in der Diskussion rund um die Abtreibung. Statt Mensch werde von Leibesfrucht gesprochen, statt Schwangerschaftsabbruch von Schwangerschaftsunterbrechung, statt Abtreibung von Eingriff. Und durch den Begriff „Fristenlösung“ bekomme die Abtreibung schließlich sogar einen positiven Klang.

Versöhnung braucht den „Strahl der Liebe Gottes”.
Bischof Stecher ermuntert Eltern und Großeltern, Kindern zu helfen zwischen Schuld und Schuldgefühlen unterscheiden zu lernen. Er erzählt von einem Abendessen, während dem unter Kindern ein Streit um das Dreirad ausbricht. Ein Bub will das Fahrzeug nicht hergeben, obwohl er es schon lange hatte. Es kommt zum Streit, dabei fällt eine wertvolle Tasse zu Boden und zerbricht. Das Kind erwartet wegen der kaputten Tasse eine Strafpredigt. Doch anders als erwartet sagt die Mutter: „Dass eine Tasse kaputt wird, kann passieren. Aber dass Du Deiner Schwester das Dreirad nicht gegeben hast, ist falsch.“ In diesem Zusammenhang unterstreicht Bischof Stecher die Bedeutung der Schuldentlastung für Kinder. In einer Atmosphäre der Liebe und Geborgenheit sei dies leichter möglich, Kinder könnten so ihr Gewissen besser entwickeln. Das gelte auch für die Reue.

Persönlich bedeutsam für das Verständnis von Schuld und Schuldentlastung wurde für Bischof Stecher die Begegnung mit einem Bischof der Ostkirche. Dieser habe ihm eindrucksvoll versichert, dass Menschen nur bereuen könnten, wenn sie getroffen seien vom Strahl der Liebe Gottes.

Umkehr - im Vertrauen auf Barmherzigkeit
Der Gang in die Stille. Zur Aufarbeitung von Schuld empfiehlt Bischof Stecher den Gang in die Stille – um in dieser Zeit einen Rat des heiligen Augustinus zu beherzigen: „Suche in Liebe, was nicht von Liebe zeugt, und Du wirst Liebe ernten.“ Die Beichte könne eine gute Gelegenheit sein, „um sich zu prüfen und in sich zu gehen“. Wichtig sei aber ein von Grund auf gutes Gottesbild, das Wissen um einen barmherzigen Gott, der wartet. Persönlich gehe er einmal im Monat beichten.
Eine beispielhafte Auseinandersetzung mit der Schuld lieferte in den Augen von Reinhold Stecher kürzlich auch die lutherische Bischöfin Margot Kässmann. Dass sie nach ihrer Autofahrt mit Alkohol am Steuer zurückgetreten sei, „ist eine reife Auseinandersetzung mit Schuld. Das hat mir imponiert“, meinte der Bischof.
Gilbert Rosenkranz

(aus KirchenBlatt Nr. 20 vom 23. Mai 2010)