Die Direktorin des Vorarlberger Architektur Instituts (vai) und Kommissärin des österreichischen Pavillons der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig, Verena Konrad, lud Stefan Sagmeister ein, einen Beitrag zum Thema „Schönheit“ zu gestalten. Der New Yorker Stardesigner mit Bregenzer Wurzeln sprach mit dem KirchenBlatt darüber, wie er das Schöne sieht - auch im Zusammenhang von klassischer Theologie und Philosophie.

Wolfgang Ölz

Wie kommen Sie auf die provokante These „Schönheit = Funktion“?
Stefan Sagmeister: Wir sind durch die Erfahrung im Studio draufgekommen, dass immer wenn wir die Form sehr ernst nehmen und viel Liebe in die Schönheit stecken, die resultierende Arbeit viel besser funktioniert. Wir haben dies in der Zwischenzeit auch bei vielen anderen Beispielen festgestellt: All die funktionalen 1970-er-Jahre-Wohnblöcke, die in den 90-ern schon wieder gesprengt werden mussten, weil niemand darin wohnen wollte, die hätten viel besser funktioniert, wenn Schönheit während der Planungsphase ein Teil des Ziels gewesen wäre.

Was beschäftigt Sie zur Zeit in Ihrer Arbeit im Zusammenhang mit dem Begriff der Schönheit?
Sagmeister: Das „Schöne“ wurde im 19. Jahrhundert als eigener Wert angesehen, auf derselben Höhe wie das „Gute“. Als sich dann im 1. Weltkrieg sogenannte zivilisierte Nationen auf die brutalste Art umbrachten, verloren viele Künstler, gerade auch Max Ernst und Marcel Duchamp, den Glauben an den Wert des Schönen. Darum Duchamps Pissoir als Verneinung der Schönheit. (Anm. d. Redaktion: Marcel Duchamp hatte ein Pissoir auf einen Sockel gestellt und zum Kunstwerk erklärt) Dieses Denken ist für mich geschichtlich gut nachvollziehbar, heute aber durch hundertjährige Wiederholung im wahrsten Sinne des Wortes überholt und langweilig.

Was zeigen Sie bei Ihrer Beauty-Show im Herbst am Museum für Angewandte Kunst in Wien?
Sagmeister: Wir selber beschäftigen uns vor allem mit der vom Menschen gemachten Schönheit, das heißt mit Dingen wie Design und Architektur und lassen die Schönheit der Natur anderen über. Das Thema ist so schon groß genug. Wir werden versuchen, eine Ausstellung zu gestalten, die beweist, dass Schönheit weder oberflächlich noch kommerziell ist, sondern zutiefst Teil von dem ist, was es heißt Mensch zu sein. 

„Schönheit wird die Welt retten“, heißt es bei Dostojewski. Stimmen Sie dem zu?
Sagmeister: Ob sie die Welt retten wird, das weiß ich nicht. Sie wird die Welt lebenswerter machen, das ist gewiss.

Kant verbindet das Schöne mit dem Sittlichen, die Ästhetik mit der Ethik. Inwieweit beinhaltet die Schönheit eine Aufforderung zum Guten?
Sagmeister: Ich weiß, dass ich mich in einer schönen Umgebung besser verhalte. Ich fühle mich auch besser. Ich selber gehe jeden Morgen auf der High Line in New York rennen, und habe dort noch nie ein weggeworfenes Papierchen gesehen. 50 Meter von der High Line im benachbarten Meatpacking District, liegt viel Abfall in den Rinnsteinen. Die Sorgfalt, mit der die High Line gestaltet ist, verändert das Verhalten.

Thomas von Aquin nennt die Eigenschaften Gottes als „Das Eine, das Wahre, das Schöne“. Spielt das bei ihrer Suche nach der Schönheit eine Rolle?
Sagmeister: Ich nehme an, dass, wenn Thomas von Aquin vom „Wahren“ spricht, er das „Wahrhaftige“ und nicht das Wahre als Gegenteil einer Lüge meint. Wenn ich die Stiegen hinunterfalle und mir das Bein breche, dann ist das wahr. Aber nicht schön. Ich selber glaube: Die Schönheit ist eine Kombination von Gestalt, Farbe, Komposition, Materialität und Form, die meine ästhetischen Sinne anspricht, speziell mein Sehen.

Inwieweit ist der schöne Schein bzw. der Kitsch eine Gefahr?
Sagmeister: Wenn ich etwas so oft gesehen habe, dass es mir unehrlich erscheint, dann empfinde ich dies als Kitsch: Sonnenuntergänge vor Palmen oder Katzenbabys auf rosarot sind ja an sich nicht unehrlich. Wir kennen sie nur zu gut.

ZUR SACHE

Venedig Biennale in Dornbirn erleben

Die Architektur Biennale in Venedig ist noch bis 25. November 2018 geöffnet. Wer keine Zeit oder kein Geld hat, die Biennale zu besuchen, kann nun in den Räumlichkeiten des „vai“ in einer Ausstellung die Entwicklung und die fertige Präsentation des österreichischen Beitrags sehen. Die drei Positionen in Venedig beschäftigen sich mit Widerstand gegen das Absolute (Kathrin Aste und Frank Ludin), mit Atmosphäre (Henke Schreieck) und mit Schönheit (Jessica Walsh und Stefan Sagmeister).

Kuratorin Verena Konrad sagt, dass die Ökonomisierung und Funktionalisierung des Bauens im 20. Jahrhundert nachvollziehbar gewesen sei, da sich alles um Demokratisierung der Bauvorhaben gedreht habe. Heute gehe es in der Architektur aber darum, so human zu bauen, dass es dem Menschen entspricht. Der Begriff „Schönheit“ gewinnt zusehends wieder an Attraktivität und ist dabei Sakrileg und Leitstern gleichermaßen. Der Vatikan nimmt dieses Jahr übrigens erstmals an der Architektur Biennale in Venedig mit einem mehrere Kapellen umfassenden Beitrag teil. Und das, wie Verena Konrad sagt, sehr erfolgreich.

Vorarlberger Architektur Institut (vai),
Marktstraße 33, Dornbirn,
T 05572 51169

(aus dem KirchenBlatt Nr. 24 vom 14. Juni 2018)