Georg Büchners „Lenz“ in einer gültigen, emotional fordernden Inszenierung auf der kleinen Bühne des Vorarlberger Landestheaters. Der Hauptdarsteller Nico Raschner ließ sich von der Wucht des Textes und der Inszenierung durch diese knappe Stunde Totaltheater tragen. Auch heute noch ein gefühlter Tabubruch.

Wolfgang Ölz

Der ewige Jungstar der deutschen Theatergeschichte Georg Büchner starb 1837 im Alter von 23 Jahren. Sein „Lenz“ bringt das schreckliche Leid einer grassierenden und geradezu explodierenden psychischen Erkrankung eines genialen Schriftstellers zur Ansicht. Es ist davon auszugehen, dass das Stück stark autobiographische Züge trägt. Damals ein Ausnahme-Stück ist es heute noch so, dass die Literarisierung einer bipolaren Störung nach wie vor an einen Tabu rührt. Wer spricht gerne über die Geißel kürzeste Augenblicke höchsten Glücksgefühls mit langen Phasen der Gleichgültigkeit zu erleben. Auch eine Borderline-Erkrankung, also der pathologische Wunsch sich selbst Schmerzen zuzufügen, ist tabu. In unserer oberflächlichen Facebook-Smiley-Welt ist es nicht statthaft, über die grausame Neigung zum Manisch-Depressiven und einer heraufkommenden Schizophrenie auch nur zu sprechen. Genau das macht Büchner in seinem naturalistischen Stück, das erstmals in der Geschichte einen durchschnittlichen Menschen ins Zentrum rückt, während Zeitgenossen wie der Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe immer noch Adelige und klassische Helden favorisierten.

Identifikation mit der Rolle

Niko Raschner glückt mit diesem Abend sicherlich eine der besten Leistungen in seiner Zeit als Ensemblemitglied des Vorarlberger Landestheaters. Sein schmerzliches Lächeln beim Schlussapplaus deutet an, wie sehr sich der junge Schauspieler mit seiner theatralischen Figur identifiziert hat. Lebensunfähigkeit, Unglück in der Liebe, ein zerrüttetes Verhältnis zum Vater und zu einem gewissen Pfarrer Oberlin, der als Vaterfigur fungiert, prägen die gepeinigte Psyche des leidenschaftlichen Jugendlichen. Statt Burnout oder Depression hatte man damals noch von religiöser Melancholie gesprochen. Auch wenn das eine Verkennung der Lage bedeutet, trifft diese Vor-Freudsche Diagnose doch auch einen Teil des Krankheitsbildes. Lenz versucht ja, sich Pfarrer Oberlin als Vorbild zu nehmen und die Natur als Geschenk Gottes anzusehen um aufkommende Ängste mit Hilfe der Bibel abzuwenden. Freilich gelingt ihm das nicht und das Kippen in einen herzzerreißenden Atheismus ist die schreckliche Folge.

Die Inszenierung von Jürgen Sarkiss im engen Raum der „Box“ lässt weder dem dargestellten Lenz noch dem Publikum eine Möglichkeit, sich der Intensität des Geschehens zu entziehen. Der Zuschauer wird in den Strudel der gewaltsam hervorbrechenden Emotionen mit hineingezogen. Gerade darin liegt wohl die Qualität dieser Aufführung. Auch auf die Gefahr hin den Wunsch nach Distanz und Abgrenzung zu verspüren.

Georg Büchner: Lenz.
Karten:
T 05574 42870 600
E ticket@landestheater.org
Sa 22. Jänner, Di 5., Fr 8. und Sa 9. April,
19.30 Uhr, Box, Vorarlberger Landestheater, Kornmarktplatz, Bregenz.