Wieder lernen, vor Gott zu klagen - mit dieser Grundbotschaft richtete sich P. Martin Werlen, Propst von St. Gerold, in seiner Fastenpredigt in der Bludenzer Heilig Kreuz-Kirche an die Gläubigen. Denn: „Nur wer klagt, hofft.“

P. Martin Werlen griff in seiner Predigt gleich vorweg: Wir müssen wahrlich hoffnungsvolle Menschen sein, so viel wie geklagt wird, gerade in dieser Krisenzeit, die das Corona-Virus bereitet. „Aber vielleicht klagen wir am falschen Ort. Es gibt Leute, die sich über die Maßnahmen ärgern und sich dagegen einsetzen. Sie gehen dafür sogar auf die Straße“, sagte der Propst, und weiter: „Ehrlich gesagt, ich würde mich ihnen sofort anschließen, wenn das das Corona-Virus beeindrucken und zur Umkehr bewegen würde.“

Wen anklagen?

Es sei aber zu einfach, alleine die Regierung für die Krise verantwortlich zu machen. Wenn der Bundeskanzler der Schuldige wäre, könne man die Probleme ja auch schnell lösen. Und: „Selbstverständlich werden im Nachhinein viele Fehlentscheidungen zum Vorschein kommen. Alle sind jetzt am Schwimmen“, so Martin Werlen.

Alle haben es nun mit einer Situation zu tun, für die niemand kurzfristige Lösungen kenne, führte er weiter aus. Nur langfristig könne man hoffen, dass mit der Impfung auch das Aufatmen komme. „Wen sollen wir denn jetzt anklagen, wegen den Umständen, wegen dieser Pandemie?“ fragte P. Martin Werlen.

Gott!

Die Älteren seien gewiss nicht die Adressaten, ebenso wenig die Kinder. Auch die Regierung falle weg. „Auch wenn wir nicht an eine Strafe Gottes denken müssen, so ist es doch dieser Gott, der solche Pandemien in seiner Schöpfung möglich macht“, sagte er. Denn das Virus gehöre zu der von Gott geschaffenen Schöpfung, ebenso würden die Mutationen des Virus dazugehören.

„So weit denken wir Erwachsenen oft nicht. Ein Kind kann das sehr wohl verstehen“, sagte Propst Werlen und erzählte: „Ein Fünfjähriger hat vor kurzem im Gespräch mit seinem Vater gesagt: ‚Papa, Gott ist stärker als das Corona, oder? Ja. Ganz schön blöd, dass er das nicht wegmacht.‘“
Propst Werlen stellte im Anschluss die Frage, ob wir nicht viel mehr vor Gott klagen und lernen sollten, den Frust und das Unverständnis deutlich loszulassen.

Darf man das denn?

Darf man klagen, ja sogar anklagend vor Gott treten? „Selbstverständlich darf man das“, sagte P. Martin Werlen. So heiße es auch im Buch Joel: „Kehrt um zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, Weinen und Klagen.“ Mit Klagen sollen wir zu Gott umkehren. Und dann gehe es in der Lesung weiter: „Zwischen Vorhalle und Altar sollen die Priester klagen. Die Diener des Herrn sollen sprechen: ‚Hab Mitleid Herr mit Deinem Volk‘“, zitiert P. Werlen. „Zu Gott sage ich immer wieder: Herrgott noch mal. Muss das sein? Was soll das?“, sagte Werlen in seiner Fastenpredigt und klopfte ebenso auf das Rednerpult.

Gott selbst lehre uns ein solches Beten in seinem Wort in der Heiligen Schrift. „Denken wir z.B. an das Psalmwort, wo einer, der am Verzweifeln ist, zu Gott sagt: ‚Wach auf! Warum schläfst Du? Erwache!‘ Oder denken wir an Hiob, der in seinem Leben, in seinem Elend klagt, Gott anklagt. Denken wir an die Propheten, denken wir an die Klagelieder. Das Ringen mit Gott gehört zu einem lebendigen Glauben und Gott lässt sich bewegen“, so P. Werlen.

Klagen muss gelernt sein.

Im Anschluss kam er nochmals auf das Buch Joel zurück. Denn da heiße es am Schluss auch: „Da erwachte im Herrn die Leidenschaft für sein Land und er hatte Erbarmen mit seinem Volk.“ „Merkt Ihr, wie wichtig es ist, dass wir das Klagen vor Gott wieder lernen? So richtig klagen?, fragte Werlen. Er habe auch verschiedene Gebetsbücher durchgeblättert. „Da gibt es Abschnitte mit Dankgebeten, mit Lobgebeten und mit Bittgebeten. Aber auffälligerweise fehlen die Klagegebete“, informierte er.

Er habe in seiner Recherche nur zwei Klagegebete gefunden. Diese seien interessanterweise nicht von großen Theologen, sondern vielmehr jungen Menschen zu verdanken, wie der 13-Jährigen Lara Walterskötter, die schreibt: „Gott, wo kann ich dich eigentlich finden? Kannst du mir nicht mal antworten, wenn ich dir eine Frage stelle? Oder muss ich einfach nach dir suchen? Aber wo dann? Bist du eigentlich ein Mann oder eine Frau, und wie alt bist du? Ich werde auf deine Antwort warten“ (Gotteslob Nr. 15/4). „Das ist Gebet. Ringen mit Gott. Diese Jugendliche ist ehrlich“, sagte Martin Werlen. „Sie betet nicht einfach, damit es wieder getan ist. Sie bringt ihre Fragen und ihre Unzufriedenheiten mit Gott vor ihm selbst zur Sprache. Das ist Klage.“

Das zweite von Werlen recherchierte Klagegebet kommt von Rudi Weiss, der als Vater und als Religionspädagoge mit jungen Menschen zu tun hat. Sein Klagegebet passe auch gut zur heutigen Situation: „Herr, alles zerbricht. Meine Pläne, meine Hoffnung, meine Wünsche, nichts ist mehr, wie es vor Tagen war. Nichts läuft mehr, wie es noch gestern lief. Wenn du der Weg bist, zeige dich. Wenn du die Wahrheit bist, versteck dich nicht. Wenn du das Leben bist, lauf mir nicht davon“ (Gotteslob Nr. 17/1). Auch hier komme das ganze Elend vor Gott zur Sprache und doch sei es ein Gebet der Hoffnung - nur wer klagt, hofft.

„Lernen wir wieder vor Gott zu klagen. Wir haben allen Grund dazu“, rief Propst Martin Werlen abschließend auf. „Geben wir unserem Gebet, unserer Not, unseren Gefühlen von Ärger und Erschöpfung von Angst und Trauer eine Sprache und machen wir es Gott nicht zu einfach.“ «

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Martin Werlen

P. Martin Werlen sprach in seiner Fastenpredigt darüber, dass nur der, der klage, auch wirklich hoffen könne. (Foto: KKV / Lorenzi)

(aus dem Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 9 vom 4. März 2021)