Diskriminierende Äußerungen machen oft sprachlos. Stefan Arlanch bietet einen Workshop an, wie jede/r sinnvoll auf Stammtischparolen reagieren kann. Im KirchenBlatt-Interview erläutert er seine wertvollen Tipps. Der bewusste Umgang mit eigenen Wut- und Hassgefühlen ist dabei von besonderer Bedeutung.
Wolfgang Ölz
Was sind Stammtischparolen genau?
Stefan Arlanch: Die Stammtischparole steht für diskriminierende und abwertende, aber auch pauschalierende und extrem verkürzende Aussagen. Der Begriff an sich ist allerdings nicht unproblematisch, weil er selbst eine Unterstellung in sich trägt. Es wird bei weitem nicht an allen Stammtischen diskriminierend gesprochen. Darüber hinaus haben sich die Stammtische durch die sozialen Medien verlagert und eine ganz neue Dynamik entwickelt.
Wann sollte man eingreifen, was kann man tun?
Arlanch: Wenn Hass verbreitet wird und grundlegende Standards der Würde und Rechte von Menschen verletzt werden, ist es wichtig, nicht tatenlos zu bleiben. Still zu bleiben wird als Zustimmung empfunden. Was man tun kann: respektvoll bleiben, Fragen stellen, etwa nach konkreten Details oder persönlichen Erfahrungen. Sehr oft reagieren wir schnell und intuitiv auf eine Aussage, einen Begriff, ohne genau verstanden zu haben, was das Gegenüber eigentlich ausdrücken wollte. Außerdem kann man positive Perspektiven einbringen und nach Schnittmengen suchen. Und als kleinsten Schritt: Widerspruch ausdrücken und Diskriminierung benennen.
Wichtig scheint mir auch: auf sich und die eigenen Möglichkeiten achten, sich weder selbst überfordern und unter Druck setzen noch sich zu unterfordern, indem man sich einem Gespräch vollkommen entzieht und gar nicht reagiert. Da ist Balance wichtig.
Wie wichtig ist beim Umgang mit Stammtischparolen der kritische Umgang mit den eigenen Gefühlen und Vorurteilen?
Arlanch: Gefühle beim Umgang mit Stammtischparolen meint ja zweierlei: Uns selbst als Empfänger, aber auch als Produzenten von Stammtischparolen. In beiden Fällen wirkt sich aus, wie wir selbst mit eigener Wut, Frustration, erlebter Ungerechtigkeit umgehen. Wo sind wir selbst anfällig für Vorurteile und diskriminierende Rede, die ja subjektiv entlastend wirken?
Ein selbstkritischer Umgang steht für mich als Ausdruck eines starken Willens zur Erkenntnis und eines Bewusstseins dafür, dass wir uns irren können, auch wenn wir sehr davon überzeugt sind, recht zu haben.
Wenn wir genauer hinschauen, auch und gerade vor die eigene Türe, werden wir geduldiger und verständnisvoller. In kritischen Situationen gewinnen wir überdies Zeit und Abstand und handeln weniger impulsgesteuert.
Was unterscheidet gelebte Nächstenliebe von den Haltungen und Strategien, die Sie in Ihrem Workshop erarbeiten?
Arlanch: Prinzipiell sehe ich da keinen wesentlichen Unterschied. In der vom Christentum geforderten Selbstliebe wird ja auch Wert auf die eigenen Gefühle gelegt, und Zivilcourage ist eine zentrale Haltung der Nächstenliebe.
Wie verlagern sich beleidigende Aussagen ins Internet?
Arlanch: Das Internet hat den Vor- aber auch Nachteil, dass man mit jedem Thema, jeder Position - und sei sie noch so absurd - schnell viele Gleichgesinnte findet. Der Algorithmus der sozialen Medien spielt uns wieder genau diese Inhalte zu, Stichwort: Echokammer. Dadurch, dass es in Bezug auf Schreiben und Lesen ein Auseinanderfallen von Zeit und Ort gibt und die sozialen Regeln des direkten Kontaktes außer Kraft gesetzt sind, fallen wichtige Hürden weg, die uns Zügel anlegen.
Im Netz gilt die Gleichung: Größtmögliche Aufregung = maximale Aufmerksamkeit. Mit dem Wettrennen um Aufmerksamkeit beschleunigt sich die Spirale von Provokation und Empörung und vergiftet so das politische Klima.
Was halten Sie von #ichbinhier - einer digitalen Initiative in Deutschland, bei der 45.000 Menschen bei Online-Diskussionen versuchen, entgleisende Situationen mit sachlichen Kommentaren zu retten?
Arlanch: Ich halte das für eine sehr wichtige Initiative und bin seit kurzem selbst dabei aktiv. Ich bin schon gespannt, wie sich diese vorbildliche Initiative in Zukunft weiterentwickeln wird.
Wieso habe ich nichts gesagt?
Im Engagementwerkstatt-Workshop „Vielfalt leben: Wieso habe ich nichts gesagt?“ der Volkshochschule Götzis erklärt Stefan Arlanch Handlungsstrategien gegen Stammtischparolen. Mit Beispielen aus der Praxis werden die Botschaften der Stammtischparolen entschlüsselt und Kommunikationsstrategien für eine Reaktionsweise gemeinsam erarbeitet. Referent Mag. Stefan Arlanch (geb. 1968) ist u.a. tätig in der Abteilung für Gesundheit und Sozialplanung der Stadt Dornbirn.
Info, Anmeldung und Zugangsdaten:
Volkshochschule Götzis, T 05523 55150 0
E info@vhs-goetzis.at
www.vhs-goetzis.at
Fr 29. Jänner 13 bis 16.30 Uhr, online.
(aus dem Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 3 vom 21. Jänner 2021)