Gerhard Weinberger war in den einschneidenden Jahren des Arabischen Frühlings von 2012 bis 2017 österreichischer Botschafter in Tunis. Im Rahmen eines Vortrages des Katholischen Bildungswerks Altach stellte Weinberger im Pfarrzentrum Altach vergangenen Sonntag sein Buch „Mit dem Koran ist kein Staat zu machen“ vor und diskutierte im vollbesetzten Saal die Problematik von Islamismus und Fundamentalismus.

Wolfgang Ölz

Die Jugend Tunesiens wähle den Weg in den Terrorismus, flüchte nach Europa oder werde mitunter auch in den Selbstmord getrieben, so skizzierte der Bildungswerkleiter von Altach, Rainer Heinzle, die denkbar schlechte Stimmung des jungen Tunesiens in seinen Begrüßungsworten. Der vortragende Botschafter i.R., Gerhard Weinberger, stellte sich als Kärntner in Wien vor, für den Vorarlberg weit entfernt sei. Allerdings ermöglichte Weinberger mit seiner Frau die Produktion des Dokumentarfilms „Die Schwalben der Liebe (2017)“ des belgisch-marokkanischen Regisseurs Jawad Rhalib über die Kinder marokkanischer Soldaten in Vorarlberg.

Gemäßigte Islamisten.

Gerhard Weinberger begann seinen historischen Rückblick mit dem Sturz des Langzeitpräsidenten Ben Ali 2011. Im selben Jahr fanden im Oktober die ersten demokratischen Wahlen statt und die gemäßigt islamistische, nicht fundamentalistische, wie Weinberger differenziert, Ennahda Partei erreichte die absolute Mehrheit und stellte in Folge mit zwei Kleinparteien die Regierung.
Gerhard Weinberger selbst kam im August 2012 mit einer  positiven Sicht auf Land und Leute nach Tunesien. Bereits 14 Tage nach seiner Ankunft geschah ein erster fundamentalistischer Paukenschlag: Nach dem Freitagsgebet zogen aufgehetzte Muslime zur amerikanischen Botschaft und ein Blutbad konnte gerade noch verhindert werden.

Keine Scharia.

Mörderische Gewalttaten überziehen das Land, die im Juli 2013 am Mord an Oppositionsführer Mohammed Brahmi gipfeln. Nachdem eine Million Menschen auf die Straße gehen, um gegen die Gewalt zu demonstrieren, gerät die Ennahda Partei in die Defensive, die Regierung tritt zurück und in Folge wird im Rahmen eines „Nationalen Dialogs“ ein für die arabische Welt fortschrittlicher Verfassungstext erarbeitet. Zwar wird als Religion des Staates der Islam proklamiert, gleichzeitig aber die Verwaltung als zivil deklariert - kein Wort von Scharia. Im März 2015 folgte eine weitere Gewaltwelle als Al Kaida und der sogenannte Islamische Staat (IS) die Küstenstädte mit Massenterror überschwemmen. Es ist abzuwarten wie die Neuwahlen Ende 2019 in diesem instabilen Klima ausgehen werden.

Reform unterstützen.

Die Riesenkrise der Islamisierung hat in Tunesien nicht stattgefunden. Gerhard Weinberger sieht in der Frage, wie die muslimischen Staaten mit Modernität umgehen, eine Schicksalsentscheidung. In der anschließenden kontroversiellen Diskussion betont Weinberger, dass es darum gehe, die reformorientierten Kräfte im Islam zu unterstützen. «

(aus dem KirchenBlatt Nr. 9 vom 28. Februar 2019)