Kolumne: Welt der Religionen

Ursula Rappvon Ursula Rapp
Leiterin des Instituts für Religionspädagogische Bildung
der KPH „Edith Stein“ sowie Beauftragte der Katholischen Kirche Vorarlberg
für den Interreligiösen Dialog -

Als religiöse Menschen feiern wir mindestens zweierlei Jahreswechsel. Den von Silvester auf Neujahr, den die ganze Welt feiert, und den des Kirchenjahres, das mit dem 1. Advent beginnt. Einen eigenen, religiösen Jahreswechsel und damit einen religiösen Kalender kennt fast jede Religion.

Während im Christentum der Kirchenjahreswechsel im Schatten des Advent steht, haben unsere beiden monotheistischen Schwesterreligionen gerade eigene Neujahresfeiern hinter sich. Beide Religionen zählen nach dem Mondkalender, weshalb das Datum selbst jedes Jahr ein anderes ist. Im Judentum heißt der Jahresbeginn und damit das Fest „Rosch Haschana“ („Jahresbeginn“). Es ist wie ein Geburtstagfest der Schöpfung, weil man dabei den ersten Tag der Weltschöpfung feiert. Man besinnt sich auf Gott als Schöpfer, auf die eigene Geschöpflichkeit und darauf, dass Gott, und eben nicht wir, den Lauf unseres Lebens und der Welt in Händen hält. Der Hauptinhalt des Festes ist Beten. Entsprechend folgen auf das Neujahrsfest zehn Tage der Besinnung und der Reue, die mit ihrem Höhepunkt, dem Jom Kippur, dem Versöhnungstag, enden. Das Neujahrsfest wurde heuer am 3./4. Oktober begangen, Versöhnungstag ist der 12. Oktober.

Parallel dazu feierten muslimische Glaubende das Neujahrsfest am 2./3. Oktober, ebenso folgen darauf 9 Tage des Fastens und Betens, die im Aschurafest (12. Oktober) enden. Neujahr ist eigentlich kein Feier-, sondern ein Gedenktag, an dem an den Auszug Mohammads von Mekka nach Medina erinnert wird.

Neujahr ist immer Neubeginn: Weltschöpfung, Mohammads Neubeginn in Medina, das Warten auf Jesu Geburt. Alle drei Religionen verbinden dies mit einer inneren Wieder-Hinorientierung auf Gott durch Fasten und Besinnung.

Warum gibt es aber überhaupt eine religiöse Zeitrechnung? Weil sie gegen die monotone Zählung des Alltags erinnert, dass wir verwiesen sind auf eine größere Wirklichkeit, über die wir nicht verfügen und dass es deshalb Gründe gibt zu Fasten, innezuhalten, zu bereuen und neu anzufangen, zu feiern, danken und zu jubeln.