Wir nehmen sie wahr als Armutsmigrant/innen in den Innenstädten, in Bahnhöfen und vor Supermärkten, die um eine finanzielle Unterstützung bitten. Dahinter stehen jedoch Menschen - Frauen und Männer mit ihren individuellen Lebensgeschichten und Nöten. Diesen Menschen ein Gesicht zu geben, war Ziel eines Gesprächsabends im Caritas-Café.

Bild: Peter Wieser (Caritas), Michael Hämmerle (Kaplan Bonetti), Mariana Danila, Constanta Stefan sowie Dolmetscherin Livia Jochum-Vieru.

Elke Kager / Red.

Mariana Danila ist ein wenig nervös, als sie ihre Geschichte erzählt. Aber auch stolz, dass sie sich trotz schwieriger Lebensumstände nicht unterkriegen ließ: Geboren irgendwo in einem kleinen „Nest“ im Süden Rumäniens, aufgewachsen mit elf weiteren Geschwistern. „14 Personen in einer kleinen Wohnung mit nur zwei Zimmern.“ Zur Schule ging Mariana nie: „In Zeiten des Kommunismus hatten wir nichts, wirklich nichts. Wir hätten uns Schuhe, Kleidung und Schulhefte nicht leisten können, wir hatten oft Hunger“, erzählt die heute 45-jährige den sichtlich betroffenen ZuhörerInnen im bis auf den letzten Platz gefüllten Caritas Café. Im Alter von zwölf Jahren wurde sie verheiratet, mit 14 bekam sie ihr erstes Kind. „Ich schäme mich fast, wenn ich das erzähle, obwohl ich ja nichts dafür konnte. Meinen Mann haben die Eltern für mich ausgesucht, ich habe ihn bei der Hochzeit zum ersten Mal gesehen. Als Kind konnte ich gar nicht begreifen, was da vor sich geht.“ Zwischenzeitlich hat Mariana vier Kinder, in Rumänien hatten sie und ihr Mann Arbeit als Straßenkehrer. Nachdem sie krank wurde und ihr Mann die Arbeit verlor, blieb ihnen nur der Weg in den Westen und die Hoffnung, hier ein Auskommen zu finden. „Und warum ging die Reise nach Vorarlberg?“, fragte Moderator Michael Hämmerle. „Weil das Geld für das Zugticket bis hierher reichte“, so die einfache und doch so pragmatische Antwort. Worauf sie stolz ist: „Alle meine Kinder sind zur Schule gegangen.“

Keine Perspektiven
Die Problematik in Rumänien machte auch Constanta Stefan, die zweite Erzählende an diesem Abend, klar: „Es gibt in Rumänien zwischenzeitlich zwar alles zu kaufen, nur, dass man es sich nicht leisten kann.“ Auch sie erzählt von ihrer Kindheit in Bukarest – den Eltern, die als Tagelöhner versuchten, Geld für das Notwendigste zu verdienen, den Kindern, die Holz sammelten, um die Wohnung heizen und kochen zu können, den Lebensmittelkarten, deren wöchentliche Rationen nie und nimmer ausreichend waren. Bitter ihre Erkenntnis auf die Frage von Michael Hämmerle, ob sie sich auch an schöne Erlebnisse erinnere. „Wenn ich an meine Kindheit denke, könnte ich einfach nur weinen.“ Auch sie nennt als wichtigsten Wunsch, dass es zumindest ihre Enkelkinder besser haben: „Alle drei Enkelkinder gehen zur Schule, das freut mich.“ Durch ihre Arbeit in Österreich möchte sie die Familie in der Heimat unterstützen. „Es ist aber auch hier schwer, Geld zu verdienen. Ich würde putzen und viele andere Arbeiten übernehmen. Die Sprache ist aber ein großes Problem“, lässt sie von Dolmetscherin Livia Jochum-Vieru übersetzen. Sie verdeutlicht auch die Armut in ihrer Heimat: „Wenn wir Wohnungen, Bildungsmöglichkeiten und Jobs hätten, würden wir natürlich in Rumänien bleiben.“

Zugang zum Arbeitsmarkt
Der Abend bot auch die Gelegenheit, Fragen zu stellen: „Warum tragen die Frauen ausschließlich lange Röcke?“ Das habe mit der Tradition zu tun, erklärt Mariana. Erwachsene Frauen tragen Röcke, verheiratete zusätzlich auch Kopftücher. Sie erklärt aber gleichzeitig auch, dass sie kein Problem hätte, wenn ihre Töchter diese Tradition ablegen würden. „Reicht Ihnen ihr Einkommen hier zum Überleben?“ Constanta antwortet: „Viele unserer Männer sind über Leasing-Firmen beschäftigt, viele Frauen verdienen etwa durch den Verkauf der Straßenzeitung `Marie´ dazu. Dadurch kann man täglich 10 bis 15 Euro verdienen.“
Auch die Meldung einer Besucherin gibt zu denken – die Unternehmerin verdeutlicht, wie schwierig es ist, einen Armutsmigranten zu beschäftigen. „Ohne Job keine Chance auf Wohnung, ohne festen Wohnsitz kein Bankkonto und ohne Bankkonto kein Job.“ Das fördert wiederum die Schwarzarbeit und unfaire Arbeitsbedingungen für ArmutsmigrantInnen.

(aus dem KirchenBlatt Nr. 38 vom 21. September 2017)