Über Oikocredit erhalten Menschen im globalen Süden Kredite, mit denen sie ihr eigenes kleines Geschäft eröffnen und in Folge davon leben können. Finanziert werden die Kredite über soziales Investment. Den Oikocredit-Förderverein in Österreich gibt es seit 30 Jahren.

Die Fragen stellten Patricia Begle und Elisabeth Willi

Was ist Oikocredit? Eine Bank?
Bernhard Wasle: Oikocredit ist keine Bank, sondern eine internationale Genossenschaft mit sozialer Zwecksetzung. Wir sind ein sozialer Investor und damit stehen bei uns und den Investor/innen nicht die finanzielle Rendite oder gar die Profitmaximierung im Vordergrund, sondern die soziale Wirksamkeit. Diese wird regelmäßig gemessen und überprüft. Selbstverständlich aber muss auch Social Business Gewinn machen, sonst gäbe es Oikocredit nicht schon seit 45 Jahren - die Gewinne werden jedoch reinvestiert, und die Ausschüttungen an die Anlegerinnen und Anleger sind mit max. 2 Prozent gedeckelt.

Welche Menschen bekommen einen Kredit von Oikokredit? Für welche Projekte?
Wasle: Oikocredit erreicht weltweit Millionen von Menschen, die als „nicht bankfähig“ gelten. Das heißt: Keine Geschäftsbank gewährt ihnen Kredit oder auch nur ein Sparkonto, weil diese Menschen sehr arm sind, oft auch nicht lesen und schreiben können oder kein geregeltes Einkommen haben. Wir kommen aber nicht selbst in Kontakt mit den Menschen sondern über Mikrofinanzinstitute.

Welche Projekte werden unterstützt?
Wasle: Cirka 86 Prozent der Kreditnehmen- den sind Frauen. Typische Beispiele: die Frau, die einen Kleinstkredit für 150 Dollar beantragt, um eine Nähmaschine zu kaufen. Mit dieser kann sie Reparaturen oder andere Nähaufträge in ihrem Dorf durchführen. Früher war sie vielleicht Taglöhnerin am Feld und hat 1,5 Dollar pro Tag verdient. Jetzt verdient sie 5 Dollar. Oder die Frau, die Saatgut für ihr kleines Stück Land benötigt. Vielleicht 200 Dollar, aus denen sie in sechs Monaten 500 Dollar machen kann. Oder der junge Mann, der sich mit einer Fahrradwerk- statt selbständig machen will und einen Kredit für ein Werkzeugset benötigt. Oder die Frau, die mit 50 Dollar für ein trächtiges Schwein begonnen hat und heute mehrere Schweine, zwei Rinder und einen kleinen Traktor besitzt, den sie vermietet. Es sind Geschichten wie diese, die die Mikrofinanz erfolgreich machten, so sie sozial geführt und begleitet wird.

Wer sucht die Menschen, die einen Kredit bekommen sollen, aus?
Wasle: Sogenannte Loan Officer. Das sind speziell ausgebildete Männer und Frauen, eine Mischung aus Bankangestellten und Sozialarbeitern. Sie sind Angestellte der örtlichen Mikrofinanzinstitute, die regelmäßig in die Dörfer fahren, um sich die Wünsche der Menschen anzuhören, mit ihnen gemeinsam kleine Businesspläne zu erstellen und zu überprüfen, ob die Geschäftsideen ökonomisch tragfähig sind, ob also die Frau oder der Mann von diesem Geschäft wird leben können. Denn darum geht es bei der Mikrofinanz, dass ein Arbeitsplatz entsteht, von dem ein Mensch oder vielleicht sogar eine Familie leben kann.

Wie viel Prozent müssen die Menschen zurückzahlen? In welcher Zeit?
Wasle: Die Laufzeiten der Kleinstkredite von 50 bis 500 Dollar bewegen sich zwischen 6 und 12 Monaten. Die Loan Officer sammeln die Kreditraten regelmäßig ein und beraten auch, sollte es mit der Geschäftsidee Probleme geben. Die Kreditzinsen sind von Land zu Land sehr unterschiedlich, da die Kredite in Landeswährungen vergeben werden, die nicht selten hohen Inflationsraten unterliegen. Im Allgemeinen lehnt sich die Mikrofinanz an folgende Frage an: Welchen Zinssatz würde diese Frau oder dieser Mann in diesem Land bei einer Geschäftsbank zahlen, hätten sie gute Bonität (die sie ja nicht haben). Hinzu kommen allfällige Gebühren für die intensive Betreuung. Wichtig ist: Die Kreditzinsen der kontrollierten Mikrofinanz liegen weit unter jenem Angebot des sogenannten informellen Sektors (private Kreditverleiher, wie es sie in jedem Dorf gibt), auf das nicht bankfähige Menschen notgedrungen zurückgreifen müssen, wenn sie Liquidität benötigen. Es geht also um faire Kreditvergabe mit der Chance, dass die Kreditnehmenden ein prosperierendes Geschäft aufbauen können.

Wie ist Oikocredit organisiert? Wer steht dahinter?
Wasle: Seit der Gründung im Jahr 1975 ist Oikocredit eine Genossenschaft mit rund 600 Genossenschaftern weltweit, sehr viele davon aus dem kirchlichen Bereich. Die Gründungsidee ging 1968 übrigens vom Weltkirchenrat aus. Sehr viele Kirchen in den Ländern des Globalen Südens sind Genossenschafter. In Österreich sind u. a. die Bischofskonferenz, die Katholische Sozialakademie, die Evangelische Kirche und der Förderkreis  Oikocredit  Austria Gesellschafter von Oikocredit. Außerdem gibt es bereits über 6.600 österreichische Investor/innen, Menschen also, die Oikocredit für ihre ethisch nachhaltige Geldanlage nutzen, weil sie gerne wissen wollen, was ihr Geld tut, wenn es „arbeitet“.

Wie viele Menschen in Vorarlberg investieren in Oikocredit?
Wasle: In Vorarlberg gibt es derzeit 230 Anleger/innen, die rund 5 Millionen Euro investiert haben. 

Welche Sicherheiten gibt es? Kann die Oikocredit Verluste der Kreditnehmer/innen auffangen?
Wasle: Wie bei jedem Investment gilt auch für soziale Investments, dass es keine Sicherheiten oder Garantien gibt. Jedoch sprechen 45 Jahre Erfahrung von Oikocredit als Pionierin auf dem Gebiet der sozialen Geldanlage, sowie die Tatsache, dass seit Bestehen von Oikocredit noch niemand der weltweit ca. 59.000 Investor/innen auch nur ei- nen Cent verloren hat, sehr deutlich für eine tragfähige Organisation, die aufgrund einer enorm starken Risikostreuung (33 Fokus- Länder, ca. 700 Partnerorganisationen, Millionen Kreditnehmende) sehr breit und mit großem Bedacht auf die Sicherheit des Anlegerkapitals aufgestellt ist.

Mit wie viel Gewinn können die Anleger/innen rechnen?
Wasle: Die jährliche Dividende wird jeweils im Juni auf Grundlage des vorjährigen Geschäftsberichts von den Genossenschaftern bei der internationalen Generalversammlung beschlossen und ist mit maximal 2 Prozent per annum gedeckelt. Aktuell sprach sich die Mehrheit der Genossenschafter aufgrund der Covid-Pandemie, zur Sicherung der Einlagen und in Solidarität mit den Menschen des Globalen Südens für eine Null-Dividende aus. Die Jahre zuvor wurden jeweils ein bis zwei Prozent Dividende ausgeschüttet.

Oikocredit

Oikocredit hat ihren Hauptsitz in Amersfoort (Niederlande). Ihr Ziel ist die Ent- wicklungsförderung durch Kreditvergabe an Mikrofinanzinstitutionen, Kooperativen sowie kleine und mittlere Unternehmen in Ländern des globalen Südens. Das erforderliche Kapital wird von Privatpersonen und Organisationen zur Verfügung gestellt, indem sie eine Geldanlage von mindestens 200 Euro tätigen. Oikocredit begeht in Österreich heuer ein Doppeljubiläum: 45 Jahre Oikocredit International und 30 Jahre als Förderverein in Österreich.
www.oikocredit.at