Pfarrer Erich Baldauf ist Bibelreferent der Diözese Feldkirch. Im KirchenBlatt-Interview erzählt er von seinem persönlichen Zugang zur Bibel. Auch dieses Jahr wird er im Advent eine Serie zur Bibel im KirchenBlatt veröffentlichen, die sich dem Eintreten Gottes in das Leben, vor allem der kleinen Leute, widmet.

Interview: Wolfgang Ölz

Was bedeutet die Bibel für Sie persönlich?
Pfr. Erich Baldauf: Die Bibel ist für mich eine besondere Orientierungs- und Kraftquelle. Sie verfügt über einen immensen Erfahrungsschatz, der über die Jahrhunderte gewachsen ist. Sie gibt einen Einblick in die Seelenlandschaft. Sie ist dabei nicht besserwisserisch, sondern zeigt verschiedene Möglichkeiten auf, aus denen man wählen kann.

Kann man die Bibel als mystische Schrift verstehen?
Baldauf: Gottes- oder Glaubenserfahrungen kann man nicht machen. Sie sind ein Geschenk. Die Bibel beschreibt solche Glaubenserfahrungen, beziehungsweise sie hat Anleitungen oder auch Anregungen, die zu solchen Erfahrungen hinführen können. In meinen Augen dürfen wir z.B. die Bergpredigt bei Matthäus oder das Johannesevangelium als mystische Texte verstehen. Univ. Prof. Roman Siebenrock hat in einem Gespräch gemeint: Vielleicht dürfen (müssen) wir die Bibel insgesamt als mystische Schrift verstehen? Es würde bedeuten, dass wir z.B. die vorkommenden Bilder oder Geschichten noch stärker im Hinblick auf Glaubenserfahrungen lesen und nicht so sehr als historische oder naturwissenschaftliche Wahrheiten. Es würde auch völlig einem moralischen Verständnis der Schrift entgegenstehen.

Wie ist die Bibel eine Heilige Schrift?
Baldauf: Mit heilig verbinde ich den Gedanken, dass sie eine zutiefst heilsame Schrift ist. Heilsam für den Einzelnen, für Gemeinschaft, für Völker und die Welt. Es steckt im Wort „Heilige Schrift“ auch eine Gefahr, nämlich wenn man sie für eigene Zwecke und Absichten zur Machtausübung missbraucht. Als Heilige Schrift hat sie für alle Menschen ihre einmalige Bedeutung. Sie ist nicht unser Eigentum, auch nicht in der Deutungshoheit. Wir verdanken es z.B. Mahatma Gandhi, der als Hindu die Gewaltlosigkeit der Bergpredigt als politische Option im Unabhängigkeitskampf Indiens von England einsetzte. Er hat „christlichen Politikern“ ein Beispiel gegeben.

Wie kann neu für die Bibel begeistert werden?
Baldauf: Es ist wichtig, dass die Menschen entdecken, diese biblischen Texte haben mit mir und meinem Leben zu tun. Sie helfen mir das Leben zu verstehen. Sie weiten mein Leben, meinen Horizont. Sie vermögen, dass ich in manchen Dingen gelassener bin und in anderen Dingen dagegen entschiedener. Sie lässt mich hinter das Vordergründige blicken. Wichtig beim Lesen ist das Entdecken der Zusagen oder Verheißungen. Sie machen Menschen groß und kraftvoll, vor allem widerständig gegen Unmenschlichkeit.  Mein Anliegen ist es, diese Zugänge zu erschließen.

Welche Grundanliegen thematisiert die Bibel für Sie?
Baldauf: Ich möchte es mit verschiedenen Bildern beschreiben, die die Bibel selbst enthält. Gott ist mit den Menschen auf dem Weg ins „gelobte Land“, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen, in dem Recht und Gerechtigkeit aufgerichtet sind, verbunden mit dem Freiwerden von jeglicher Knechtschaft. Oder die Bilder des Neuen Testamentes: Das Reich Gottes oder Leben in Fülle haben (Joh 10,10). Die Bibel vermag Menschen zu einem erfüllten, vollen Leben zu führen.

Wort zum Sonntag April 2016

 

 

 


Pfr. Erich Baldauf. (Foto: KKV)

 

(aus dem Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 46 vom 18. Oktober 2021)