Teil 2 von 7 der Fastenzeit-Serie "mehr oder weniger" mit Ordensleuten - diesmal mit Schwester MMag. Silke Mallmann.

Fasten-Logo Mehr oder weniger  Fastenserie 2014

Sr. Silke Mallmann ist viel unterwegs – und kehrt immer wieder zurück in die feste Struktur ihres Klosters in Wernberg. Es ist wichtig, seine Zeit mit guten Dingen zu füllen, sagt sie im Gespräch – und dass auch Wartezeiten wichtig sind, in denen man Dinge geschehen lässt.

Interview: Gerald Heschl 

Was bedeutet für Sie Zeit?
Sr. Silke Mallmann: Zunächst einmal Strukturierung. Die Zeit gibt vor, wie ein Tag, eine Woche, ein Jahr strukturiert werden kann. Auf der anderen Seite ist für mich Zeit immer auch ein Geschenk. In dem Sinn, dass ich eine gewisse Zeit – mein Leben – geschenkt bekomme. Ich kann es füllen und gestalten. Von daher sehe ich Zeit als ein Geschenk und einen Gestaltungsraum.

Sr.  Silke Mallmann

Sr. MMag. Silke Mallmann
wurde 1968 in Vicht/Deutschland geboren. Sie studierte Pädagogik und Psychologie und gehört dem Orden der Missionsschwestern vom Kostbaren Blut in Wernberg, Kärnten, an. Zwischen 2000 und 2008 war sie in Südafrika unter anderem für die britische Organisation „Hope and Homes for Children“ tätig. Seit 2009 leitet sie das „Projekt Thalitha – Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen und Opfer von Menschenhandel des Caritasverbandes Kärnten“.

Man sagt: Die Zeit läuft einem immer davon. Gibt es in Ihrem Leben Stress?
Sr. Silke: Ja sicher! Aber Stress an sich ist nicht immer ungut. Für mich hat Stress weniger mit Zeit zu tun, als mit Inhalten. Es hängt davon ab, wie ich die Zeit fülle. Wenn das Dinge sind, denen ich wenig Sinn abgewinnen kann, macht das viel mehr Druck, als wenn es etwas Sinnvolles ist. Das kann dann auch viel Zeit in Anspruch nehmen und trotzdem habe ich weniger Stress.

Was sind diese sinnvollen Dinge? Wofür soll man sich Zeit nehmen?
Sr. Silke: Das ist natürlich ganz unterschiedlich. Wenn ich eine Aufgabe für sinnvoll erachte, dann verliere ich dabei ja das Gefühl für Zeit. Dasselbe geschieht bei Begegnungen mit Menschen. Es ist mir aber auch ganz wichtig, dass ich immer wieder Zeiträume für mich alleine schaffe. Im Sinne von Auszeiten – auch für Spiritualität und Gebet.

Kann man Feiertage und den Sonntag als solche „geschenkte Zeiten“ mitten im Arbeitsalltag sehen?
Sr. Silke: Heilige Zeiten und feste Zeiten sind wichtig. Wir merken ihre Bedeutung immer erst dann, wenn sie wegfallen. Wie wichtig der freie Sonntag ist, merkt man erst, wenn er weg ist. Deshalb ist es gut, feste Zeiten zu
haben, die auch Freiräume schaffen.

Wie wichtig ist es, die Zeit für sich zu strukturieren?
Sr. Silke: Es ist immer gut, sich einen Zeitrahmen zu machen. Das erlebe ich als erleichternd. Ich bin aber eine, die sich dann nicht sklavisch daran hält. Wenn ich merke, dass mir etwas sehr wertvoll ist, bleibe ich dran. Man darf sich von der Zeit nicht drangsalieren lassen. Ich habe in Afrika neun Jahre in einem Krankenhaus gearbeitet. Das prägt.

Inwiefern?
Sr. Silke: Wenn bei uns jemand ins Krankenhaus eingeliefert wird, hetzen gleich alle und machen alles, was gerade medizinisch notwendig ist. In Afrika sind die Krankenschwestern hingegangen und haben erst einmal mit dem Patienten geredet. Die ersten zwei Jahre bin ich daneben gestanden und habe ständig gedacht: „Jetzt macht doch endlich etwas!“ Bis ich draufgekommen bin: In den fünf Minuten stirbt er nicht, sondern wesentlich ist genau dieses Gespräch.

Hat das Ihren Alltag, Ihr Verhältnis zur Zeit geprägt?
Sr. Silke: Ja, ganz sicher. Da kann man sich viel abschauen. Bei einer Sitzung mit afrikanischen Mitschwestern steht der Mensch im Mittelpunkt, die Begrüßung und das Erforschen, wie es einem geht. Ich denke, das ist wichtig zu lernen, weil das Ergebnis am Ende besser ist. Während bei uns die Arbeit im Mittelpunkt steht und wir sofort anfangen, ohne auf die Menschen einzugehen. In Afrika habe ich erlebt, dass die Zeit Freiräume schafft. Also genau umgekehrt, wie bei uns. Die Zeit soll eben nicht zum Druckmittel werden.

Sie leben in einem Kloster, arbeiten aber zumeist außerhalb. Gibt es für Sie strukturierte Zeiträume für Gebet und Meditation?
Sr. Silke: Wir haben aufgrund unserer benediktinischen Tradition fixe Gebetszeiten. Sehr wohltuend ist festgelegt, dass sich jede Schwester mindestens eine halbe Stunde am Tag und einmal im Monat einen ganzen Tag frei nehmen soll für das zusätzliche Gebet. Einmal im Jahr kommen noch fünf bis acht Tage Exerzitien dazu.

Sie sind ständig unterwegs. Wie kommt man da von 100 auf Null – etwa bei den Exerzitien?
Sr. Silke: Mir geht es dabei ganz großartig! Es geht ja auch nicht von 100 auf Null. Man lebt darauf hin und bereitet sich vor. Es ist wichtig, sich auf diese andere Zeit einzustellen. Ein regelmäßiger Rhythmus, so wie er bei uns gelebt wird, ist sehr wohltuend. Ich arbeite ja außerhalb, kann aber zu Hause in diese Struktur zurückkehren.

Hilft diese Struktur auch in stressigen Zeiten?
Sr. Silke: Ja sicher. Ich zehre darüber hinaus auch davon, dass ich in eine weltweite Gemeinschaft eingebunden bin. Es gibt so etwas wie ein Netz des Gebetes um den Globus herum, wo immer irgendjemand das Stundengebet betet. Ich weiß, dass meine Mitschwestern in Korea schon vor sechs Stunden begonnen haben, am Nachmittag beten meine Schwestern in Kanada, und während ich bete, beten die in Südafrika auch.

Wie wichtig ist es, anderen Zeit zu schenken?
Sr. Silke: Davon lebt man ja. Ich lebe vom Schenken und Beschenkt-Werden. Die Zeit, die ich bekomme, kann ich mit anderen verbringen und weitergeben. Das sind erfüllte Zeiten. Es ist wichtig, dass man Zeit mit guten
Dingen füllt. Das kann der Einsatz für andere sein, das Gespräch mit anderen. Es kann aber auch einfach einmal das Nichtstun mit jemand anderem sein.

Vergeht die Zeit schnell?
Sr. Silke: Wenn sinnvolle Sachen gemacht werden, wenn man so ganz dabei ist, dann vergeht die Zeit ganz schnell. Wenn ich bei einer langweiligen Predigt oder in einem langweiligen Vortrag sitze, dann dauert jede Minute eine Ewigkeit.

Klingt ziemlich unfair von der Zeit ...
Sr. Silke: Nein, Zeit ist subjektiv.

Aber dass schöne Zeiten schnell vergehen und langweilige Dinge ewig dauern, ist doch unfair!
Sr. Silke: Es kommt immer darauf an, wie man die Zeit nutzt. Etwa beim Warten. Warten wird oft als öd erlebt. Die Frage ist, wie nutze ich meine Wartezeit? Hänge ich nur am Handy, stopfe ich alles Mögliche in mich hinein, oder erlaube ich mir auch, dass einmal nichts passiert? Wartezeiten sind ganz wichtige Zeiten, um empfindsam zu werden für das, was wirklich ist. An Bahnhöfen oder Flughäfen sitze ich sehr gerne und beobachte nur. Es ist wichtig, Zeiten zu haben, wo man wahrnimmt, was da ist. Eine Zeit, in der man Dinge geschehen, sich überraschen lassen kann.

Im Grunde steht dieser Gedanke auch hinter den christlichen Wartezeiten wie der Fastenzeit oder dem Advent ...
Sr. Silke: Genau so ist es. Ich warte auf etwas Größeres, das ich mir selbst nicht geben kann. Solche Wartezeiten haben eine ganz tiefe Bedeutung. In der Wartezeit wächst auch die Sehnsucht. Wenn ich verliebt bin und auf den Geliebten warte, wächst in der Wartezeit auch die Sehnsucht. So ist es mit der Fastenzeit oder dem Advent auch.

Übung

Sr. Silke Mallmann erzählt, wofür sie sich in der Fastenzeit Zeit nimmt – und wie Zeit zum Geschenk werden kann.

Ich nehme mir extra Zeit für Spiritualität, für Gebet, Meditation, für das Hinhören und Nachspüren. Wenn ich dies intensiv mache, dann entwickelt sich daraus ein Rhythmus für das ganze Jahr. Wer einmal damit angefangen hat, wird fast süchtig danach. 

Spüren Sie nach, wo Sie Leerzeiten haben! Die können noch so klein sein – etwa bei der Kaffeemaschine, bis der Kaffee fertig wird. Fragen Sie sich am Ende eines Tages, wie Sie diese Minuten verwenden. Sie werden merken: Das sind Freiräume, die Ihnen der Alltag schenkt. Versuchen Sie sich in dieser Zeit bewusst mit Gott zu verbinden. Das kann man einüben. Es geht dabei auch um einen achtsamen Umgang mit sich selbst. So erhält die Zeit einen richtigen Geschenk-Charakter.