Vielleicht lag alles nur am Wasser. Denn wie schwer hätte es die Liebe ganz ohne Meeresrauschen, Freibadplätschern oder Brunnenspiele. Und tatsächlich: Noch Jahre später sagte Rahel: „Der Platz am Wasser blieb unser Lieblingsort.“

Serie "Paare der Bibel" - bekannte Geschichten neu erzählt.
Teil 3: Jakob und Rahel

Georg Magirius

 

von Georg Magirius
Evangelischer Theologe und Autor

 

Rahel und Jakob waren Cousine und Cousin, also verwandt, doch sie waren sich noch nie begegnet. Ihre Familien nämlich wohnten mehrere Tagesreisen voneinander entfernt. Trotzdem hatten die beiden zumindest eines gemeinsam: Als Kind bestand jeder von ihnen viele Badewannenabenteuer. Mit Taucherbrille ließen sie sich ins Wasser sinken, sahen aus der Tiefe nach oben, wo kleine Schiffe
lautlos glitten und vom Wannenrand aus Gummischafe und Ziegen Wasser schlürften. Auch Späße mit Spritzpistole und Gartenschlauch hatten die beiden hinter sich.
Und im Sommer, keine Frage, hätten sie sich wochenlang in Freibädern herumgelümmelt, wären sie nicht längst in die Familienarbeit einbezogen worden, zumindest Rahel. Sie hütete die Schafe und Ziegen ihres Vaters Laban, die inzwischen längst nicht mehr aus Gummi und zum Spielen waren. Ihr Cousin dagegen, den sie noch nie gesehen hatte, war eher zart besaitet: Jakob war ein gesitteter Mann und blieb bei den Zelten. (Gen 25,27)

Auf der Flucht
Jakob war ein eleganter junger Mann. Doch einer, der gern in Zeltnähe bleibt, ist eben auch ein „Mamakind“. Zugleich konnte er in der eigenen Familie so kraftvoll intrigieren, dass ihm schließlich nur noch eines blieb: die Flucht vor seinem Bruder. Da rannte das erwachsen gewordene Mamakindchen Jakob um sein Leben. Tagelang war er unterwegs. Unterschlupf wollte er bei seinem Onkel Laban finden. Und endlich schien er ganz nah am Ziel zu sein. Jakob sah sich um, und siehe, da war ein Brunnen auf dem Felde; und drei Herden Schafe lagen
dabei, denn von dem Brunnen pflegten sie die Herden zu tränken. (Gen 29,2)

Woher die Kräfte?
Der Verfolgte, ausgepumpt nach den Tagen der Flucht, wagte an diesem Brunnen erstmals wieder aufzuatmen. Erinnerungen ans Wasser stiegen in ihm auf, er hörte es bereits plätschern. Da forderte er die Hirten auf, die mit ihren Herden vor dem Brunnen lagerten: „Tränkt doch die Schafe!“ Nur lag da ein großer Stein über dem Brunnenloch. Er war für die Hirten zu schwer, also mussten sie auf Hilfe warten: Wir können es nicht, bis alle Herden zusammengebracht sind und wir gemeinsam den Stein von des Brunnens Loch wälzen. (Genesis 29,8) Die Hilfe, die die Hirten nun aber erleben sollten, war anders als erwartet: Denn als Jakob noch mit ihnen redete, kam Rahel mit den Schafen ihres Vaters. Da trat Jakob hinzu und wälzte den Stein von dem Loch des Brunnens und tränkte die Schafe Labans. (Genesis 29,9.10)

Furioser Auftakt
Ganz allein rollte Jakob dieses Ungetüm an Stein beiseite! Nur woher hatte er plötzlich diese Kräfte? Weil er am Wasser war, das überraschend vieles möglich macht. Dazu ahnte er, dass seine Flucht nun zu Ende war. Der entscheidende Grund jedoch, wieso Jakob mit einem Mal alles vermochte: Rahel war schön von Gestalt und von Angesicht. (Genesis 29,17) Sie muss unvergleichlich schön gewesen sein. Denn an keiner Stelle sonst vergibt die Bibel das Kompliment der Schönheit für Gestalt und Angesicht in einem Satz. Die Cousine allerdings war irritiert. Es war aber auch zu geheimnisvoll: Ein ihr unbekannter, zart gebauter Mann stemmt rekordverdächtig Gewichte, nimmt ihr dann die Arbeit des Tränkens der Schafe und Ziegen ab und scheint den gleichen Drang zum Wasser zu haben wie sie selbst. Was für ein furioser Liebesauftakt!

Raffiniert
Doch das Rendezvous, das gar nicht verabredet war, hatte sein Ende noch nicht gefunden. Denn Jakob küsste Rahel und weinte laut. (Gen 29,11) Das war mehr als nur ein Verwandtschaftskuss. Jakob, raffiniert wie er war, küsste Rahel, ohne das Geheimnis um seine Person zu lüften. Bislang wusste sie nur, dass dieses Fliegengewicht über ungeahnte Kräfte verfügte. Erst nach dem Kuss verriet Jakob, dass er ihres Vaters Verwandter wäre, ihr Cousin. (Gen 29,12)

Langes Warten
So stürmisch die Liebesgeschichte begann, so lange musste sie auf Erfüllung warten. Jakob hatte bei seinem Onkel zwar Unterschlupf gefunden, aber Jakob und Rahel kamen erst nach jahrelanger Schufterei zusammen, die Laban seinem künftigen Schwiegersohn abverlangte. Sieben Jahre musste Jakob um Rahel dienen. Jedoch: Es kam ihm vor, als wären’s einzelne Tage, so lieb hatte er sie. (Gen 29,20)