Otto Gehmacher schildert im KirchenBlattGespräch seine Skepsis gegenüber der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), ab 1. Jänner 2022 die Hilfe zur Selbsttötung, den so genannten „assistierten Suizid“, zuzulassen. Das individuelle Eingehen auf unheilbar kranke Patient/innen ist für ihn von größter Bedeutung.

Wolfgang Ölz

In Fragen der Versorgung von Menschen mit unheilbaren Erkrankungen ist Vorarlberg gut aufgestellt: Die Palliativabteilung am LKH-Hohenems, das Hospiz am See und auch das mobile Palliativteam stellen eine umfassende Betreuung Schwerkranker und Sterbender sicher. Otto Gehmacher sieht darum Alternativen zum assistierten Suizid: „Es gibt viele Möglichkeiten für den behandelnden Arzt, das natürliche Sterben zuzulassen. Es können vorausschauend gewisse Therapien nicht durchgeführt werden. Es kann die Ernährung abgesetzt oder bei Fieber keine Antibiotika gegeben werden. Auch die Möglichkeit eines Tiefschlafes, um unerträgliches  Leid zu lindern, ist ein vollkommen legales Mittel.“

Gespräch mit Patient/innen

Entscheidend für Oberarzt Gehmacher sei das klärende Gespräch mit den Patient/innen: Viele von ihnen würden alles tun wollen, um ihr Leben zu erhalten. Beispielsweise sei zu respektieren, wenn ein querschnittgelähmter Mann mit Prostatakrebs trotz minimalen Erfolgschancen eine Chemotherapie wünsche. Genauso sei anzuerkennen, wenn eine Frau mit Brustkrebs in fortgeschrittenem Stadium bewusst auf eine solche Therapie verzichte, weil sie unnötige Schmerzen fürchte.

Ein Dammbruch?

Die katholische Kirche reagierte auf das VfGH-Urteil mit Bestürzung. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz und Erzbischof von Salzburg, Franz Lackner, sprach von einem Dammbruch. Auch Otto Gehmacher befürchtet, dass die Begründung des Urteils mit tragischen Einzelschicksalen eine nicht mehr schließbare Tür öffne. Die Hilfe zur Selbsttötung könnte künftig vermehrt bei Menschen mit Demenz, bei Depressiven, Lebensmüden, sogar bei Kindern zur Anwendung gelangen. Gerade das Beispiel der Niederlande, wo Sterbehilfe bereits erlaubt ist, zeige, dass es trotz aller Regulierungen zu missbräuchlicher Anwendung kommen könne und die Wahrung der Autonomie der Betroffenen nicht immer gewährleistet sei.
Als schwer realisierbar erscheinen ihm die Maßnahmen, die der Verfassungsgerichtshof einfordert, „damit die betroffene Person ihre Entscheidung zur Selbsttötung nicht unter dem Einfluss Dritter fasst“. Die Unabhängigkeit sei oft ein philosophisches Konstrukt. Soziale oder finanzielle Gründe könnten Menschen jeder Lebenslage verleiten, Hilfe zur Selbsttötung vermehrt in Anspruch zu nehmen, so Gehmacher.

Schwere Entscheidungen

Patienten verhielten sich seiner Erfahrung nach oft sehr ambivalent. Sie äußerten im einen Moment den Wunsch zu sterben und hätten gleichzeitig einen starken Lebenswillen. Das „Ich will nicht mehr leben“ müsse oft übersetzt werden als „Ich will so nicht mehr leben“. Gehmacher betont, dass der Wunsch zu leben oder zu sterben oft von außen überhaupt nicht beurteilbar sei. Er ist froh, dass schwierige, ethische Entscheidungen erst nach intensiven Beratungen mit dem gesamten Team, der Pflege, der Seelsorge, des Sozialarbeiters und der Physiotherapeutin gefällt werden.

Gegen Hippokrates

Entscheidend werde sein, wie der Gesetzgeber das Urteil des VfGH als gültiges Recht ausformuliere. Wolfram Proksch hat als Anwalt der Antragsteller im Prozess zum assistierten Suizid gesagt: „Ein Arzt, der einem Patienten nach dessen Willen ein tödliches Medikament verschreibt, ist nun nicht mehr strafbar.“ Dies widerspricht dem Eid des Hippokrates, der heute noch als ethische Richtschnur gilt. Dort steht: „Ich werde niemandem, auch nicht auf seine Bitte hin, ein tödliches Gift verabreichen.“ Für Otto Gehmacher ist der Ausspruch Kardinal Franz Königs maßgeblich: „An der Hand, nicht durch die Hand eines Menschen sterben.“

(aus dem KirchenBlatt Nr. 8 vom 25. Februar 2021)