Was ist, wenn nichts mehr ist? Was passiert, wenn ich sterbe - mit mir, mit meinen Angehörigen, den Dingen, die noch offen sind? Vor Allerheiligen und Allerseelen haben wir mit verschiedenen Menschen gesprochen, die beruflich mit den Themen Sterben, Tod und Trauer zu tun haben. Ihre Gedanken lesen Sie heute und in der kommenden Woche im KirchenBlatt.
Charlotte Schrimpff
Ihre Antworten gleichen sich aufs Haar: Fragt man einen Priester, einen Bestatter, eine Psychotherapeutin, eine Totenwache-Leiterin, eine Ritualgestalterin, eine Mitarbeiterin des Hospiz oder auch den Papst persönlich, was sie sich so kurz vor Allerheiligen und Allerseelen für ihre Mitmenschen wünschen, sagen sie: „Mehr Reden und Nachdenken über den Tod.“
„Schönen Dank auch!“, werden Sie jetzt vielleicht finden. Schließlich sind Sie, die Sie diesen Text lesen, ziemlich lebendig - und haben vermutlich ganz andere Sorgen als den Gedanken an den eigenen Tod. Das Dumme ist nur: Ihre volle To-Do-Liste interessiert den nicht die Bohne. Das Lebensende sucht nicht nach einem freien Termin in Ihrem Kalender - es ist irgendwann einfach da.
Und dann? Was kommt dann? „Ich erlebe immer wieder“, erzählt die Psychotherapeutin und Theologin Helga Kohler-Spiegel, „wie diese Frage unter der Oberfläche mitschwingt - und Menschen mit ihr alleine bleiben, weil sie erleben: Da hält mir und meinen Zweifeln niemand stand“. Viele seien mit den allgemeinen Antworten und dem, was weitergegeben worden ist, nicht mehr zufrieden - denn der christliche Glaube an ein Jenseits, an einen Himmel, der uns mit offenen Armen empfängt, ist in einer aufgeklärten, technisierten Welt für viele nicht mehr zeitgemäß.
Leben und sterben lassen. Dieses emanzipatorische Denken beobachtet auch Elmar Simma, ehemaliger Caritasseelsorger und Vorreiter der Hospizbewegung in Vorarlberg, wenn es um das Thema Sterbehilfe geht: Heute würden viele alles im Leben planen, festlegen und kontrollieren wollen - und darum bitte auch Zeit und Ort ihres Ablebens bestimmen. Simma verwehrt sich entschieden gegen diesen „Trend“: „Die meisten vergessen dabei: Wir haben nicht ausgesucht, auf die Welt zu kommen - das wurde uns gegeben“, erklärt Simma. Mit dem Sterben sei es genauso: Ich „mache“ es nicht - es geschieht.
Was wäre, wenn? Ein Gedanke, der im ersten Moment ziemlich gewöhnungsbedürftig ist - und zugleich ein beliebtes Szenario in der Psychologie: Was passiert, wenn man sich bewusst macht, dass das Leben in jedem Augenblick zu Ende sein könnte? Worauf blickt man zurück? Was war gut, was ist es (noch) nicht?
Lose Enden. „Ich erlebe kaum eine Familie“, erzählt die Ritualgestalterin Anita Bonetti, „in der es nicht Dinge gibt, die offen bleiben.“ Und diese losen Enden machten den Menschen am meisten zu schaffen - sowohl denen, die gehen müssten, als auch denen, die bleiben: „Die Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross hat betont, man könne leichter sterben, wenn man Unerledigtes erledigt“, erklärt Elmar Simma. „Im Grunde stimmt das, aber das ist nicht immer möglich.“ Glaube könne in solchen Momenten Trost spenden - einfach, weil es da eine Instanz gibt, an die man sich wenden kann: „Lieber Gott: Was ich nicht mehr geschafft habe, dass musst du für mich vollenden.“ Manches bleibe eben defizitär, sagt Simma: „Wir planen das Leben eben nicht so, dass wir alles in der Hand haben.“
Raum geben. Fühlt sich immer noch merkwürdig an? Das sei normal, erklärt Helga Kohler-Spiegel: Man müsse lernen, den widersprüchlichen Gefühlen rund um die Themen Sterben, Tod und Trauer Raum zu geben - dem Hadern, dem Zorn, der Verunsicherung, der Wut. „Wir sind es gewohnt zu funktionieren“, sagt Kohler-Spiegel - etwas, das „im Angesicht des Todes“ eben ausgerechnet keine Rolle mehr spielt. „Es gibt rund um diese Themen Momente, in denen man nichts tun kann - aber eben auch Momente, in denen das aktive Annehmen und Auseinandersetzen wichtig sind.“
Loslassen lernen. Wie überall im Leben: „Irgendwann muss man seine Kinder loslassen, man muss Träume loslassen, man muss manchmal auch den Partner, die Partnerin loslassen“, betont Simma. Der eigene Tod sei ein letztes solches „Lassen“. Je eher man sich dessen bewusst werde, umso ge-lassener könne man diesem Augenblick begegnen.
Zur Sache
Wie kann man Menschen gut im Umgang mit den Themen Sterben, Tod und Trauer begleiten? Diese Frage stellte sich die diözesane Liturgiekommission und hat ein mehrjähriges Projekt beauftragt, das Antworten darauf finden soll - individuell angepasst an die Bedürfnisse in den einzelnen Pfarren und Seelsorgeräumen des Landes.
Wir haben diese Fragen auch Pfarrer Elmar Simma, Bestatter Christoph Feuerstein, Psychotherapeutin Helga Kohler-Spiegel, Ritualgestalterin Anita Bonetti, Hospizkoordinatorin Irmtraud Heinzle und Totenwache-Leiterin Magdalena Burtscher gestellt. Die vollständigen Interviews mit ihnen finden Sie online unter: www.kath-kirche-vorarlberg.at/themen/trauer
(aus dem KirchenBlatt Nr. 43 vom 26. Oktober 2017)