Äbtissin Hildegard Brem empfand die Vorstellung in ein Kloster einzutreten wie ein Seiltanzakt. Heute kann sie sagen, dass sie den Schritt nie bereut hat. Im Gegenteil.
Kennen Sie folgende Geschichte? Ein Mann geht in den Zirkus und bestaunt die Seiltänzer. Unerhört, was diese alles können! Den Höhepunkt bildet ein Akrobat, der nicht nur selbst auf dem Seil geht, als wäre es fester Boden, sondern sogar noch einen Schubkarren vor sich auf dem Seil herschiebt. Das Publikum ist begeistert. Die Menschen stehen auf und klatschen ohne Ende. Da fragt der Seilkünstler in die Menge: Glauben Sie, dass ich dasselbe Kunststück auch nach hinten hin durchführen kann? Ja, ja, rufen alle und klatschen noch begeisterter. Da zeigt der Mann auf einen der Zuschauer und ruft ihm zu: Kommen Sie doch herauf, und setzen Sie sich in den Schubkarren! ... Eisiges Schweigen. Keiner will das ausprobieren. Glaubten nun die Menschen dem Seilkünstler oder glaubten sie ihm nicht?
Willst Du das wirklich tun?
So ähnlich habe ich mich gefühlt, als ich um die Entscheidung für das Leben in unserem Kloster Mariastern gerungen habe. Natürlich glaubte ich alles, was zum christlichen Glauben gehört, natürlich feierte ich mit großer Freude die Feste des Kirchenjahres, war dankbar für die Geburt Jesu, seinen Tod für uns und seine Auferstehung. Natürlich wusste ich, dass es ein Geschenk Gottes ist, wenn er einen ruft, ihm sein Leben ganz zu weihen. Aber wollte ich mich wirklich darauf einlassen, wollte ich die Nagelprobe machen, ob seine Versprechen auch tatsächlich tragen? Da war ich mir nicht automatisch sicher. Öfters wachte ich in der Nacht auf und fragte mich entsetzt: Willst du das wirklich tun? Alles aufgeben und auf dieses Pferd setzen?
Mehr Reichtum als je angenommen
Ich habe mich schlussendlich dazu durchgerungen, ja zu sagen. Selbstverständlich ist bei uns ja ohnedies eine lange Probezeit vorgesehen, um eine Berufung zu überprüfen. Inzwischen sind es nicht nur einige Monate, die ich im Kloster geblieben bin, sondern schon 46 Jahre… Und ich kann sagen, dass sich das Abenteuer gelohnt hat. Ich habe in diesem Leben, das ganz auf Gott ausgerichtet ist, viel mehr an innerem Reichtum und Erfüllung gefunden, als ich je angenommen hätte. Und ich vertraue darauf, durch meinen Glauben und meinen Dienst in der Seelsorge auch anderen Menschen auf ihrem Weg geholfen zu haben.
Felsenfest auf Gott vertrauen
Ich vermute, dass sich die Frage nach dem gelebten Glauben einem jeden von uns stellt, und zwar immer wieder im Leben. Ihn meint Jesus, wenn er den geheilten Blinden fragt: Glaubst du an den Menschensohn? (Joh 9,35) oder uns die Verheißung gibt: Wer glaubt, hat das ewige Leben (Joh 6,47). Wir wissen auch um die Verheißungen Gottes, wir wissen, dass er jeden Menschen führen will und dass er durch alle Höhen und Tiefen des Lebens hindurch mit unserem Leben einen guten Plan hat. Und wir wissen auch, dass denen, die Gott lieben, letztlich alles zum Guten gereicht. Aber können wir uns in schwierigen Situationen und in scheinbarer Ausweglosigkeit wirklich darauf einlassen, ganz konkret? Dürfen wir dann felsenfest auf Gott vertrauen und uns auf ihn stützen? Ja, wir dürfen es, und ich bete darum, dass wir alle, Sie und ich, immer neu diesen Mut haben. Gott wird uns nicht enttäuschen!