Die aus Vorarlberg stammende Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle über die National- und Landtagswahlen, sinkende Wahlbeteiligungen, die Probleme der FPÖ und das Dilemma der Grünen.

Interview: Dietmar Steinmair

Am nächsten Sonntag wird in Vorarlberg nun zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit gewählt. Sind die Menschen - nach den Nationalratswahlen - noch aufnahmefähig für die Themen des aktuellen Vorarlberger Wahlkampfs?
Kathrin Stainer-Hämmerle: Wir haben bei den Nationalratswahlen gesehen, dass das Interesse bis kurz vor der Wahl nicht gesunken ist. Die letzte Elefantenrunde im TV hatte über eine Million Zuseher, obwohl es ein Überangebot an Diskussionsformaten gab. Die Menschen sind also sehr interessiert an Politik, und viele entscheiden sich tatsächlich auch sehr spät.
Wahlentscheidungen haben einerseits immer mit Spitzenkandidaten zu tun, andererseits mit spezifischen Themen. Das Thema leistbares Wohnen bzw. Grund und Boden etwa hat im Vorarlberger Landtags-Wahlkampf eine ganz andere Prominenz als etwa im Nationalratswahlkampf.

Die Wahlbeteiligung bei den Vorarlberger Landtagswahlen sank von 2009 auf 2014 von 68 auf 64 Prozent, bei der Vorarlberger Beteiligung an den Nationalratswahlen von 2017 auf 2019 von 72 auf 67 Prozent. Warum sinken Wahlbeteiligungen - und warum wird in Vorarlberg generell weniger gewählt?
Stainer-Hämmerle: Eine hohe Wahlbeteiligung gibt es immer dann, wenn es ein spannendes Rennen gibt oder eine hohe Polarisierung. Die bundesweite Wahlbeteiligung an den Nationalratswahlen 2017 von 80 Prozent war ungewöhnlich hoch, auch im internationalen Vergleich.
Zur Frage nach der Wahlbeteiligung in Vorarlberg: Jemand geht dann nicht wählen, wenn er kein Angebot hat, oder wenn er das Gefühl hat, das Rennen ist gelaufen. In Vorarlberg gibt es noch einen dritten Grund: Viele sind einfach zufrieden. Die Wahlbeteiligung steigt dann, wenn eine Wechselstimmung entsteht und viele Menschen einen Wechsel wünschen. Das war bei den Nationalratswahlen 2017 der Fall, ist in Vorarlberg aber nicht so ausgeprägt.

Viele reden und schreiben von einer Krise der Politik und der Demokratie, nicht zuletzt auch wegen der Frage nach der Glaubwürdigkeit von Politikern. Können die Politiker und Politikerinnen die Politik stärken - oder muss das „von außen“ kommen, etwa von Bürgerräten, von der Zivilgesellschaft oder durch bessere politische Bildung?
Stainer-Hämmerle: Aus meiner Sicht gibt es da drei Aspekte: Zum Einen betrifft es die politischen Eliten, wenn wir sie mal so nennen wollen. Inwieweit haben sie den Begriff „Eliten“ noch verdient - auch aufgrund eigenen Verhaltens? Zweitens sind es die Medien, die wesentlich das Bild von Politik in der Bevölkerung prägen. Auch sie müssten sich ihrer Verantwortung mehr bewusst werden, welches Bild von Politik sie zeichnen. Drittens ist es die Bevölkerung. Denn wie man so sagt: Jedes Volk hat die Politiker, die es verdient. Beim Aspekt Bevölkerung geht ganz stark auch um die Verantwortung des Bildungssystems: Welche Anforderungen habe ich an politische Eliten und welches Verständnis habe ich von demokratischen Prozessen? Da ist aus meiner Sicht viel versäumt worden. Übrigens: Politischer Bildner sind auch die Medien.
Am wenigsten kann man aus meiner Sicht den Politikern die Schuld geben, denn sie werden immer das tun, was bei der Bevölkerung am besten ankommt. Jede politische Kampagne wird nach dem aufgebaut, was erfolgsversprechend ist. Wenn nun rechtspopulistische Parolen oder Stile Erfolg versprechen, dann muss man schauen, woran das in der Bevölkerung liegt. Warum etwa sind Menschen verunsichert? Oder warum gibt es zu wenige Kenntnisse über Zusammenhänge oder Konsequenzen von derartigen Forderungen?

Darf ich bei der Glaubwürdigkeit von Politikern nachhaken: Werden die Skandale in der Bundes-FPÖ - Stichwort Heinz Christian und zuletzt auch Philippa Strache - auch den Vorarlberger Freiheitlichen massiv Stimmen kosten, oder kann es Christoph Bitschi gelingen, sich erfolgreich von der Bundes-FPÖ zu distanzieren?
Stainer-Hämmerle: Das werden wir nach den Wahlen sehen. Aber vermutlich wird eine Diskussion wie jene über das Gehalt von Philippa Strache FPÖ-Kernwähler verärgern, sodass sie vielleicht zu Hause bleiben. Christoph Bitschi hat es da etwas schwer, denn er kann sich nicht wirklich distanzieren von seiner Partei und er wurde bislang auch als Strache-nah wahrgenommen. Er kann nur hoffen, dass in Vorarlberg, wo alle Parteien sehr stark ihre Eigenständigkeit betonen, die Vorarlberger das bei ihm auch so sehen. Ich denke aber, dass der Spesenskandal Auswirkungen haben wird.

Thema Umweltschutz: Die Grünen, die bei der letzten Wahl außerordentlich gut abschnitten, sind seit fünf Jahren als Juniorpartner in der Landesregierung. In Verkehrsfragen - wie der Umfahrung Feldkirch oder aktuell der S 18 - sind sie jedoch explizit anderer Meinung als ihr Seniorpartner ÖVP. Gleichzeitig ist der Klimawandel in aller Munde. Inwieweit werden Umweltthemen die diesjährigen Landtagswahlen mitentscheiden?
Stainer-Hämmerle: Die Rolle eines Juniorpartners in einer Regierung ist immer eine undankbare. Sind die Menschen zufrieden mit der Landesregierung, stärken sie eher den Landeshauptmann, sind sie nicht zufrieden, trifft es den Juniorpartner genauso. Der Juniorpartner kann immer nur argumentieren: „Wir haben Schlimmeres verhindert.“ Landesrat Rauch bemüht sich etwa zu sagen, „wir haben den Projekten nicht zugestimmt, sondern nur, dass die Verfahren weiterlaufen“, um so zu versuchen, die Behörden entscheiden zu lassen und um die politische Entscheidung nicht treffen zu müssen. Das ist aber nur schwer vermittelbar an Wähler, die Politik nur nebenbei verfolgen. Für die Grünen ist das Ergebnis der letzten Wahlen sicher außer Reichweite. Wenn man mit dem Klimathema noch knapp hinkommt, wäre es schon ein Erfolg.

Vielen Dank für das Gespräch. «

(aus dem Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 41 vom 10. Oktober 2019)