Gedanken zu Pfingsten

Also doch: Reden, reden, reden? Nicht unbedingt. Wir wissen, wie unergiebig das Geschwätz ist, das Gerede; unergiebig, unnütz, ungut.

von Peter Natter

Sie sei die Quelle aller Missverständnisse und mit ihren Begriffen nie auf der Höhe der Welt, werfen die einen der Sprache vor; er fürchte sich vor der Menschen Wort, raunte Rilke. Aber nur durch die Sprache heben wir uns ab von den Tieren, behaupten andere. Allerdings ist auch das ein zweischneidiges, ein ambivalentes Kompliment, wenn man es denn als solches auffassen will. Francis Bacon (1561-1626), der neuzeitliche Reformator der Wissenschaft, hat die Sprache zu den vier wesentlichen Gefährdungen der menschlichen Erkenntnis gerechnet. Er warnt vor der schlechten Gewohnheit, Worte an die Stelle der Dinge und noch mehr an die Stelle der Taten zu setzen. Wir tauschen sozusagen den Realwert, den Eigenwert der Dinge mit ihrem bloßen Marktwert. Das kann nicht gut gehen, weil es strukturell ungerecht ist. Allzu schnell und allzu leicht erliegen wir der Bequemlichkeit und nehmen das eine für das andere. Doch Worte, denen keine Taten folgen, sind wie ein Frühling ohne Sommer. Die Sprache ist eine der größten Errungenschaften und damit eine der größten Herausforderungen für das menschliche Dasein. Was wir aufgeben, wenn wir sie vernachlässigen, ist nicht weniger als das Menschsein selbst.

Vernunft und Geist

Andererseits hebt Hans Blumenberg (1920-1996), ein Philosoph, der für die Theologie in weiten Teilen seines immensen Werkes noch zu entdecken ist, die Leistung hervor, die wir sprechend, also denkend vollbringen.

Er spannt einen weiten, einen wahrhaft spannenden Bogen von der Abwesenheit des Gegenstandes im  Begriff zur Vernunft. War es nicht die Vernunft, die der Heilige Geist zu Pfingsten über die Jünger gebracht hat? Die Flamme, die er über ihren Häuptern entzündet hat, ist sie nicht in der Erleuchtung der Aufklärung wieder sichtbar geworden? Die Vernunft macht uns unabhängig von der materiellen Anschauung, sie macht uns frei zur Abstraktion. Damit wird erst der Zugang frei zu allem, was körperlich nicht zu erfassen ist: die Welt, die Geschichte, das Ich, die Zeit, der Raum und natürlich: Gott. Der Mensch wird Mensch, wenn er sich aufrichtet und den Nahbereich seiner Wahrnehmung verlässt, wenn er den Schritt, den Sprung ins Fremde, in die Transzendenz wagt.

Von groß zu heilig
Also doch: Reden, reden, reden? Nicht unbedingt. Wir wissen, wie unergiebig das Geschwätz ist, das Gerede; unergiebig, unnütz, ungut. Ob Schweigen deshalb gleich Gold wert ist, wie das Sprichwort suggeriert? Es muss viel gesagt werden, bevor der Rest Schweigen ist, hat es in Anspielung auf ein berühmtes Shakespeare-Wort geheißen. Das Wort ist zu ergreifen: zur rechten Zeit, am rechten Ort. Es ist zu lassen, wenn nichts (mehr) zu sagen ist. Kaum einer hat das so schlüssig durchexerziert und vorgelebt wie Jesus! Der Jesus der Heiligen Schrift. Was ist das Heilige an der Heiligen Schrift? Die Schrift? Was macht es aus, dass etwas auf- und festgeschrieben ist? Ist das Schreiben so heilig oder das Geschriebene?

Was ihren Inhalt betrifft, so sind die heiligen Schriften des Christentums, das Alte und das Neue Testament, zweifellos groß zu nennen. Aber von groß zu heilig ist es ein recht weiter Weg. Große Texte haben die Literatur, die Philosophie, die Wissenschaft immer wieder hervorgebracht, sehr große Texte sogar, nach menschlichem Ermessen unsterbliche Texte und Schriften. Heilig möchte ich keinen von ihnen nennen. Schon leichter fiele es mir, da und dort von Heiligen der Literatur, der Philosophie, der Wissenschaft zu sprechen. Nein, Namen zitiere ich hier keine.

Inspiration
Was aber ist das Heilige an ihnen? Was überhaupt ist das Heilige? Ohne jetzt das Rad neu erfinden zu wollen: Das Heilige hat sehr viel zu tun mit dem Geist, von dem jemand beseelt ist, jemand oder eine Sache. Jener Spirit, von dem da und dort die Rede ist, wenn ein ganz besonderer Aspekt, eine ganz eigene Dimension beschworen werden sollen, etwas, das weit über das Normale, über das menschliche Maß hinaus weist; oder einfach nur eine bestimmte Form des Zusammenhalts, der Zusammengehörigkeit innerhalb einer Firma, eines Unternehmens. So ist das Heilige an der Heiligen Schrift wahrscheinlich der Geist, der sie diktiert hat. Die Schreiberlinge müssen nicht heilig sein. Das ist ihre Chance, heilig zu werden.

(aus KirchenBlatt Nr. 20 vom 16. Mai 2013)