Über Jahrhunderte hinweg fand und findet das Motiv der Frau am Kreuz immer neue Ausdrucksformen. Die aktuelle Ausstellung im Frauenmuseum geht ihnen auf die Spur. Sehenswert!

Das Bild zeigt eine Miniatur der heiligen Wilgefortis in einem Südflämisches Gebetbuch, um 1400; aufbewahrt wird es in der Hofbibliothek Aschaffenburg (D).

Patricia Begle

Wenn wir „Frau am Kreuz“ hören, dann denken wir meist an jene Frauen, die Jesus bis unter das Kreuz begleitet haben. Die derzeitige Ausstellung im Frauenmuseum Hittisau nimmt jedoch andere Darstellungen in den Blick - jene, in denen eine Frau am Kreuz hängt. Italiener/innen und Spanier/innen werden dabei gleich an die heilige Julia bzw. Eulalia denken - zwei Märtyrerinnen, die in ihrer Region verehrt werden. Beide waren Jungfrauen, die sich nicht verheiraten ließen, sondern lieber den Tod wählten. Den Tod am Kreuz.

Frau mit Bart

In der Heiligenverehrung kam es immer wieder vor, dass sich Biografien von Heiligen vermischten, erklärt Ulrike Wörner, Kuratorin der Ausstellung. Was nämlich zählte, war die Wirkung, die ein/e Heilige/r hatte, nicht so sehr die historische Person, die dahinterstand. Es gibt deshalb auch Heilige, die nur in Legenden gründen, ganz ohne historische Verortung.
So entwickelte sich im Mittelalter in der Gemeinschaft der Beginen in Brügge die Verehrung der heiligen Wilgefortis. Auch ihre Legende erzählt von Zwangsheirat. Um dieser zu entkommen, soll sie um Verunstaltung gebetet haben. Daraufhin wuchs ihr ein Bart, so die Legende. Im Zorn ließ ihr Vater sie kreuzigen. „Für die Beginen war die heilige Wilgefortis eine passende Identifikationsfigur“, erläutert die Kuratorin. Auch sie strebten nach Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Sie lebten in Gemeinschaften, legten aber kein Ordensgelübde ab, lebten nicht in Klausur. Sie suchten nach einer eigenen Spiritualität, fanden sie in der Mystik, die „imitatio christi“ stand dabei im Mittelpunkt. Sie organisierten sich demokratisch und waren wirtschaftlich erfolgreich. Sie machten sich materiell und spirituell von der Kirche unabhängig. „Die Heilige kann deshalb als ‚Ikone des Aufbegehrens‘ bezeichnet werden“, so Wörner. Und Gründe für das Aufbegehren gab es im Mittelalter viele, denn Frauen waren - auch in der Kirche - weniger wert als Männer.

Die heilige Wilgefortis verbreitete sich im gesamten Alpenraum, sowohl Darstellung als auch Namen änderten sich dabei. Sie wurde zur „Ontcommer“, „Sankt Kümmernis“ oder „Santa Liberata“. In manchen Gegenden verschmolz sie mit der Darstellung „Volto Santo“ aus Lucca. Diese zeigt Jesus als König am Kreuz, mit Krone und Gewändern. „Dieses neue Bild bringt quasi die stärksten Heiligen in einer Figur zusammen“, erklärt Wörner dieses Phänomen. Generell gilt: Um die unterschiedlichen Darstellungen zu verstehen, müssen sie in den Kontext der jeweiligen Epoche gestellt werden, es muss nach dem „Sitz im Leben“ gefragt werden. Vielfach sind die Bilder Antwort auf die Bedürfnisse der Zeit.

Frau als Erlöserin?

Erstaunlicherweise findet sich das Motiv der Frau am Kreuz auch nach Reformation und Aufklärung in immer neuen Zusammenhängen, auch in nicht-religiösen. Es eignet sich als Projektionsfläche für soziale und politische Anliegen - bis herauf in die Gegenwart. Thematisiert werden Tod und Krieg, Leid und Opfer - von Massenvergewaltigungen bis zu sexuellem Missbrauch in der Familie.
Wer die heilige Kümmernis nicht kennt, mag beim Anblick einer Frau am Kreuze irritiert sein, ist unsere Vorstellung davon doch fest mit einem Mann, mit Jesus, verbunden. „Die Frau am Kreuz ersetzt nicht die Person - nur die Funktion“, erklärt die Kuratorin. Eine Frau als Erlöserin? Darüber nachzudenken, fordert die Ausstellung die Besucher/innen heraus. Wer sich darauf einlässt, wird vielleicht das eigene Gottesbild weiten - oder eine neue Heilige für sich finden. «

Ausstellung

Frau am Kreuz. Von der mittelalterlichen Heiligen zur Pop-Ikone. Kuratorin: Dr. Ulrike Wörner, Historikerin, Germanistin, Kulturwissenschafterin.
www.frauenmuseum.at

Öffnungszeiten: Mi 14 - 17 Uhr, Do bis So 10 - 17 Uhr.
Ausstellungsdauer: 20. Oktober
Führungen: jeden Montag, 18 Uhr;
jeden 1. Sonntag im Monat, 17 Uhr, Frauenmuseum, Hittisau.