Was das Bühnenbild auf der Seebühne im Vorfeld an großem Theater versprochen hat, das hat Philipp Stölzls erstmalige Inszenierung von „Rigoletto“ gehalten. Bei wunderbarem Wetter ging vergangene Woche eine gelungene Premiere von Giuseppe Verdis Meisterwerk in Zirkusatmosphäre über die Bühne.

Dietmar Steinmair

Der eigentliche Star des Abends war der 14 Meter hohe und 35 Tonnen schwere und dennoch voll bewegliche Kopf aus Fassadenputz, Styropor, Farbe und einer ziemlich gewaltigen Unterkonstruktion. Die Augen öffnen, drehen und schließen sich und folgen dem Geschehen auf und über der Bühne. Gleichzeitig bietet der Puppenkopf wie im Kammerspiel Platz für Details: Im offenen Mund des Kopfs etwa hat der lüsterne Herzog von Mantua (Stephen Costello) seine Liebeshöhle. Bis zum Ende des Stücks haben seine Höflinge dem Clown aber die Nase amputiert, etliche Zähne gerissen und die Augäpfel entfernt, um sie tolldreist über die Bühne zu rollen und schließlich in den See zu werfen. Was bleibt, ist ein Totenschädel, durch dessen Öffnungen Tränen fließen und das wilde Feiervolk ein- und ausgeht.

Verhängnisvoller Irrtum.

Tot ist am Ende auch Gilda (Mélissa Petit), die Tochter des Hofnarren Rigoletto (Vladimir Stoyanov). Rigoletto, der die Untaten des Weiberhelden-Herzogs spottend begleitet, sperrt seine Tochter zu Hause ein, um sie vor der Männerwelt zu schützen. Dennoch erlangt der Herzog, getarnt als armer Student, Einlass in das Haus Rigolettos, wo sich Gilda in den Charmeur verliebt. Unwissend beteiligt sich Rigoletto an der Entführung Gildas, die dem Herzog zugeführt wird. Der Hofnarr schwört Rache und engagiert den Mörder Sparafucile. Der Herzog, der sich inzwischen mit weiteren Frauen vergnügt und in der allbekannten Arie „La donna è mobile“ sein machistisches Frauenbild zum Besten gibt, entgeht dem Attentat jedoch. Denn ausgerechnet die immer noch verliebte Gilda opfert sich für ihn und quert statt seiner den Weg Sparafuciles. Als der Mörder sein Opfer in einem Leichensack an Rigoletto übergibt, muss der Vater darin mit Entsetzen seine sterbende Tochter erkennen.

Alles gut.

Der Charme von Verdis Oper liegt nicht zuletzt an der Komposition, die zwar auch große Töne spuckt, aber viele leise Stellen hat und auch über Passagen verfügt, in denen Orchestersolisten hörbar glänzen können. Vor allem die Arien und die wechselnden Duette zwischen den Protagonisten sind, wenn gelungen, ein Hochgenuss für die Ohren.
Gelungen waren bei der Bregenzer Premiere auch die Leistungen von Solisten und Orchester. Den größten Applaus erhielt - völlig zurecht - Gilda-Darstellerin Petit. Auch die Technik spielt in Bregenz wiederum alle Stücke, von der wundersam wandelbaren Hand über den sich neigenden und emporsteigenden Kopf bis hin zum heliumgefüllten Ballon, mit dem Gildas Liebe - in der geglückten Arie „Caro nome“ - und ihre Seele hoch in den Bregenzer Himmel flogen. Wohltuend war jedoch vor allem die Entscheidung von Regisseur Stölzl, bei diesem Spiel auf dem See auf überbordende Massen-Akrobatik, Feuerspucker und andere Effekthaschereien zu verzichten - abgesehen von ein paar bemerkenswerten Stunts und den obligatorischen Sprüngen ins Wasser. Die Musik, die Sänger/innen samt Chor und Orchester, das Stück, die konzentrierte Inszenierung, die Bühne und der große, große Kopf genügen vollauf für eine trotzdem überaus spektakuläre Oper!

Rigoletto bei den Bregenzer Festspielen

Oper in drei Akten (1851) von Giuseppe Verdi. Libretto von Francesco Maria Piave. Nach Victor Hugos „Le Roi s’amuse“ (1832). Mit den Wiener Symphonikern, dem Prager Philharmonischen Chor und dem Bregenzer Festspielchor. Bühnenmusik in Kooperation mit dem Vorarlberger Landeskonservatorium. Musikalische Leitung: Enrique Mazzola, Inszenierung, Licht: Philipp Stölzl, Bühne: Philipp Stölzl, Heike Vollmer, Kostüme: Kathi Maurer, Chorleitung: Lukáš Vasilek, Benjamin Lack.
Alle Vorstellungen bis 18. August sind ausverkauft. 2020 steht beim Spiel auf dem See wiederum Rigoletto auf dem Programm der Bregenzer Festspiele.
www.bregenzerfestspiele.com

(aus dem Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 30/31 vom 25. Juli 2019)