Den Reformationstag am 31. Oktober begeht heuer auch der Papst: Franziskus wird gemeinsam mit der Spitze des Lutherischen Weltbundes im schwedischen Lund einen Gottesdienst feiern. Was das für die Ökumene bedeutet und wie man im Dialog der Kirchen vorankommen kann, analysiert der Salzburger Theologe Gregor Maria Hoff im Interview.

Bild: Papst Franziskus und Martin Luther: Zwischen diesen Bildern liegen knapp 500 Jahre und ein konfessioneller Graben. Während der zeitliche Abstand wächst, wird der Graben aber kleiner.

Interview: Heinz Niederleitner

Papst Franziskus begeht gemeinsam mit dem Lutherischen Weltbund den Reformationstag. Wie ist dieses Zeichen einzuschätzen?
Gregor Maria Hoff: Es ist ein bedeutendes Zeichen, das vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) noch völlig undenkbar gewesen wäre. Wir müssen beachten, was in Lund geschieht: Es wird ein Gottesdienst mit einer neuen Liturgie gefeiert. Da treten zwei Akteure gemeinsam und auf Augenhöhe auf: der Papst und der Präsident des Lutherischen Weltbundes, Bischof Munib Younan. Auch die Predigt soll gemeinsam gestaltet werden. Das sind Zeichen, die auf eine Veränderung in der Ökumene hinführen können.

Gregor Maria Hoff Univ.-Prof. Dr. Gregor Maria Hoff
lehrt Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie an der Universität Salzburg.

Besteht nicht die Gefahr, dass die Erwartungen zu hoch werden?
Hoff: Das Treffen in Lund erlaubt es, die Erwartungen hochschießen und den ökumenischen Druck wachsen zu lassen. Ich denke, das ist gewollt. Das heißt zwar nicht, dass in Lund sozusagen die „Berliner Mauer“ in der Ökumene eingerissen wird. Es wird nicht den Durchbruch geben, dass wir zum Beispiel gemeinsam Abendmahl/Eucharistie feiern könnten. Aber es ist wichtig, dass mit Lund der Druck in diese Richtung wächst.

Was erwarten Sie sich von der gemeinsamen Erklärung in Lund?
Hoff: Es sollte nicht nur bestimmt werden, was im ökumenischen Dialog bisher erreicht wurde, sondern auch, welche Ziele unmittelbar anstehen, gerade bei den neuralgischen Punkten: den Fragen des kirchlichen Amtes, des Abendmahls und des Papsttums. Letztlich hängt alles stark davon ab, was Papst Franziskus in Lund tut. Ich erwarte mir jedenfalls ein Zeichen ökumenischen Mutes.

Der Vatikan und der Lutherische Weltbund haben sich auf die Feier zum 499. Jahrestag der Thesenveröffentlichung Luthers in Lund geeinigt. Es sieht nicht danach aus, dass der Papst 2017 an die historische Stätte der Reformation nach Wittenberg kommt. Wird da eine Chance verpasst?
Hoff: Auch wenn es hier Erwartungen gab, ist es vielleicht klug von beiden Seiten, das nicht zu tun. Papst Franziskus in Wittenberg würde vielleicht das Reformationsgedenken überstrahlen. Außerdem ist zu respektieren, dass der Lutherische Weltbund klar gesagt hat, dass Reformation heute keine allein deutsche Sache mehr ist, sondern schon länger weltweite Dimensionen hat. Deshalb eröffnet der Bund das Jahr des Reformationsgedenkens in Lund, wo er vor 70 Jahren gegründet wurde, und hält seine Generalversammlung 2017 in Windhuk (Namibia) ab. Den Papst nach Wittenberg einzuladen, würde das durchkreuzen.

Apropos Papst: Das Papstamt mit höchster Rechtsgewalt und Unfehlbarkeit in Glaubensfragen lehnen die Kirchen der Reformation seit jeher ab. Kommt man daran auch nicht vorbei?
Hoff: Bei allen Überlegungen über einen symbolischen Petrusdienst muss man klar sagen: Über die Papstdogmen des Ersten Vatikanischen Konzils (1869/70) kann niemand so ohne weiteres „drüberspringen“. Wir sollten uns also keine utopischen Vorstellungen davon machen, wie Kircheneinheit aussehen kann. Das heißt aber nicht, dass wir auf ewig auf eine gemeinsame Abendmahlsfeier verzichten müssen. Wenn wir das nicht zumindest auf Basis einer gegenseitigen eucharistischen Gastfreundschaft schaffen (Vertreter der anderen Konfession werden zur Kommunion eingeladen, Anm.), wie sollen wir da jemals zu einer Einheit kommen?
Unter Führung des Heiligen Geistes ist mehr machbar, als wir uns vorstellen können. Wenn wir die gemeinsame Taufe und gemeinsame Märtyrer haben und sagen, dass wir im Heiligen Geist glauben – und nicht weil man katholisch oder evangelisch ist – frage ich mich: Ist da die Einheit nicht stark genug, dass wir in besonderen Situationen, wenn es darum geht, das gemeinsame Christentum zu bekennen, nicht auch gemeinsam Abendmahl/Eucharistie feiern? Ist es da nicht möglich die Art, wie die Gegenwart Christi jeweils verstanden wird, dem Heiligen Geist zu überlassen?

Das klingt nach der Argumentation der evangelischen Kirche, die ja die eucharistische Gastfreundschaft einseitig schon praktiziert. In Rom heißt es dagegen: Erst Kirchengemeinschaft, dann Eucharistiegemeinschaft.
Hoff: So kommen wir nicht weiter. Wenn für uns klar ist, dass die Einheit der Christen eine Notwendigkeit ist, um ein gemeinsames Zeugnis für das Evangelium in dieser Zeit abzugeben; wenn im Ökumenismusdekret des Zweiten Vatikanischen Konzils steht, dass der Herr der Geschichte diesen Prozess selbst in die Hand genommen hat, dann ergibt sich eine große Erlaubnis, auf ein Wachsen in der Einheit zuzuhalten.

Ist es nicht so, dass inoffiziell in den Pfarrgemeinden viel mehr praktiziert wird, als offiziell als möglich gilt?
Hoff: Die Ökumene mit den Evangelischen läuft heute oft, ohne ökumenisch zu sein. Wir leben in einer postkonfessionellen Zeit: Die feinen theologischen Unterscheidungen spielen für die Christ/innen, die sich im Gemeindeleben einbringen, kaum eine Rolle. Das bedeutet nicht, dass das eine gute Entwicklung ist. Klar ist aber: Wenn die Ökumene im Sinne des Gesprächs der Kirchen und der gemeinsamen Verabredungen wie bisher weitergeht, läuft sie Gefahr, überflüssig zu werden. Denn dann schreibt man die gemeinsamen Texte nur noch für die Archive, weil sie in der Praxis bei Erscheinen schon überholt sind. Aufgrund der Situation, dass die Kirchen schrumpfen, wird an der Basis immer mehr Kooperation wachsen. Aber welche Möglichkeit haben die Kirchen, das mit einer theologischen Perspektive zu verbinden? Es könnte eine Hilfe sein, den ökumenischen Dialog von der Perspektive des Reformationsjubiläums 2117 – also in 100 Jahren – zu betrachten und von dorther Ziele zu entwickeln.

Wie groß sind die Lehrunterschiede zwischen katholischer und evangelischer Kirche heute noch?
Hoff: Beim Abendmahls- und Eucharistieverständnis geht es heute um Akzentverschiebungen: Es gibt unterschiedliche theologische Interpretationsmöglichkeiten, wie Christus in der Eucharistie anwesend ist. Diese Modelle sind weniger zwischen den Konfessionen ein Thema, sondern eher zwischen theologischen Denkschulen. Und die sind konfessionsüberschreitend.

Heiß bleibt die Diskussion in der Frage des kirchlichen Amtes – alleine schon deshalb, weil die evangelische Kirche mit der Frauenordination einen Schritt gesetzt hat, der seitens der katholischen Kirche zumindest derzeit nicht denkbar erscheint. In der Frage der Apostolischen Sukzession (die Rückführung aller Bischofsweihen auf die Apostel, Anm.) sehe ich durchaus eine Entwicklung, die eine weitere Interpretation möglich macht.

Hat die ökumenische Einbindung der katholischen Kirche ins Reformationsgedenken den Blick nicht stärker auf die auch dunklen Folgen der Reformation gelegt – bis hin zu Vertreibungen und Kriegen, bei denen Religion auch politisch missbraucht wurde?
Hoff: Das wurde spirituell vertieft. Wir können heute mit selbstkritischem Ernst und wechselseitig kritischer Offenheit auf die eigene und die gemeinsame Geschichte schauen. Heuer haben wir ja zum Beispiel auch den 50. Jahrestag der Vergebungsbitte von Erzbischof Andreas Rohracher für die Protestantenvertreibung in Salzburg begangen.

Können Katholik/innen die Reformation angesichts der Kirchenspaltung feiern?
Hoff: Ich finde es zunächst gut, von Gedenken zu sprechen, weil da alle Aspekte enthalten sind. Aber man kann sagen, dass auch die katholische Kirche von den spirituellen Impulsen der Reformation profitiert hat – in einer indirekten Aufnahme, weil man etwas zunächst abgewehrt, dann aber produktiv weiterverarbeitet hat. Zu erwähnen wäre der spirituelle Reichtum der katholischen Reform infolge der Reformation – etwa mit Ignatius von Loyola, dem Gründer der Jesuiten. Umgekehrt kann man sehen, dass Martin Luther aus der Bußtheologie seines väterlichen Freundes Johann von Staupitz schöpfte, der katholisch blieb und später Erzabt in St. Peter in Salzburg wurde. Theologiegeschichtlich betrachtet, verdankt die römisch-katholische Kirche der Neuzeit ihre Entstehung in einem weiten Sinne der Reformation, weil sie sich formieren und eine Identität entwickeln musste.

Zur Sache: Der Papst feiert mit den Lutheranern

Papst Franziskus reist am 31. Oktober nach Lund (Schweden). Nach einem Treffen mit dem schwedischen Königspaar wird er ab 14:30 Uhr einen gemeinsamen Wortgottesdienst mit dem Lutherischen Weltbund zum Reformationstag feiern. Themen werden der Dank für Gottes Wort, die Buße für das Leid, das Anhänger der Konfessionen einander angetan haben, und das Zeugnis sein.
Während der Zugang in den Dom zu Lund geladenen Gästen vorbehalten ist, wird die Feier ins Stadium von Malmö übertragen, wohin der Papst mit dem Präsidenten des Lutherischen Weltbundes, Bischof Munib A. Younan, um 16:40 Uhr kommen wird. Bei diesem zweiten Teil der Feier mit 10.000 Teilnehmern steht unter anderem der gemeinsame  Dienst von Lutheranern und Katholiken in aller Welt im Mittelpunkt.
Am 1. November feiert Papst Franziskus die Allerheiligenmesse im Stadion von Malmö, bevor er nach Rom zurückfliegt

KirchenBlatt-Reise "500 Jahre Reformation"

Von 8. bis 14. Juli 2017 veranstaltet das KirchenBlatt eine ökumenische Reise zum Thema „500 Jahre Reformation“ nach Thüringen. Begleiter sind der kath. Pfr. Edwin Matt und der evang. Pfr. Ralf Stoffers. Hier finden Sie das Detailprogramm der KirchenBlatt-Reise nach Thüringen.

(aus dem KirchenBlatt Nr. 43 vom 27. Oktober 2016)