Wenn man bei der Telefonseelsorge arbeitet, ist es ein bisschen so, als wäre man ein Superheld. Man hilft Menschen – egal zu welcher Zeit – und muss es dennoch geheim halten. Das ist Teil der Abmachung. Eva T., deren echter Name der Redaktion natürlich bekannt ist, ist seit 30 Jahren eine dieser Superheldinnen. Sie gibt Einblick in eine Institution, die letztes Jahr 16.928 Mal geholfen hat.

Simone Rinner

Frau T., wir wissen, dass Ihre Identität geheim bleiben muss, aber könnten Sie uns vielleicht ein paar Eckdaten nennen?
Eva T.: Ich bin knapp 60 Jahre alt, habe eine leitende Anstellung in einem Unternehmen und arbeite hauptsächlich mit Zahlen.

Wie sind Sie zur Telefonseelsorge gekommen?
Eva T.: Ich habe damals, vor 30 Jahren, eine Radiosendung gehört, in der die damalige Leiterin die Telefonseelsorge vorgestellt hat. Mich hat vor allem die Ausbildung interessiert, weil man sich dort mit ganz vielen Gebieten des Lebens auseinandersetzt und sie mit viel Selbsterfahrung verbunden ist. 40 der unzähligen Bewerber:innen hat man ins Hearing genommen, 18 haben einen Platz bekommen und ich habe mich sehr gefreut, eine davon zu sein.

War die Ausbildung damals auch schon so anspruchsvoll und was sollte man mitbringen?
Eva T.: Die Ausbildung ist mit über 200 Stunden sehr umfangreich. Man sollte eine gewisse Belastbarkeit haben; auch eine gewisse Lebenserfahrung mitbringen – vielleicht schon durch Krisen gegangen sein. Das Wichtigste ist, dass man totale Offenheit mitbringt, weil man in der Ausbildung im geschützten Rahmen wirklich sehr viel von sich selbst preisgeben muss. Wir arbeiten am Telefon ja auch mit Menschen, die viel von sich erzählen. Mir ist nochmals bewusst geworden: Jeder Mensch hat seine Geschichte. Und jeder Mensch verdient totalen Respekt und vollkommene Wertschätzung.

Wie kann man sich einen „typischen Tag“ in diesem Geheimbüro der Telefonseelsorge in Dornbirn vorstellen?
Eva T.: Wir haben ein sehr nett eingerichtetes Büro mit einer Küche, wo es viel zu naschen und zu trinken gibt. Zuerst ist Dienstübergabe, bei der mit der Person, die vorher Dienst hatte, z.B. besprochen wird, was so die Themen waren. Und es ist auch total schön, Kolleg:innen zu treffen. Da wir alle die gleiche Ausbildung machen – die sehr intensiv ist und in der man sehr offen ist – haben wir eine ganz spezielle Verbindung zueinander. Manchmal klingelt das Telefon dann auch schon.

Aber Sie wissen nie, wer oder was Sie am Telefon erwartet?
Eva T.: Es ist immer sehr spannend. Wenn es jemand ist, der eine konkrete Frage hat, bei der man weitervermitteln kann, ist das sehr einfach, denn wir haben eine ganz tolle Kartei. Manchmal kommen auch Testanrufe, wo meist Jugendliche ein (drastisches) Problem konstruieren. Wir nehmen das zuerst mal ernst.

Entwickelt man in 30 Jahren eine gewisse „Routine“?
Eva T.: Es ist nicht wirklich Routine. Am Anfang hofft man, dass man helfen kann. Dass der andere sagt: „Wow, jetzt weiß ich genau was ich tun soll“ und seine Probleme gelöst sind. Man muss einsehen, dass das nicht unbedingt der Fall ist. Wir haben Anrufer:innen, die sehr oft anrufen – die in ihrer schwierigen Situation wie Krankheit oder Sucht feststecken. Da bewegt sich eigentlich nichts. Und trotzdem sind diese Anrufe auch sehr wichtig, weil sie durch das Gespräch eine gewisse Entspannung für den Tag haben. Wir sind sehr niederschwellig. Wir reden mit denen, bei denen vielleicht keiner mehr abnimmt; die gar nichts verändern möchten oder können in ihrem Leben. Klar kann es auch ein akuter Krisenfall sein – wir sind ja rund um die Uhr und am Wochenende da. Und auch Suizidgedanken sind eine große Herausforderung, weil wir es nicht wirklich verhindern können. Man muss den Menschen zugestehen, dass sie das machen, was sie für richtig finden. Da braucht es dann wirklich ein sehr offenes Gespräch und viel Respekt. Das gilt auch für Menschen, die mit Suchtkranken zusammenleben. Vielleicht schaffen sie irgendwann den Schritt in eine Beratung zu gehen. Selbsthilfegruppen sind etwas wahnsinnig Wertvolles, aber viele Menschen brauchen lang, bis sie den Schritt gehen. Jeder hat so seinen Weg. Und wir haben auch Anrufer, die sagen: „Mich würde es ohne euch nicht mehr geben.“ Oder die eine Krise bewältigt haben. Das ist natürlich total schön zu hören und da freuen wir uns auch.

Können Sie sich an Ihr erstes Telefonat erinnern?
Eva T.: Ich kann mich an das Gefühl erinnern – an die ganz große Aufregung: Man ist gerüstet und sitzt jetzt da und versucht sich gut zu erden. Aber das hat sich bis heute nicht geändert.
Wie lange dauert denn so ein Dienst?
Eva T.: Unterschiedlich. Der kürzeste, den man eintragen kann, dauert zwei Stunden, die meisten machen so viereinhalb. Ein Nachtdienst dauert acht Stunden. Bei uns macht jede/r 12 Stunden im Monat Dienst. Das Tolle ist, dass wir flexibel sind und immer wieder wechseln können.

Wie hält man so ein anspruchsvolles Ehrenamt geheim?
Eva T.: Das ist eine Herausforderung. Vor allem am Anfang war das ganz schwer für mich. Am liebsten würde man jedem erzählen was man jetzt macht, weil man auch sehr stolz darauf ist. Aber das ist die Bedingung – zu unserem Schutz und zum Schutz der Anrufer:innen. Manchmal braucht es eine Notlüge, um seinem Besuch z.B. zu erklären, wo man abends um 10 Uhr noch hinmuss, aber wenn der Partner dahintersteht geht das schon.

Würden Sie es trotzdem empfehlen?
Eva T.: Ja, unbedingt! Das ist eine unglaubliche Bereicherung – nicht nur die Ausbildung, die im Prinzip ja wahnsinnig viel kosten würde. Die Selbsterfahrung, die Arbeit selbst – mit Menschen in Kontakt zu sein, erlebe ich als sehr bereichernd. Klar, man muss schon manchmal „tapfer“ sein und Opfer bringen, was seine Freizeit anbelangt. Aber ich muss sagen, es lohnt sich immer. Was man zurückbekommt, hat es mehr als gut gemacht.

Nimmt man manchmal auch etwas von den Schicksalen „mit nach Hause“?
Eva T.: Manchmal schon, aber meistens gehe ich aus dem Dienst mit einer gewissen Demut und Respekt. Richtig Belastendes nehme ich nicht mit nach Hause – da würde ich vorher noch mit Kollegen beim Dienstwechsel reden oder mit unseren Supervisoren. Wir lernen das ja auch, dass wir es abgeben müssen. Und ich kann nur betonen: Jeder Grund ist wichtig um bei uns anzurufen. Es könnte ganz vielen Menschen helfen, wenn sie auch bei kleinen Sachen anrufen würden.