Ostern ist ein unbesiegbares Geschenk, sagt Provinzoberin Schwester Beatrix Mayrhofer, ehemalige Vorsitzende der Vereinigung der Frauenorden. Vor einem Jahr erhielt sie die Diagnose Brustkrebs. Je dunkler die Erfahrung ist, desto heller strahlt nachher das Licht von Ostern, ist sie überzeugt.

Monika Slouk

Zur Person: Sr. Beatrix Mayrhofer

Sr. Beatrix, vor einem Jahr erfuhren Sie, dass Sie Brustkrebs hatten. Wie haben Sie das erlebt?
Sr. Beatrix Mayrhofer: Begonnen hat es mit der großen Aufmerksamkeit einer Dame am Schalter, bei der ich mich zu einer ganz anderen Untersuchung anmeldete. Sie fragte mich, ob ich nicht, wenn ich schon da bin, auch eine Mammographie machen lassen möchte. Ohne alle Symptome, ohne jede Ahnung ging ich zu dieser Mammographie. Ich bedankte mich bei der Frau, die die Untersuchung durchführte, und sagte: ‚Wie vielen Menschen retten Sie wohl durch Ihre Arbeit das Leben?’ Ich hatte keine Ahnung, dass es mich selber betreffen könnte. Die Diagnose kam überraschend. Ich ging mit einer – wie ich heute sagen darf – gelassenen Zuversicht in die Situation. Von Anfang an war ich überzeugt, das alles gut werden würde. Im Grunde war die Krankheit für mich, auch wenn das jetzt seltsam klingt, ein großes Geschenk und ist es immer noch. So als ob der liebe Gott die Stopp-Taste gedrückt hätte und gesagt hätte ‚Beatrix, halt! Jetzt kommt etwas ganz anderes dran in deinem Leben, und wir schauen miteinander auf das, was wichtig ist.’ Heute kann ich sagen: Danke, ich hatte die Diagnose, ich habe sie durchgestanden, und ich habe ein großes Stück für mein Leben gelernt.

Was haben Sie gelernt?
Sr. Beatrix: Mein Leben ist nicht davon abhängig, was ich nach außen hin alles tue und wie viele Termine im Kalender stehen. Mein Leben ist einzig davon abhängig, wie es meiner inneren Beziehung zu Gott und den Menschen geht. Wie ich mich gehalten, getragen fühle.

Welche Erfahrungen ließen Sie wachsen?
Sr. Beatrix: Das Aushalten der Schmerzen. Dieses Ausgeliefertsein! Bei der Chemotherapie zu liegen, die Infusion zu bekommen und zu wissen: Jetzt läuft dieses chemische Gemisch durch meinen Körper. In einem dieser Momente beschloss ich, die Infusion als Freundin zu betrachten. Sie kam, um mir zu helfen. Auch wenn ich wusste, wie elend es mir in den Tagen nach der Chemotherapie gehen würde. Eine andere Erfahrung war bei der Fiseurin. Fast jede Chemopatientin verliert ihre Haare.  Ich trage zwar einen Schleier, aber ich hatte und habe sehr dichtes, gewelltes Haar. Als ich mir die Haare abschneiden ließ, damit sie mir nicht büschelweise ausfielen, spürte ich, was es heißt, nackt und bloß zu sein – das war eine Erfahrung, die ich mir nicht vorstellen hätte können. Und die große Erfahrung, dass der ganze Betrieb weitergeht, sowohl in der Provinz als auch bei den Ordensgemeinschaften, wenn die Schwester Beatrix krank ist und alle Termine absagt und von einem Tag auf den anderen fünf Monate nicht mehr da ist. Wie es Kardinal Schönborn während seiner Prostata-Krebserkrankung sagte: ‚Die Welt wird es überleben und ich auch.’

Die Schmerzen, die Sie erlebt haben, kann sich wahrscheinlich niemand vorstellen?
Sr. Beatrix: Ja, die kann man sich nicht vorstellen. Jede und jeder erlebt sie anders. Es gibt aber offenbar eine gemeinsame Grunderfahrung derer, die eine Chemotherapie bekommen. Es ist eine Grenzerfahrung der Lebenskraft. Mein ganzes Leben verwandelte sich in Übelkeit. Erst wenn die erste Phase vorbei ist, kann man erahnen, dass man es überstehen wird. Es ist so eine starke Erfahrung: Es geht vorüber. Auch wenn es noch so grauslich ist, ich komme durch.
Eine weitere erhellende Erfahrung: Als ich in der Apotheke Medikamente holte, die man vorbereitend oder nachbereitend zur Chemo nehmen muss, plauderte ich mit dem Apotheker. Ich weiß nicht mehr, wie wir darauf kamen, aber er sagte zu mir: ‚Die Medikamente, die da liegen, kosten bestimmt 1.000 Euro.’ Da erfüllte mich eine große Dankbarkeit. Was verdanke ich unserem Sozialstaat! Wie gut geht es mir, dass ich einen Zettel in der Apotheke abgebe und Medikamente bekomme, die mehr als 1.000 Euro kosten! Wie geht es denen, die keine Versicherung haben? Wie geht es den vielen Menschen auf der Welt, die sich keine Versicherung leisten können oder in einem Land leben, das keine Sozialversicherungsstrukturen hat wie unser in dieser Hinsicht gelobtes Österreich. Der Apotheker setzte fort: ‚Das ist ja nur ein bisschen, was hier ist. Was glauben Sie, was so eine Chemo-Infusion kostet und wie schwierig es ist, sie herzustellen. Da stehen Menschen im Untergeschoß des AKH und mischen unter größten Vorsichtsmaßnahmen die jeweilige Zusammensetzung, die der Arzt für Sie bestimmt hat.’ Da wurde mir klar, in welch großem Netz ich geborgen bin. Da bereiten mir Menschen im Keller des Krankenhauses die Infusion vor, die mir das Leben rettet!
Ich habe auch Menschen erlebt, die viel mehr tun als ihren Dienst. Ein Nachtdienstarzt wusste, dass es mir sehr schlecht ging und meinte, es gäbe ein Medikament, das mir helfen würde. Aber es war am Pfingstmontag nicht zu bekommen. Da begann er, bereits nach seiner Dienstzeit, die Spitäler Wiens durchzutelefonieren auf der Suche nach dem Medikament. Seine Frau holte es dann in dem Krankenhaus ab, wo es zu haben war. Kurz vor Mittag bekam ich es. Wie viel Güte, Selbstlosigkeit, wie viel Einsatz zeigt dieses eine Beispiel! Von diesem Gutsein leben wir. Wenn ich die Brücke zu jetzt herüberziehe, ahne ich, wie viele Menschen bis weit über ihre Grenzen hinaus im Einsatz sind für uns alle. Und meine große Hoffnung ist, dass sie alle die Kraft haben, das durchzustehen, und dass sie nicht an der Entschiedenheit der eigenen Selbstlosigkeit gesundheitlich zerbrechen. Meine lieben Ärzte, Ärztinnen, Menschen in den Pflegeberufen: Bitte schaut auf eure eigene Gesundheit, wir brauchen euch alle!

Was raten Sie Frauen und Männern, die mit einer schweren Diagnose leben müssen?
Sr. Beatrix: Zunächst unstütze ich den Aufruf: Lasst euch rechtzeitig untersuchen! Frauen, bitte geht zur Mammographie. Brustkrebs ist eine Krebsart, die unglaublich zunimmt, und man kann es übersehen. Ich hätte es übersehen, wenn mich die Dame am Schalter nicht eingeladen hätte. Also bitte: Geht zur Mammographie! Wir neigen ja dazu, Untersuchungen hinauszuschieben ...
Es ist natürlich eine große Hilfe, wenn man ein Leben aus dem Glauben heraus leben kann und im Grunde weiß: mir kann gar nichts passieren. Mir tun Menschen sehr leid, die mit so einer Diagnose völlig in der Luft hängen. Ich weiß aber auch, dass mein Leben als alte Klosterfrau in nichts zu vergleichen ist mit einer jungen Mutter, mit einer alleinerziehenden Frau, mit einer alten Frau, die alleine lebt und niemanden hat, der sich um sie kümmert: tragische Schicksale habe ich mitbekommen! Da kann ich nur still sein. Was bin ich für ein privilegierter Mensch und wie schwer haben es andere! Ich bete für alle, die selbst nicht beten können, die keine Beziehung zu Gott haben oder verzweifelt sind. Das stellvertretende Gebet ist mir ein Herzensanliegen.

Was heißt Ostern für Sie?
Sr. Beatrix: Ostern ist ein unbesiegbares Geschenk. Je dunkler Erfahrungen sind, umso heller wird das Osterlicht. Jesus hat den Tod überwunden. Er hat für uns Leid auf sich genommen. Wir schwenken im Marathon unseres Lebens auf die Siegerstraße ein, die Jesus uns gebahnt hat. Er zieht uns mit über die Ziellinie. Wir sind von ihm zum Sieg über den Tod gerufen. Leben wir mit Zuversicht, nicht mit zusammengebissenen Zähnen, sondern mit Grundvertrauen und Mut. Mut, meine Lieben! Mut! Das Leben siegt. Ostern ist! Egal, was sonst im Kalender steht.


Zur Person

Sr. Beatrix Mayrhofer
Geboren am 15. April 1948, zufällige Mammographie am 16. April 2019. Die anschließende Biopsie ergab einen schnell wachsenden Brustkrebs. Weitere Lymphknoten waren noch nicht angegriffen. In einer großen Operation wurde die ganze Brust entfernt. Dadurch war keine Strahlentherapie nötig. Vier Chemotherapien wurden durchgeführt. Im August 2019 war die unmittelbare Krebstherapie abgeschlossen. Die aktive Provinzleiterin, pensionierte AHS-Direktorin und damalige Frauenordens-Präsidentin kehrte langsam, aber sicher in ihre verschiedenen Aufgabenfelder zurück.

(aus dem Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 15 & 16 vom 9./16 April 2020)