Zäune und Mauern, Nationalismen und Abschottungen - das Thema „Grenzen“ gewinnt zunehmend an Brisanz. In der aktuellen Ausstellung im Jüdischen Museum in Hohenems nehmen 13 Künstler/innen dieses Phänomen in den Blick und schaffen ungewöhnliche Zugänge.

Patricia Begle

„Schibbolet“ war das Codewort, das am Ufer des Jordan über Leben und Tod entschied. Konnten efraimitische Flüchtlinge das Wort richtig aussprechen, wurden sie von den Männern aus Gilead sicher ans andere Ufer gebracht. Sprachen sie den „Sch“-Laut falsch aus, wurden sie getötet.

Die Grenze im Mund tragen
Diese kurze Erzählung aus dem Buch Richter (12,5-6) gab der Ausstellung ihren Namen, denn sie „thematisiert die Beziehung zwischen Sprache, Territorien und Ausschluss“, erklärt Boaz Levin beim Pressegespräch. Dass ihm diese Geschichte eingefallen ist, habe vielleicht auch mit den Dialekten in Vorarlberg zu tun oder mit der nahen Rhein-Grenze, so der Ausstellungs-Kurator, der in Jerusalem aufgewachsen ist und derzeit in Berlin lebt.

Wenn Steine erzählen
Die Rhein-Grenze bzw. deren Grenzsteine spielen in der Ausstellung eine besondere Rolle. Zum einen im Werk „Schuss/Gegenschuss“ von Arno Gisinger. Der Fotokünstler, der in Dornbirn aufgewachsen ist, hat in seinem Werk einen Grenzstein der Mittel-Insel im Alten Rhein bei Hohenems mit einer speziellen Technik des Filmschnitts gefilmt - von allen vier Seiten. Die vier Ausschnitte wurden auf halbtransparente Banner gedruckt und am Eingang des Museums installiert. Zugleich begleiten zehn Grenzsteine durch die Ausstellung, jeder ist mit einer Audiostation versehen, sodass die Steine zu „sprechenden“ werden. Sie erzählen von Flüchtlingsdramen und Rettungsversuchen, die sich zwischen 1938 und 1945 abgespielt haben.

Aus Vogelperspektive
Die Ausstellung „will Geschichte mit Gegenwart verbinden, um beides vielleicht besser zu verstehen“, erläuterte Levin. Dieser Blick zurück wird auch in den zwölf Farbfotografien der amerikanischen Künstlerin Fazal Sheik sichtbar. In „Desert Bloom“ dokumentiert sie die Auswirkungen der israelischen Siedlungs- und Bebauungspolitik in der Wüste Negev auf die örtliche beduinische Bevölkerung. Die Perspektive von oben führt dies klar vor Augen: Ob Bergbau, Militarisierung, Industrialisierung, Besiedelung, Aufforstung - das Eingreifen hat fatale Spuren hinterlassen, die zum Verlust des natürlichen und lebensnotwendigen Lebensraums für die Beduinen führt.

Gespräch mit einer Wand 
Einen völlig anderen Zugang zu Grenzen vermittelt Fiamma Montezemolo. Die in Rom geborene und in San Francisco lebende Künstlerin und Kulturanthropologin verwebt in ihrem Film „Traces“ Filmaufnahmen der Grenzmauer zwischen Tijuana (Mexiko) und San Diego mit historischen Berichten und persönlichen Erfahrungen. Sie spricht dabei die Wand direkt an.

In Frage gestellt
In unterschiedlicher Art und Weise führen die Ausstellungswerke die Ambivalenz von Grenzen vor Augen, die Mechanismen, die zu beidem - zu Identifikation und Ausschluss - führen. Immer wieder werden dabei auch Grenzen ad adsurdum geführt. So zum Beispiel mit jenen Masken, die mithilfe biometrischer Messungen erstellt wurden und die Technologie des Gesichts-Scannings in Frage stellen. Oder mit jener Zitrone, die über die Grenze zwischen Nord- und Südzypern getragen wird und letztendlich die Frage aufwirft: „Schmeckt die Zitrone auf der anderen Seite besser?“ Den Besucher/innen wird eine Fülle von Zugängen und Denkanstößen vermittelt. Um diese Dichte zu verarbeiten, empfiehlt sich die Lektüre des Ausstellungskataloges. Oder ein zweiter und dritter Besuch! 

Ausstellung

Sag Schibbolet! 

Von sichtbaren und unsichtbaren Grenzen.

Dauer der Ausstellung: bis 17. Februar 2019
Öffnungszeiten: Di bis So, 10 bis 17 Uhr.
Filme, Vorträge, Lesungen, Fahrradtouren - das Begleitprogramm zeigt sich äußerst vielseitig.
Details finden Sie unter www.jm-hohenems.at