Seit März 2013 steht Magdalena Holztrattner an der Spitze der Katholischen Sozialakademie Österreichs (ksoe). Zu Besuch in Vorarlberg spricht die Theologin, die einige Jahre in Lateinamerika studiert und gearbeitet hat, über ihre Erfahrungen in Bolivien und San Salvador, den Standort der ksoe im politischen Diskurs heute und was das alles mit Gott zu tun hat.

zur Person: Dr.in Magdalena M. Holztrattner

Wolfgang Ölz

Was haben Sie von den kirchlichen Stellen und Menschen hier in Vorarlberg für einen Eindruck?
Ich bin heute sehr engagierten, kirchlichen Menschen begegnet, die aus einem tiefen Engagement heraus und in einer großen Sorge in der Diözese Feldkirch für die Menschen vor Ort  arbeiten. Die Strukturveränderungen in den Pfarren sind, so wie mir das erzählt wurde, sehr partizipativ entwickelt worden, also unter großer Einbeziehung der Gläubigen. Außerdem diskutiert man zuerst auf der inhaltlichen und dann erst auf der strukturellen Ebene. Das finde ich sehr gut. Ich glaube, das ist vom Ansatz her nicht selbstverständlich, aber das ist nachhaltiger, als sonst strukturell herumzudoktern.

Wie lange waren Sie in Lateinamerika?
Einerseits war ich ein Jahr in Bolivien und andererseits drei Jahre in San Salvador und zuletzt war ich im Lateinamerikahilfswerk der Deutschen Bischofskonferenz, Adveniat, für die Länder Mexiko und Dominikanische Republik zuständig. Da habe ich als Länderverantwortliche die Projektanträge aus diesen Ländern bearbeitet und auch zur Entscheidung vorgelegt.  

Was nehmen Sie für Erfahrungen aus Ihrer Tätigkeit in und für Lateinamerika mit?

Da möchte ich auf mehrere Ebenen verweisen. Einerseits auf einen großen Reichtum an schönen Begegnungen, der natürlich überall auf der Welt stattfinden kann, in meinem Fall eben in Lateinamerika mit sehr spannenden und sehr engagierten Leuten, andererseits habe ich meinen Blick für die Ungleichheit, die  auf der Welt herrscht, geschärft. Da gibt es global gesagt, den reichen Norden und den armen Süden. Diese Ungleichheit reproduziert sich aber auch in den Ländern des Südens, es gibt eine  kleine Oberschicht, die viel hat, und eine große Unterschicht, die wenig hat - mit den dazugehörigen sozialen Spannungen.

Ich habe die Wirtschaftszusammenhänge verstehen gelernt. Wie viel bekommt die Näherin, wenn sich jemand eine Jeans für 120 Euro kauft? Diese Arbeitsbedingungen sind vergleichbar mit jenen, für die unsere Ururgroßeltern auf die Straße gegangen sind, um diese zu verändern. Genau diese Arbeitsbedingungen gibt es heute noch in Lateinamerika, und Firmen profitieren davon. Und wir  konsumieren die Endgüter, ohne dass die, die sie produzieren, wirklich etwas davon haben. Ich habe gelernt, diese  Zusammenhänge zu sehen, sie theoretisch wahrzunehmen, aber auch ganz konkret über Personen, die krank werden, weil die Produktionsbedingungen vor Ort nicht gut sind.

Nun sind Sie als erste Frau die Leiterin der Katholischen Sozialakademie Österreichs geworden.
Ja, die Katholische Sozialakademie Österreichs gibt es seit über fünfzig Jahren, und wurde immer von Priestern, fast durchgängig von Jesuiten geleitet und ich bin die erste Frau und Laientheologin, die nun an der Spitze steht.  Es ist gut, dass fünfzig Jahre nach der Pastoralkonstitution, die die Beteiligung der Laien eingefordert hat, nun erstmals eine Frau an dieser Stelle sitzt, aber es ist schade, dass es in der Kirche immer noch etwas Besonderes ist, dass Frauen auch in Spitzenpositionen die Kirche mitgestalten.

Welche Projekte liegen Ihnen als neuer Direktorin der ksoe besonders am Herzen?
Inhaltlich geht es darum, die Grundanliegen der Soziallehre weiterzuentwickeln, weiterzutragen und anhand aktueller Fragen und Problemstellungen zu übersetzen. Auch die Kurs- und Lehrangebote  sollen so gestaltet werden, dass sie von den Leuten wahrgenommen werden können, wenn etwa in der Organisationsentwicklung die Anliegen der Soziallehre über Führungskräfteschulungen in den betrieblichen Kontexten übersetzt werden. Wichtig ist auch zu schauen, welche Fragen in der österreichischen Gesellschaft jetzt im europäischen und globalen Kontext relevant sind, um von der Soziallehre her durch die Kirche beleuchtet und angereichert zu werden. Ich denke hier zum Beispiel an das Problem der Überalterung der Bevölkerung. Was bedeutet das von der Kirche her gedacht unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit? Hier gilt es diese Herausforderung anzunehmen und Lösungsansätze zu entwickeln. Dabei ist mir wichtig, Rahmenbedingungen so mitzugestalten, dass meine Kolleginnen und Kollegen gut arbeiten können. 

Wie sehen Sie das Verhältnis von Politik und Soziallehre?
Die Soziallehre ist die Antwort der Kirche auf die sozialen Fragen nach Gerechtigkeit und gutem Leben für alle in der Gesellschaft. Insofern ist die Antwort immer politisch, weil es um das Allgemeingut geht, um das Leben der Menschen in einer Gesellschaft.
Zu den Parteien versucht die Kirche eine Äquidistanz zu halten. Es bleibt immer themenspezifisch und an den Menschen orientiert. Zentral ist der Dialog mit allen Parteien, jüngst in der Podiumsdiskussion zum freien Sonntag. Wir arbeiten mit den politischen Akademien von ÖVP, SPÖ und Grünen zusammen.  

Wie äußert sich der Bedeutungsverlust der Kirche bzw. der ksoe in der Politik?
Die Anliegen der Soziallehre sind nach wie vor relevant. Fragen von Gerechtigkeit, z.B. in der Frage „Altersarmut von Frauen“, wie kann es sein, dass Frauen, die ihr Leben lang viel gearbeitet haben, aber vielleicht wenig erwerbstätig waren und daher wenig Versicherungsjahre haben, im Alter an materieller Armut leiden? Hier gilt es, das Versicherungssystem zu hinterfragen. Diese Frage ist trotz 100 Jahre Frauenbewegung immer noch relevant, und deswegen muss es auf die Agenden der Kirche und Politik gebracht werden, damit es aktiv durchdacht und entwickelt wird.

Inwieweit kommt in Ihrer Arbeit Gott ins Spiel?
Gott ist überall drinnen, auch wenn er nicht immer explizit benannt wird. D.h. die Soziallehre als Frage nach dem guten Leben für alle spiegelt das Grundanliegen Gottes wieder, dass es dem Menschen gut geht, dass wir das Leben in Fülle haben, wie es bei Johannes 10,10 steht, dass den Armen besonders viel Achtung zukommt, dass die Ausgegrenzten hereingeholt werden, so wie sich Jesus mit den Zöllnern, Prostituierten und Aussätzigen an einen Tisch gesetzt hat, was ihm ja auch vorgeworfen wurde. Wie Jesus sagt, ist das Tun wichtiger als das darüber Reden.

Welche Menschen möchten Sie mit dem Programm der Katholischen Sozialakademie Österreichs ansprechen?
Wir laden alle Menschen guten Willens ein, die in Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik  Verantwortung übernehmen wollen. In den Lehrgängen kann man sich über Methoden und Inhalt fit machen. In der Organisationsentwicklung kann man z.B. Beteiligung an Entscheidungsprozessen lernen.
Außerdem laden wir Menschen ein, die in Netzwerken politisch tätig sein wollen, beispielsweise bei der Allianz für den Freien Sonntag.
Über unsere Angebote im Bereich von Publikationen, Lehrgängen, Vorträgen und Organisationsprozessen können sie sich auf der Homepage www.ksoe.at informieren.
Aktuell sind wir vom Ökumenischen Rat der Kirchen Österreichs, ÖRKÖ, damit beauftragt den Prozess der Aktualisierung des ökumenischen Sozialworts von 2003 zu koordinieren. Wir laden alle Interessierten dazu ein sich wieder aktiv an dem Projekt zu beteiligen.

Wir danken für das Gespräch!

 

ZUR PERSON
Dr.in Magdalena M. Holztrattner

Die neue Leiterin der Katholischen Sozialakademie (ksoe) heißt MMag.a Dr.in Magdalena M. Holztrattner, geb. 1975, ist Theologin, Pädagogin und Organisationsentwicklerin. Ihre Schwerpunkte sind die Vertretung der ksoe bei kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Gruppen.

Ihre Grundlagenarbeit (Referentinnen-, Seminartätigkeit, Veröffentlichungen) widmet sich der Soziallehre der Kirche, weltweiter Gerechtigkeit und Armut, Migration und Frauenpolitik.
Im Bereich Organisationsentwicklung arbeitet sie in der Teamentwicklung, Gruppensupervision, Coaching, Organisationsberatung.
Sie studierte Theologie und Religionspädagogik in Salzburg und in San Salvador.

Ihre bisherige Tätigkeit umfasst interdisziplinäre Forschungsprojekte zu Armut und Gerechtigkeit. Sie kann auf eine mehrjährige Arbeit in und zu Lateinamerika verweisen. An der Universität Kassel absolvierte sie eine Ausbildung im Bereich Organisationsentwicklung, Supervision und Coaching.  Außerdem hat sie an der ksoe eine Moderationsausbildung gemacht und sich an der Universität Salzburg zur Erwachsenenbildnerin ausbilden lassen. 

Die Katholische Sozialakademie Österreichs

Die ksoe ist eine gesamtösterreichische Einrichtung der katholischen Kirche im Spannungsfeld von Politik und Bildung, und direkt der österreichischen Bischofskonferenz zugeordnet.
Aus dem Gründungsauftrag „Erforschung und Verbreitung der katholischen Soziallehre sowie die Förderung ihrer Anwendung“ entwickelte sich in fünf Jahrzehnten ein differenziertes Angebot mit den Schwerpunkten: Gesellschaftspolitik, Politische Erwachsenenbildung sowie Organisationsentwicklung.

www.ksoe.at

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(aus KirchenBlatt Nr. 22 vom 30. Mai 2013)