Die Pastoraltheologin Anna Findl-Ludescher wirft einen neuen Blick auf das Phänomen Volksfrömmigkeit, das sie im Zusammenhang legitimer religiöser Praxis sieht.

von Anna Findl-Ludescher

Was ist das eigentlich Volksfrömmigkeit? Gibt es das überhaupt noch? Stirbt das gerade aus oder gibt es das nur in anderen Ländern und Regionen wie z.B. in Lateinamerika?

Positiver Verdacht für Frömmigkeit
Ich übersetze „Volksfrömmigkeit“ mit „religiöse Praxis der Menschen“ und das gibt es sehr wohl – überall, bei uns, jetzt! Zum einen gibt es die traditionelle Volksfrömmigkeit, die sich z.B. in Prozessionen und Wallfahrten zeigt und es gibt auch die moderne Volksfrömmigkeit, die sich z.B. in einer Zeremonie nach einer Naturkatastrophe zeigt oder in einer Ritualfeier anlässlich einer Hochzeit.
Diese genannten Beispiele markieren zwei Pole eines weiten Spektrums von Vollzügen. Dazwischen gibt es eine Fülle ganz unterschiedlicher Praktiken: Heiligenverehrung, Pilgern, Räuchern, Engelsrituale. Die Übergänge zwischen kirchlichen und nicht-kirchlichen Motiven sind dabei fließend. Was sind denn z.B. die wieder entdeckten Raunächte? Was ist das, wenn bei einem freien Hochzeits-Ritual auf einer Wiese das Vaterunser gebetet wird?
Menschen, die gerne genau wissen wollen, was das genau ist, ob das jetzt richtig oder falsch ist, erlaubt oder nicht erlaubt, haben ihre liebe Not mit solchen Praktiken. Für solche Menschen ist die Volksfrömmigkeit ein schwieriges Feld, denn vieles ist möglich, vieles ist im Fluss, das meiste bewegt sich an den Grenzen zum Traditionalismus oder zum Esoterischen – und nur selten fragt jemand um Erlaubnis…
Das Verhältnis von praktizierter Religiosität, akademischer Theologie und kirchlicher Lehre bleibt ein Spannungsverhältnis. Es braucht natürlich den kritischen Blick der Theologie auf manche (quasi)religiöse Vollzüge. Karl Rahner mahnt ein, dass die Theologie die Volksfrömmigkeit immer mit dem positiven Verdacht betrachten soll, dass sich darin eine authentische Realisierung christlichen Glaubens in Verbindung mit persönlicher Erfahrung zeigt.
Genau darum geht es: um die Realisierung christlichen Glaubens in Verbindung mit persönlicher Erfahrung – sozusagen den Glauben ins Leben hineinbringen, auf den Boden des Alltags. Dabei muss sich Glaube immer vermischen, sonst bleibt er unverbunden, abgehoben und leblos.

Litaneien neu erfinden
Menschen holen sich im Kontext von volksreligiöser Praxis (zum Beispiel in der Heiligenverehrung) etwas, was ihnen von Seiten der akademischen und lehramtlichen Theologie oft verweigert wird. Nämlich, dass Gott nahe ist, dass man ihm alles sagen kann, weinen und klagen, dass er sich mitfreut und mitleidet. Die Marienverehrung ist beispielsweise ein sehr wichtiger solcher Ort. Es gibt so viele unterschiedliche Darstellungen von Maria: die reine Jungfrau, die liebevolle Mutter, die Königin, die Schutzmantelmadonna, die Trauernde, und noch viele andere. Das macht es den Menschen leicht, sich ihr zu nähern, sich ihr anzuvertrauen, jede:r für sich oder in Gruppen. Sei es durch das Anzünden einer Kerze, das Beten des Rosenkranzes, Singen, eine Wallfahrt machen, Litaneien beten und neue erfinden, Tänze, Räuchern, Maiandachten und Mondfeiern. „Dein Mantel ist sehr weit und breit…“
Wer öfters in einer Wallfahrtskirche ist entdeckt, dass hier traditionelle und moderne Formen der Frömmigkeit Platz haben. Ganz unterschiedliche Menschen führt so ein Heiligtum zusammen und meistens ist es auch so, dass sich diese verschiedenen Menschen und Gruppen gut sein lassen.