Das Jüdische Museum und die Grüne Bildungswerkstatt luden zu einer Diskussionsveranstaltung zum Thema „Brauchen wir Religion?“ Nach einem religionsgeschichtlichen Vortrag von Kurt Greussing folgte eine sehr engagierte Diskussion mit Vertreter/innen aus Islam, Christentum und Judentum.

Bild rechts: Am Podium (von links) Juliane Alton von der Grünen Bildungswerkstatt, Baruch Wolski vom Islamischen Institut für Erwachsenenbildung in Wien, Ursula Rapp von der KPH Edith Stein in Feldkirch, Rabbiner Michel Bollag vom Lehrhaus Zürich, Kurt Greussing, Sozialwissenschaftler aus Dornbirn. 

Wolfgang Ölz

Museumsdirektor Hanno Loewy konnte sich an diesem Sonntagvormittag über einen bis auf den letzten Platz gefüllten Salomon Sulzer Saal freuen. Kurt Greussing referierte im ersten Teil der Veranstaltung zum Thema „Judentum, Christentum, Islam: Das Ende des heiligen Zorns? Pluralistische Gesellschaften und die Zivilisierung des Religiösen“. Das anschließende Gespräch unter der Leitung von Juliane Alton verlief zwischen dem religionskritischen Greussing und den drei Vertreter/innen der großen monotheistischen Religionen durchaus kontroversiell.

Religion - reiner Narzissmus?
In seinem Vortrag versuchte Kurt Greussing, die Religion als Mittel zur Befriedigung des Narzissmus darzustellen. Die Religionen, so Greussing, bedienen als geschlossene Weltbilder den Narzissmus des Gläubigen,  der sich im Besitz der Wahrheit und damit im Besitz der Welt wähne - im Gegensatz zu den anderen Menschen, die in der Unwahrheit seien. Daraus erwachse ein heiliger Zorn, der sich auf alle Ungläubigen richte. Die heiligen Bücher von Christentum, Islam und Judentum seien, so Greussing, nun „Bücher des heiligen Zorns“. Der politische Katholizismus habe bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts dieses „Zornreservoir“ gegen Liberalismus und Aufklärung eingesetzt.

Ein dynamischer Bezugsrahmen
Erst mit dem Zweiten Vatikanum habe das katholische Christentum in der Erklärung über die Religionsfreiheit „Dignitatis Humanae“ eine radikale Wende hin zu Glaubens- und Gewissensfreiheit vollzogen. Greussings Fazit: Die Religionen brauchen Ethik zur Begründung ihrer Reform, auch der Atheismus ist kein Allheilmittel, eher rät er zu einem kritischen Rationalismus, der die Anstrengung auf sich nimmt, die eigene Meinung nicht als unverbrüchlich zu betrachten.

Dann ging es mit dem Podium weiter.
Interessant war, dass die apologetischen Ausführungen des jungen Muslims aus Wien, Baruch Wolski, mitunter den Ansichten eines aufgeklärten Christentums nicht unähnlich waren. Religion, so Wolski, sei eben kein geschlossenes System und auch keine Ideologie. Religion sei vielmehr ein dynamischer Bezugsrahmen, der sich immer wieder neu entwickelt.

Sich als „geführtes Wesen“ erleben

Ursula Rapp von der KPH Edith Stein sagte: „Für mich gehört Religion zum Gesamten meiner Wirklichkeitserfahrung.“ Außerdem vermöge die Religion das Mystische zu erklären, und sie könne sich in der Religion als „geführtes Wesen“ erleben. „In Jesus Christus ist etwas Absolutes geschehen“, so Rapp, „aber nicht nur in Jesus Christus ist Absolutes geschehen“. Der Narzissmus, das Rechthabe-Bedürfnis, sei etwas Menschliches, nichts Religiöses. Sie empfiehlt, die ganze Bibel zu lesen, und das kontroverse Gottesbild, den Gott des Zornes und den Gott der Barmherzigkeit wahrzunehmen. Das Wissen um Gott sei größer als jede Religionsgemeinschaft. Im Sinne eines transparenten Rationalismus sei es notwendig, als Bibelwissenschaftlerin die eigenen Auslegungskriterien zugänglich zu machen. Auch Theologie und Kirche seien nicht neutral, und die gewalttätigen Texte sollten als „wachhaltende Warntexte“ gelesen werden, so Rapp.

Religion ist undefinierbar.
Der Rabbiner Michel Bollag bekannte, dass er als Jude geboren sei und in einer religiös praktizierenden Familie die geistige Grundlage seiner Religion kennenlernen durfte. Er entwickelte seine Weltsicht aus dem Staunen und einer Haltung der Dankbarkeit heraus, die er bei den jüdischen Gelehrten gelernt hat. Religion, in seinem Falle eben das Judentum, sei das Gegenteil von Narzissmus. Die Religion, so wie der Rabbiner sie versteht, ist per se „undefinierbar“, und das gefalle ihm.

Die Wortmeldungen schließlich aus dem Publikum waren sehr persönlich und zeigten, dass die Frage nach Glaube und Religion den Menschen bleibend nahe geht.