700 Nutztiere verbringen den Sommer auf der Galtalm in Lüsens, im Tiroler Sellraintal. Sandra Kofler und ihr Vater versorgen und pflegen sie.

Logo - mit Tieren leben Serie: Teil 4 von 6

Die Familie Kofler führt eine kleine Landwirtschaft im benachbarten Praxmar. Im Jahr 2000 pachteten die Eltern die auf 1650 Meter gelegene Alm am Fuß des Lüsener Fernerkogels. Seitdem ist auch Sandra von Mitte Mai bis Mitte September mit den Tieren „auf der Alm“.

Von klein an
„Tiere haben schon immer eine zentrale Rolle in meinem Leben gespielt“, erzählt die 31-jährige Frau. „Ich bin mit den Tieren am Hof aufgewachsen. Schon als Kind musste ich mithelfen unsere Kühe zu melken und die Schweine zu füttern. Ich habe es aber meistens gerne getan.“ Eine besondere Beziehung hat Sandra zu Pferden. Das Reiten hat sie sich als Kind selber beigebracht. „Ich bin immer mit meinem Pony ohne Sattel ausgeritten. Jeden Tag hat es mich abgeworfen, und ich musste den Rückweg nach Hause zu Fuß antreten“, lacht Sandra, wenn sie an diese Zeit zurückdenkt. „Pferde habe ich – trotzdem – am liebsten“, so die heute ausgezeichnete Reiterin. In der landwirtschaftlichen Fachschule in Salzburg absolvierte sie nach der Pflichtschule eine dreijährige Ausbildung mit dem Schwerpunkt Pferdewirtschaft. Ein Praktikum als Bereiterin bei einem Pferdezüchter folgte.

Nachtschwärmer
Auf der Galtalm beginnt für Sandra der Tag um 5.00 Uhr. Die nicht eingezäunten zwanzig Milchkühe werden von ihr zum Melken geholt. „Manche Tiere gehen in der Nacht weiter weg von der Alm, die schlafen dann in der Früh, und du hörst und siehst sie nicht.“ Eine große Hilfe bei der Suche nach den „Nachtschwärmerinnen“ sind dabei ihre beiden Border Collies Bless und Fly. Die dreieinhalbjährigen Hundegeschwister begleiten Sandra auf Schritt und Tritt. Miteinander haben sie auch schon einen Hütehundekurs absolviert und sind jetzt richtige „Almprofis“.

Hallo Kuh
Besonders interessant ist es für Sandra, jedes Jahr zu beobachten, dass die Kühe, die ja von mehreren Bauernhöfen nach Lüsens kommen, auf der Weide recht schnell Gruppen bilden. Tiere, die bereits in den vergangenen Sommern gemeinsam in Lüsens waren, „erkennen und begrüßen sich freudig oder reserviert, ganz so wie wir Menschen.“ Auch bei der Geschicklichkeit der Kühe stellt die erfahrene Almerin eine ähnliche Entwicklung wie bei den Menschen fest. Zu Beginn der Almsaison sind vor allem die Neuankömmlinge noch ein „wenig patschert“, was sich im Laufe der Wochen aber verbessert. Die Tiere werden aber auch immer größer und schwerer, was sich nicht unbedingt positiv „auf das Bergsteigen“ auswirkt.
Die Milch wird direkt weiter in die Sennerei geliefert, wo sie von ihrer Schwester Claudia und der Mutter zu Schnittkäse, Graukäse, Almbutter, Buttermilch und Molke weiterverarbeitet wird.

Nachschau
Nach dem Melken, Ausmisten und Frühstücken bricht Sandra zu ihrer ersten Almrunde auf. Der Vater kümmert sich hauptsächlich um die 500 Schafe. Sie geht  das Längen- und das Schöntal ab, um nach den 140 Jungtieren, dem Galtvieh, zu sehen.
Ab Mitte Juli besucht sie zusätzlich die 50 Pferde am Galwieser Hochleger. „Bei den Pferden nehme ich mir fünfzehn Minuten Zeit, um ihnen einfach zuzusehen. Sie genießen den ,Urlaub‘ auf der Alm. Anders als bei den Kühen, wo sich Gruppen bilden, kristallisiert sich bei den Pferden immer eine Leitstute oder ein Leitwallach heraus, welche die Rangordnung in der Herde anführen“, erzählt Sandra von ihren Beobachtungen.

Bei der Arbeit auf der Galtalm begegnen ihr immer wieder Murmeltiere, Gämsen, Hirsche, Adler, Bussarde, Dohlen und heuer auch erstmals Steinböcke. In diesem Sommer schloss sich sogar eine Hirschkuh einer Gruppe von Milchkühen an, um mit ihnen das Kraftfutter zu fressen. Auch die Anwesenheit der Hunde hielt sie nicht davon ab. „Nur in den Stall wollte sie nicht mitkommen“, schmunzelt Sandra beim Gespräch.

Auf und ab
Wie viele Höhenmeter sie während der Almsaison zurücklegt, um die ihr anvertrauten Tiere zu begleiten, kann die Almerin nicht genau sagen. „Vor ein paar Jahren habe ich mir das aufgeschrieben, da waren es über 70.000 Höhenmeter. Da waren es aber sicher mehr als heuer, da mein Vater damals einige Zeit ausgefallen war. “ Nach dem Melken am Abend folgt ein zweiter Kontrollgang und dann „gehe ich zufrieden ins Bett“. 

Gut mit ihnen
Ihren Umgang mit den Tieren beschreibt Sandra so: „Ich meine es gut mit ihnen. Je gröber sie behandelt werden, desto schlechter funktioniert es zwischen Mensch und Tier. Ich habe generell eine gute Beziehung zu Tieren und versuche sie auf der Alm in Ruhe zu lassen, wenn sie mich nicht brauchen. Und wenn dann, so wie heuer, alle Tiere wieder gesund übergeben werden können, wenn nichts Problematisches passierte, dann empfinde ich große Dankbarkeit, Zufriedenheit und auch ein wenig Stolz!“
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachtet Sandra jedes Jahr im September den Abtrieb von der Alm. Mit einem lachenden, weil die Arbeit vor allem körperlich sehr anstrengend ist. Mit einem weinenden, weil „ich mich von ,meinen‘ Tieren bis zum nächsten Jahr verabschieden muss“.

 

ZUM THEMA

Dr. Michael Martys Dr. Michael Martys, Direktor des Alpenzoos Innsbruck-Tirol

Nutz-Tiere

Die Idylle von glücklichen Tieren auf dem Bauernhof früherer Zeiten ist Illusion. Weit ins 20. Jahrhundert hinein verbrachten Kühe viele Monate im Jahr in dunklen, schlecht durchlüfteten Ställen bei mäßigem Futter und kaum tierärzt-licher Betreuung. Immerhin blieben sie im Durchschnitt länger am Leben als heutzutage. Und es gab eine Herde als Sozialverband, in dem die Tiere einander kannten.
Früher bestand auch eine Vielzahl von Rassen, die für eine bestimmte Region typisch waren und in ihren Ansprüchen und Leistungen den örtlichen Gegebenheiten entsprachen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte europaweit die Industrialisierung im Agrarsektor ein. Das Fleisch der Nutztiere wurde zur Massenware, und die Bauern verloren ihre Werte, in ökonomischer Hinsicht, wie in ihrem Selbstverständnis. Der Preisverfall für das Schlachttier ging einher mit steigendem Produktionsdruck für den Landwirt. Freilich hat irgendjemand von dieser Globalisierung profitiert. Aber vielen schadet es: den Konsumenten, die zu viel billiges Fleisch von mäßiger Qualität essen, und den Bauern, die es vielerorts in dieser Form nicht mehr gibt. Aber vor allem leiden die Tiere unter diesem System. Eine Alternative ist die Rückbesinnung auf die einstige Rassenvielfalt und neue Vermarktungswege über Biohöfe und landwirtschaftlich klein strukturierte, moderne Betriebe.